Die Wirtschaft und Psyche in der Krise
Eine wankende Wirtschaft, eine heraufziehende Wirtschaftskrise, eine ungewisse geopolitische Ausgangslage. Was macht das mit uns Studierenden, wenn schon jetzt finanzielle Engpässe bestehen und auch für die Zukunft keine Stabilität in Blick ist?
Von Christian Wex
Die aktuelle wirtschaftliche und politische Lage in Deutschland ist von steigenden Lebenshaltungskosten, unsicheren Arbeitsmärkten und sich verändernden staatlichen Unterstützungsstrukturen geprägt. Für Studierende, die sich ohnehin schon in einer prekären Übergangsphase zwischen Schule, Ausbildung und Beruf befinden, stellen ökonomische Unsicherheiten eine weitere beträchtliche Zusatzbelastung dar. Eine Zusatzbelastung, die sich nicht nur auf den Geldbeutel, sondern auch auf das psychische Wohlbefinden auswirkt.
Unsicherheit als Dauerzustand
Ökonomische Unsicherheit beschreibt einen Zustand, in dem die Zukunft finanziell nicht vorhersehbar ist. Läuft mein Werkstudierendenjob weiter? Verändern sich Stipendien- oder BAföG-Sätze im kommenden Semester? Bekomme ich mit meinem Abschluss überhaupt noch einen Beruf? Ein Blick in die Forschung zeigt: Anhaltende Unsicherheit bedingt innere Anspannung, belastet den Schlafrhythmus und fördert unter Umständen depressive und angststörungsrelevante Symptome. Ungünstige Konsequenzen für eine Gesellschaftsgruppe, die schon ohne diese Unsicherheiten vulnerabler ist als andere.
Wahrgenommene Kontrolle und psychisches Wohlbefinden
Ökonomische Unsicherheit kann als chronischer, oft unkontrollierbarer Stressor verstanden werden. Wie sich beispielsweise die BAföG-Sätze verändern werden, können einzelne Studierende kaum beeinflussen. Die dadurch verursachte Abnahme der eigenen Selbstwirksamkeitserwartung und die Verschiebung des persönlichen Kontrollverständnisses (Locus-of-Control) wird als Risikofaktor für psychisches Wohlbefinden verstanden. Bei Selbstwirksamkeitserwartungen handelt es sich um die Überzeugung, schwierige oder herausfordernde Situationen bewältigen zu können – als das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Sind alle Faktoren, die zur Bewältigung schwieriger Situationen aber nicht kontrollierbar, sinkt die Selbstwirksamkeitserwartung. Ähnliches passiert bei der Verschiebung zu einem externen Locus-of-Control. Statt überzeugt zu sein, dass Handlungsergebnisse von eigenen Fähigkeiten abhängen, wird Faktoren außerhalb der eigenen Kontrolle höheren Einfluss zugeschrieben. Ein Gefühl der Ohnmacht und des Ausgeliefertsein macht sich breit.
Wenn die Konzentration im Studium und Leben nachlässt
Ökonomischer Druck beansprucht außerdem kognitive Ressourcen. Die aktuelle politische und wirtschaftliche Situation muss immer wieder neu bewertet und in die persönliche Lebensplanung integriert werden. Diese anhaltende kognitive Beanspruchung kann dazu führen, dass weniger Kapazitäten für akademische Anforderungen, soziale Interaktionen und Erholung übrig bleiben. Gleichzeitige emotionale Stressreaktionen (z. B. Sorgen, Grübeln) verstärken diesen Effekt. Negative Gedankenmuster können in einen Teufelskreis führen: Zukunftsängste senken die Konzentration, mindern die Studienleistung und verschärfen so die Angst, beruflich nicht Fuß fassen zu können – was wiederum finanzielle Unsicherheit bedingt.
Die eigene Lebenssituation unter Kontrolle bringen
Ein Blick in die kognitive Verhaltenstherapie und spezifischer die Acceptance and Commitment Therapie (ACT) kann Ansätze liefern, wie man mit der Unsicherheit und Unkontrollierbarkeit umgehen kann. Diese setzt den Fokus auf das, was weiterhin im eigenen Handlungsspektrum liegt, und versucht über Achtsamkeit dem Unkontrollierbaren entgegenzutreten: Konkrete Übungen, die allein zuhause durchgeführt werden können, umfassen beispielsweise eine tägliche Werte-Reflexion: Dabei schreibt man sich in einem Notizbuch kurz auf, welche persönlichen Werte (z. B. Lernen, Gesundheit, soziale Verbundenheit) heute im Vordergrund stehen, und plant mindestens eine kleine Handlung, die in Einklang mit diesen Werten steht – etwa ein Zeitblock für konzentriertes Lernen oder ein Telefonat mit einem guten Freund.
Auch einfache Achtsamkeitsübungen, wie wenige Minuten bewusster Atemfokus, helfen, überfordernde Gedanken wie »Ich werde finanziell nie sicher sein« die Macht zu nehmen und sie nur als vorübergehende mentale Ereignisse wahrzunehmen. Eine weitere Technik ist das sogenannte »Aufschreiben und Loslassen«: Sorgen und Ängste um die eigene finanzielle Zukunft werden kurz notiert und anschließend bewusst beiseitegelegt, um sich aktiv Bereichen zuzuwenden, die kontrollierbar sind – etwa die konkrete Planung des wöchentlichen Budgets oder das Recherchieren nach neuen, erreichbaren Nebenverdienstmöglichkeiten oder nach zivilgesellschaftlichen Initiativen, um sich politisch einzubringen. Solche selbstständig umsetzbaren Schritte fördern langfristig ein Gefühl größerer Selbstwirksamkeit und mehr innere Ruhe im Umgang mit ökonomischen Unsicherheiten.
Gesellschaftliche und politische Implikationen
Kurzfristig mögen die Ansätze zur Bewältigung dieser Unsicherheit vielleicht Hilfe leisten. Langfristig sind aber strukturelle Maßnahmen nötig, um die psychischen Belastungen durch ökonomische Unsicherheit zu reduzieren. Ein stabileres System studentischer Förderung, die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum oder der Ausbau von campusnahen Angeboten für psychische Gesundheitsförderung sind nur einige Beispiele. Denn wirtschaftliche Unsicherheit ist nicht nur ein individueller Stressor, sondern ein soziales Phänomen, dessen Lösung einen breiten politischen und gesellschaftlichen Konsens voraussetzt.
Titelbild © Christian Wex