Popkultur für Fortgeschrittene

Popkultur für Fortgeschrittene
2024 in a Nutshell: Während immer mehr Freund:innen mir erzählen, dass sie soziale Medien deaktivieren, sitzt meine Großmutter an Weihnachten mit einem Glas Rotwein in der Hand auf ihrem Sessel und scrollt durch ihr Instagram. Ihr Feed ist voll von Frauen und Männern in ihrem Alter, sogenannten »Granfluencern«.

von Greta Kluge

Sie stellen sich dar wie ihre 20-, 30-jährigen Kolleg:innen. Der einzige Unterschied ist, dass sie ein bis zwei Generationen älter sind. Viele erreichen mittlerweile eine Millionencommunity, zeigen mit Selbstbewusstsein ihre Körper, ihre Routinen und wie ihr Leben aussieht. Sie vereinen unter ihren Abonent:innen jung und alt. Ab einem gewissen Alter ist man nicht mehr Teil der Popkultur, man wird abgestempelt als Auslaufmodell. »Granfluencer« bewirken Gegenteiliges. Sie stellen Alter in ein ganz anderes Licht, sodass es nicht mehr nur mit Gebrechlichkeit, Mittagessen um 12 Uhr und Verstaubtheit assoziiert wird. 

Glorifiziertes Altern 

Eine Glorifizierung von Altern, die unserer Gesellschaft in keinster Weise schadet.  Trotzdem ist es immer noch eine Glorifizierung. Man könnte vermuten, die Instagramseiten von »Granfluencern« seien inklusiv, die älteren Content Creator:innen seien fortschrittlich, weise in ihrem Tun und ihrem Darstellen.

Viele sind leider dennoch in puncto aufgehübschter Darstellung ihres Lebens mit der Gen Z und Millenials auf Augenhöhe. Sie leisten zwar einen wichtigen Beitrag, Altersstereotype aufzubrechen, tragen mit der Art und Weise, wie sie sich darstellen, genauso zu Druck und Vergleichen bei. Weniger toxisch werden Instagram und co. durch sie nicht, nur eben ein bisschen farbenfroher. 

Ein paar Beispiele:

Erika Rischko (@erikarischko), die Pamela Reif für 80+, die ihre Workout-Routinen mit der Welt teilt.

Helen van Winkle (@baddiewinkle), nach eigener Angabe »Stealing yo man Since 1928« und Licia Fertz (@liciafertz), die sich mit TikToks und Reels eine Plattform aufgebaut hat.

Pasta Grannies, (@pastagrannies), eine Seite, die all jenen eine Freude machen könnten, deren For You Page voll von Kochvideos ist.

Sho-Er und Wan-Ji (@wantshowasyoung), die von ihrem Waschsalon aus richtige Fashionikonen geworden sind.

Günther Krabbenhöft (@g.krabbenhoft), der allen Clubgänger:innen Konkurrenz macht.

Alt und ehrlich

Eine weitere Ikone, wenn es um Selbstbewusstsein im Alter geht, ist nicht auf sozialen Medien anzutreffen. Die 94-jährige Rosalind Solomon Fox veröffentlichte dieses Jahr unter dem Titel »A woman I once knew« auf ganz klassische Weise Selbstporträts. Und sie, anders als die »Granfluencer«, beschönigt nichts. Sie posiert mit einem Notfallknopf um ihren Hals in kämpfersicher Pose, hält ihre vertrockneten Füße in die Kamera.

Bekannt wurde sie als Dokumentarfotografin, als es ihr aber nach eigener Angabe vor ein paar Jahren schlecht ging, begann sie Selbstporträts zu schießen: »I remember the first one. It was me on the grass outside my Tennessee home at a time when I felt depressed, I think that in a number of them I was depressed – I think maybe [the self-portraits] gave me some more connection to myself and reality.« (huck mag, 4. Oktober 2024).

Sie steht mit aller Ehrlichkeit und ohne Beschönigungen dafür ein, dass man sich auch mit 90 noch neu erfinden kann. Rosalind Solomon Fox ist alt, ehrlich und eine Inspiration. Ihre Fotos sind auf eine besondere Art ästhetisch. Wahrscheinlich auch deshalb, weil sie sich nicht einreihen in die massenhafte Verbreitung von Posts mit fragwürdiger Qualität auf sozialen Medien. Sie bringt Betrachtende zum Nachdenken, die Bilder auf Instagram lösen oft keinen Reflektionsprozess aus, der nachhaltig dazu führt Dinge zu ändern.

Rosalind Solomon Fox begeht nicht den Fehler, sich in das Haifischbecken der sozialen Medien zu stürzen. Sie hat sich eine nachhaltigere Front ausgesucht um gegen Diskriminierung von Alter zu kämpfen.


Titelbild/Collage @ Antonia Herzinger

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