»Gloriamarsch«

»Gloriamarsch«
Alljährlich lockt der Romantische Weihnachtsmarkt Scharen an Weihnachtsenthusiasten aufs Schloss TuT. Dabei vermeintlich gekonnt vergessen: Der fade Beigeschmack politischer und populistischer Narrenfreiheit. Ein Kommentar.

Von Yannick Schmidl

Wenn der Gros an lahmgelegten Autos im Verkehrschaos rund um den Petersweg tendenziell drei Buchstaben aufweist und die Reisebusdichte in Regensburg exponentiell steigt, ist wieder Christkindlsmarktzeit in der Domstadt.

Die letzten Krokodilstränen aus harten und verlustreichen COVID-Zeiten mit den Zehn-Euro-Scheinen der Eintrittsgelder abgetupft, eröffnet der hiesige Veranstaltungsmogul Peter K. traditionell sein Herzensprojekt »Romantischer Weihnachtsmarkt« in diesem Jahr mit kruden Thesen über gute und schlechte Ausländer:innen. Der konservative und patriotische Schirmherr wird seinen selbstzugeschriebenen Charaktereigenschaften erneut ausnahmslos gerecht. Eine flammende Eröffnungsrede, die den Weg für besinnliche Festtage auf Glorias Domizil ebnet. Also alles wie immer.

So kommet in Scharen und pilgert zu den prunkvollen, gar heiligen Schlosshöfen unserer Fürstin. Das Publikum ist ähnlich divers und bunt wie der Genpool einer klassischen Adelsfamilie aus dem 18. Jahrhundert. Der Glühwein so dunkelrot wie Glorias weiße Weste, betrachtet man ihre medialen Fehltritte der letzten Jahre: Rechtspopulismus, Schwurbelei über lebensbedrohlichen Luftdruckabfall durch erneuerbare Energien und die ewige Leier von der gotteswidrigen Homosexualität. Harter Tobak, wenngleich nur ein kleiner Auszug, öffentlich zur Schau gestellt und dramatisch aufbereitet unter anderem auf journalistisch hochwertigen Plattformen wie »Achtung Reichelt!«. Achtung Ironie! Glorias Narrative sind bereits so normalisiert und tief in der Regensburger DNA verwurzelt, dass man kaum überrascht wäre, bekäme man seinen Jägertee persönlich vom weihnachtlichen Julian Reichelt in einer der zahlreichen Marktstände überreicht. Erschreckend, oder eben auch nicht, ist dementsprechend jedes Jahr aufs Neue der schier unendliche Andrang. Längst vergangen sind Zeiten, als es noch Szenenapplaus im Fernsehpublikum gab, wenn man schelmisch sexuelle Aktivitäten nach Hautfarbe der Menschen kategorisierte. Und doch wartet man vergebens auf den letzten Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Gibt es eine Grenze des Sagbaren, die erst überschritten werden muss, bis ernsthaft damit begonnen wird einen Besuch gegenüber moralisch geltenden Werten und Normen abzuwägen? Und wenn ja, wo lässt sich diese Grenze verorten?

Wer den Absprung aus dieser Horror-Show schafft oder blindlings in den Fängen der vorweihnachtlichen Lethargie weiterverweilt, ist oftmals eine Frage der individuellen Zumutbarkeit und Beratungsresistenz. Erschwerend hinzu kommt das Framing einer ruhigen und warmherzigen Weihnacht. Das weihnachtliche Rahmenprogramm umgibt uns wie Watte. Wham!s »Last Christmas« versetzt uns in Trance, der warme Alkohol und die aus dem Ruder laufenden Fressgelage betäuben unsere Sinne, reduzieren unser Urteilsvermögen auf das Nötigste und lassen unsere Toleranz gegenüber populistischen Äußerungen ins Unermessliche steigen. Weihnachten ist schließlich auch da, um zu vergeben. Wir Regensburger wissen scheinbar wie, Jahr für Jahr, immer und immer wieder …


Beitragsbild ©Yannick Schmidl

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