Manchmal vergesse ich meine Wurzeln
Die Erfahrung, das älteste Kind zu sein und die Schwierigkeit, nach einer längeren Zeit die Familie zu besuchen. Ein paar Worte über das Ausbrechen aus dem Haushalt und die Reinkarnation alter Verhaltensweisen.
von Aaliyah Meier
Es ist komisch, wieder daheim zu sein. Vier bekannte Stimmen in einem Raum, die einst täglich anwesend waren. Doch damals war es kein Gefühl von Komfort, sondern von Alltag und einem selbstverständlichen Rhythmus. Ich fühle mich wie ein Kind, auch wenn die Stimmen nun tiefer sind. Vor einigen Jahren sah ich nur unsere Unterschiede, jetzt sehe ich die Gemeinsamkeiten. Ich erkenne mich wieder.
Streit bricht aus und mit jeder Sekunde verstehe ich eure Verhaltensweisen besser. Stress, Wut und Emotionen, die nicht einzuordnen waren, sind plötzlich nachzuvollziehen: Frust aus dem damals und das Verlangen, den Knoten zu lösen. Der Streit hält schon lange an und erstreckt sich über so viele Schichten, dass eine schnelle Lösung wohl nicht möglich ist.
In meiner Kindheit war das gemeinsame Mittagessen Normalität – jetzt ist jeder mit Absicht auf Abstand. Vielleicht war das schon immer so und es ist mir nicht aufgefallen. Kleine Veränderungen gehen an mir vorbei wie ein Staubkorn in der Luft, wenn man abgelenkt ist vom Leben. Die Zusammenkunft der Neuerungen liegt nicht gewichtslos auf meiner Brust. Eine neue Art der Unklarheit breitet sich aus.
Schwierige Gespräche sind ein Stück leichter, aber liegen in derselben Tiefe. Ich halte meine Tränen zurück, wie ich es damals tat. Doch statt dem Wunsch wegzugehen, besteht die Angst, dass Familie nicht mehr das ist, was es mal war und es nicht mehr sein wird. Ist das meine Schuld?
Trotz der Probleme, vermisst ein Stück in mir die blutgebundene Verbundenheit. Das Bekannte und die Vertrautheit. Ich trage die Worte mit mir und fahre in eine andere Richtung. Wieder nach Regensburg, zurück nach Hause.
Titelbild © Aaliyah Meier