Gaydar – wer bleibt unter dem Radar?
Manche queere Menschen behaupten, mit ihrem Gaydar andere queers nur anhand ihrer Vibes ausfindig machen zu können. Warum diese Denkweise problematisch sein kann – Eine Meinung.
von Franzi Leibl
Was ist ein Gaydar?
Der Begriff Gaydar wurde erstmals von einer gleichnamigen Dating-Webseite in den 1990ern eingeführt. Damals war es schwer, andere Personen aus der Community kennenzulernen, da es als ein Tabu-Thema oder gar als gefährlich galt. Die Plattform – die es noch heute gibt – wollte das erleichtern: Anhand einer digitalen Karte wurden Schwulen andere User:innen angezeigt, die sich in ihrer näheren Umgebung befunden haben und Lust auf unverbindlichen Sex hatten.
Seit einigen Jahren wird der Begriff zumeist in einem anderen Kontext verwendet: In vielen Posts auf Social Media wird die Idee verbreitet, man habe als queerer Mensch eine Art Gaydar verinnerlicht und somit eine sensible Antenne für andere queers. Dass man mit den eigenen Prognosen dabei oft falsch liegt (wie auch eine Studie von Janet Hyde belegt), wird meistens vernachlässigt; bei Fällen hingegen, in denen man mit den Zuschreibungen recht behalten hatte, hält sich der ‚Erfolg‘ umso hartnäckiger im Kopf. Ein Parade-Beispiel hierfür sind YouTube-Formate wie »Who’s a Lesbian?«, in denen lesbische Frauen andere Frauen vorgestellt bekommen und mit wenigen Blicken sie einer sexuellen Orientierung zuordnen sollen.
Woran erkannte man früher LGBTQI+-Personen?
Früher war es einerseits für queere Menschen verhältnismäßig einfach, sich vom Rest der Norm abzuheben: Um anderen queers aufzufallen, musste man lediglich als weiblich gelesene Person untypisch ‚maskuline‘ bzw. als maskulin gelesene Person ‚feminine‘ Kleidung tragen. Auch Personen, die einen Habitus verinnerlicht hatten, welcher nicht dem eigenen Geschlechts-Stereotyp zugeschrieben wurde, wurden schnell als »andersherum« identifiziert. Man erkannte andere queers also recht einfach – in der Theorie. Denn andererseits konnten viele queers ihr ‚Anderssein‘ in ihrer Umgebung auch nicht offen ausleben: Besonders in ländlicheren Gegenden herrschte ein nicht gerade offenes Weltbild und Homo- und Transsexualität wurden lange als strafbar angesehen und sind es in vielen Ländern noch bis heute.
Um auf offener Straße oder in Bars dennoch auf sich aufmerksam zu machen und miteinander kommunizieren zu können, wurden einige Codes eingeführt: der Hanky Code in der Schwulenszene der 1970er etwa, bei dem mittels der Bandanafarbe die sexuellen Vorlieben kommuniziert wurden.
Gleichzeitig wurden Jahrzehnt für Jahrzehnt (befördert auch durch Medien) neue Stereotype vermittelt: Schwule würden sehr gestriegelt aussehen und gerne enge Jeans tragen; Lesben wären ungeschminkt und hätten kurze Haare. Natürlich sahen und sehen nicht alle gays so aus und dennoch halten sich diese Bilder nachhaltig in den Köpfen der Gesellschaft. Interessant dabei ist: Es scheint, als hätten die Community-Mitglieder nicht selten bewusst damit kokettiert (und tun es wohl auch noch heute), indem sie sich diesem Stil früher oder später mehr oder weniger anpassten. Sei es, weil sie sich in diesem Stil einfach wohlfühlen; sei es, um ihre Zugehörigkeit zu der Community und damit ihren Stolz deutlich zu machen.
Wo liegt das Problem?
Es war schon immer naiv zu denken, man habe das Recht, Leute anhand ihrer Vibes oder ihres Aussehens in Schubladen zu stecken. Eine Lautschrift-Umfrage auf Instagram zeigt, dass auch heute noch Stereotype im Kopf vorhanden sind: Der Karabinerhaken etwa, welcher an der Hose befestigt wird, oder auch ein Undercut/Mullet als Haarschnnitt wurden dabei am häufigsten genannt. Wer einmal darüber nachdenkt, stellt schnell fest, dass auch nicht-queere Menschen diese Eigenschaften tragen können – und umgekehrt queere Personen auch einen ‚Mainstream‘-Kleidungsstil haben können, weil sie einen anderen Stil haben oder schlicht keinen Wert auf Mode legen.
Genau darin liegt die Krux: Es ist wohl heute noch schwieriger geworden, auch nur den Hauch einer Tendenz der sexuellen Orientierung allein durch modische Codes zu erkennen: Prideflags tragen oftmals auch Allys mit großem Stolz und auch Hobbys und Mode-Trends sind im Allgemeinen nicht-binärer und androgyner geworden – und das ist auch gut so. Denn so kann (hoffentlich bald in allen Gegenden) jede:r sich mit dem beschäftigen, was ihr:ihm Spaß macht und das tragen, in dem er:sie sich wohlfühlt.
Trotzdem ist das Bedürfnis von queeren Menschen, für sich eine eigene Community zu finden, nicht einfach so verloren gegangen. Vermutlich klammern sie sich deshalb mit dem Gaydar an der Hoffnung fest, ‚Gleichgesinnte‘ in der Öffentlichkeit mit nur wenigen Blicken ausfindig machen zu können und somit direkten Fragen wie »Bist du eigentlich queer?« – welche für nicht-geoutete Menschen unangenehme Folgen haben könnten – aus dem Weg gehen zu können.
Wie also queers erkennen?
Klar: Es kann unterhaltsam sein, in einer Vorlesung oder einem Café zu rätseln, welche sexuelle Orientierung eine vorbeigehende Person haben könnte. Doch man sollte immer im Hinterkopf behalten, dass eine solche Zuschreibung streng genommen bereits übergriffig ist. Zudem identifiziert man leichtfertig nur Menschen als queer, deren Eigenschaften die Stereotypen bestätigen. In der Folge wird die gedachte Community uniformer – und gleichzeitig weniger offen. Dadurch würde sie auf Dauer auch ihr Safe Space-Potenzial für queere Menschen verlieren, die diesen Stereotypen nicht entsprechen wollen oder ihnen auch nicht entsprechen können. Sie fühlen sich oft nicht ‚berechtigt‘, dort willkommen oder zugehörig sein zu können. Nicht selten hört man etwa von feminin-wirkenden, bisexuellen Personen, dass sie in der Community schief angeschaut würden und sich daher nicht wohlfühlten.
Bevor also Leute ‚gejudged‘ werden, sollte man sie doch lieber erst einmal kennenlernen und sich mit ihnen unterhalten. Und wer Angst hat, sich unglücklich in eine Hetero-Person zu verlieben, weil man anfangs dachte, seine hohe Stimme, lackierten Fingernägel und engen, bauchfreien Tops wären Indizien für eine queere Person (weil es auf gute-frage.net so stand), so kann man stattdessen auch einfach queere Stammtische besuchen oder eine Datingapp verwenden, um auf diese Art und Weise andere queers kennenzulernen.
Titelbild © Franzi Leibl
Quellen (zuletzt aufgerufen am 09.12.24):
http://www.spektrum.de/news/das-schwulen-radar-ist-einbildung/1365125