»Wir müssen beim Patriarchat selbst ansetzen!«
„Wir müssen beim Patriarchat selbst ansetzen!“ Das sagt Frau Tchelebi, die Öffentlichkeitsarbeiterin des Autonomen Frauenhauses in Regensburg. Unsere Autorin hat mit ihr über die aktuelle Situation in Frauenhäusern und über ihre Arbeit gesprochen.
von Marie Odenthal
Lautschrift: Frau Tchelebi, wo befinden wir uns hier gerade?
Frau Tchelebi: Wir sitzen in unserer Beratungsstelle des Autonomen Frauenhauses. Hier kommen von Gewalt betroffene Frauen direkt zu uns oder kontaktieren uns per Telefon – und wir bieten hier in unseren Räumlichkeiten sofort Hilfe an. Die Beratung ist ebenso unsere Aufgabe wie die Beherbergung gefährdeter Frauen in dem Frauenhaus.
Lautschrift: Wie genau kann man sich denn dieses Haus vorstellen?
Frau Tchelebi: Wir können zwölf Frauen gemeinsam mit ihren Kindern unterbringen. Dabei hat jede kleine Familie ein Zimmer, Bad und Küche teilen sich im Haus alle. Seit neuestem gibt es auch einen Wohn- und Kinderbereich, der die enge Wohnsituation für alle ein wenig entzerrt. Zusätzlich haben wir noch eine weitere Wohnung, in der Platz ist – zum Beispiel für Jungs über vierzehn Jahren, dazu aber später mehr.
Lautschrift: Und was geht dort so vor sich?
Frau Tchelebi: Eigentlich sagt das Stichwort »autonom« in unserem Namen es schon – wir versuchen dabei zu helfen, den Bewohner:innen und ihren Kindern ein eigenständiges Leben zu ermöglichen. Dabei assistieren wir natürlich, zum Beispiel bei bürokratischen Fragen, bei der Job- und Wohnungssuche oder auch, wenn es um medizinisch- psychologische Hilfe geht.
Lautschrift: Wer ist denn »wir«?
Frau Tchelebi: Das ist unser Team aus acht Kolleginnen. Jede von uns hat einen eigenen Schwerpunkt in ihrer Arbeit, wie ich zum Beispiel die Öffentlichkeitsarbeit. Wir arbeiten aber alle im Team zusammen, und zwar basisdemokratisch und ohne Hierarchien. Ganz wichtig ist dabei auch unser Selbstverständnis. Anders als zum Beispiel Frauenhäuser mit kirchlichen Trägern verstehen wir unsere Arbeit absolut als politisch – das macht auch Sinn, weil wir aus der feministischen Bewegung der 80er Jahre entstanden sind.
Lautschrift: Die meisten Menschen wissen, dass in Frauenhäusern allgemein von Gewalt betroffene Frauen Schutz finden. Wer bekommt aber konkret einen Platz in eurer Einrichtung?
Frau Tchelebi: Eigentlich stimmt diese Verallgemeinerung schon. Wir sind für alle Frauen da, die Gewalt erfahren, vor allem in Partnerschaften. Es gibt aber mehrere Arten von Gewalt, die passieren können, und alle können ein Grund sein, aus dem eine Frau Schutz vor ihrem Täter braucht. Da gibt es zum Beispiel psychische Gewalt und soziale Gewalt, also beispielsweise komplette Isolierung einer Frau von ihrem Umfeld durch ständige Überwachung durch den Täter. Ebenso gibt es körperliche Gewalt sowie sexualisierte Gewalt, darunter fällt beispielsweise die Vergewaltigung in der Ehe. Eine vollständige Abhängigkeit einer Frau passiert häufig durch ökonomische Gewalt – das wäre zum Beispiel der Fall, wenn es einer Frau verboten wird, ein eigenes Konto zu eröffnen. Eine Gewaltform, die immer mehr zunimmt, ist digitale Gewalt, bei der Belästigung über das Internet passiert. Das macht natürlich auch Stalking leichter.
Lautschrift: Aber bei nur zwölf Plätzen muss ja »ausgewählt« werden, oder?
Frau Tchelebi: Natürlich können wir nicht jeder Frau einen Platz im Frauenhaus anbieten, dafür fehlen einfach die Ressourcen. In Deutschland mangelt es aktuell an etwa 14.000 Frauenhausplätzen, und der Bedarf steigt, weil die Gewalt gegen Frauen jährlich ansteigt. Allein letztes Jahr gab es 360 Femizide. Die Lage ist ernst.
Es gibt aber auch bei uns ein paar Ausschlusskriterien, zum Beispiel Suchterkrankungen oder Pflegebedarf. Frauen mit Söhnen über vierzehn Jahren können durch das Konfliktpotenzial mit den durch Männern traumatisierten Frauen nur in unserer gesonderten Wohnung untergebracht werden. Grundsätzlich versuchen wir aber selbstverständlich immer, so vielen wie möglich zu helfen.
Lautschrift: Bei ihrer Arbeit haben Sie es ja mit viel Gewalt zu tun. Gibt es auch Dinge, die ihre Arbeit besonders herausfordernd oder gefährlich machen?
Frau Tchelebi: Akut gefährlich wird es selten. Trotzdem gilt für mich und meine Kolleginnen eine Auskunftssperre, das heißt, dass unsere privaten Adressen bei Ämtern nicht erfragt werden können. In schwierigen Situationen, bei denen wir mit Tätern konfrontiert werden, begleitet uns die Polizei. Die Männer versuchen auch immer wieder, die Adresse des Frauenhauses herauszufinden, die eigentlich zum Schutz der Bewohner:innen streng geheim ist.
Herausfordernd ist die Arbeit hier auf jeden Fall. Besonders zermürbend sind die bürokratischen Hürden, zum Beispiel wollen Jobcenter oft Dokumente haben, die eine Frau nach einer überstürzten Flucht natürlich nicht dabeihat. Ein riesiges Problem ist auch der Wohnungsmarkt, der es Frauen so schwer macht, irgendwann wieder auszuziehen, wodurch dann der Platz für andere Frauen nicht freigemacht werden kann.
Lautschrift: Das klingt nach einem vielschichtigen, strukturellen Problem. Wo muss angepackt werden?
Frau Tchelebi: Definitiv. Wir müssen beim Patriarchat selbst ansetzen! Es sind alltägliche Unterdrückungsstrukturen wie die ungleiche Verteilung der Care- Arbeit oder der Gender Pay Gap, die Frauen abhängig und damit anfällig für Gewaltspiralen machen. Und in der Politik muss sich etwas ändern – ein Anfang wäre zum Beispiel die ordentliche Umsetzung der Istanbul- Konvention.
Bei uns zahlen die meisten Frauen 10 Euro Miete pro Tag, was im Vergleich zu anderen Einrichtungen schon wenig ist. Mein Traum wäre es, dass keine Frau mehr für ihren Frauenhausplatz zahlen muss. Dafür braucht es aber mehr Finanzierungshilfen von der Regierung!
Es sind, abschließend gesagt, neben der patriarchalen Gewalt, ganz viele Probleme, die hier aufeinandertreffen.
Lautschrift: Es ist also noch ein weiter Weg, bis allen gewaltbetroffenen Frauen richtig geholfen werden kann. Frau Tchelebi, vielen Dank, dass Sie uns einen Einblick in diesen Prozess gegeben haben!
Titelbild © Marie Odenthal
Weiterführende Informationen:
https://frauenhaus-regensburg.de
Telefonnummer der Beratungsstelle: 0941 – 24000
Telefonnummer Frauennotruf: 0941 – 2 41 71