Prokrastination – Wie man sich von der Ablenkung ablenkt

Prokrastination – Wie man sich von der Ablenkung ablenkt
»Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen!« Doch was, wenn das aber einfach nicht funktioniert? Wenn die Zeit unaufhaltsam auf die Abgabe, die Klausur zurast? Zeit wäre da, man müsste sie nur richtig nutzen können…

Christian Wex

Prokrastination: ein Begriff, der womöglich so gut wie jedem Studierenden bekannt ist. Fast jeder ist schon einmal in das verrufene Aufschieben von wichtigen Dingen wie dem Lernen für Klausuren abgerutscht, und nahezu alle Betroffenen wollen dieses Verhalten unbedingt wieder loswerden. Aber was ist Prokrastination genau? Kann man nicht auch ohne schlechtes Gewissen aufschieben und sich dem Leben neben der Uni widmen?

Prokrastination: Was ist und folgt

Prokrastination ist das freiwillige Aufschieben von Handlungen, die man sich eigentlich vorgenommen hat. Freiwillig, das heißt: Man könnte sich der Sache jederzeit widmen und wird nicht durch andere Termine und Aufgaben oder beispielsweise durch Krankheit aufgehalten. Zudem sind die Konsequenzen des Aufschiebens wohl bewusst und real. Lerne ich nicht für die Klausur, besteht die Möglichkeit, dass ich durchfalle. So bewusst und real, dass Prokrastination oft mit subjektivem Unbehagen einhergeht, obwohl man sich mit objektiv angenehmeren Sachen statt zum Beispiel dem Lernen beschäftigt. Was folgt sind nicht nur direkte Konsequenzen wie eine möglicherweise nicht bestandene Klausur in der Uni. Weitreichender kann das pathologische Aufschieben auch in anderen Lebensbereichen zu Problemen führen: verpasste Berufschancen und Fristen, erschwerter Kontakt mit Freunden, weil man es nicht schafft, sich zurückzumelden, und Schlafmangel, weil man abends nicht sein Handy beiseite legen kann. Vielmehr sind auch die Auswirkungen auf die Gesundheit hervorzuheben: Prokrastination geht mit einem allgemein höheren Stresslevel, Intervallen hohen Drucks (etwa, wenn man sich Last-Minute noch auf eine Klausur vorbereitet) anderen psychologischen Erkrankungen wie Depression und Anfälligkeit gegenüber weiteren Erkrankungen einher.


Aufschieben ist ok: strategisches Aufschieben

Aus der oben genannten Definition geht hervor, dass Prokrastination grundsätzlich dysfunktional ist. Ganz im Gegensatz zu anderen Formen des Aufschiebens wie z.B. strategischem Aufschieben: ein Sammelbegriff für das Aufschieben von – ja, wichtigen – Aufgaben, aber ohne negative Konsequenzen und subjektivem Unbehagen. Sozusagen konsequenzfreies Aufschieben. Wir wollen und müssen zwischendurch abschalten und uns eine Auszeit nehmen, und das ist ok! Ja, man könnte auch jetzt schon mit dem Lernen anfangen, aber wenn die Klausur erst in drei Monaten angesetzt ist, macht es keinen Unterschied, ob ich mich heute mit dem Lernen beschäftige oder mich mit Freunden treffe.


Warum schaffe ich es nicht mich einfach an den Schreibtisch zu setzen?

Die Gründe für Prokrastination sind genauso vielfältig wie die Konsequenzen. Je nachdem, welches Modell man aus der Motivations- oder Emotionsforschung anwendet, kommt man zu unterschiedlichen Schlüssen die alle ihre Daseinsberechtigung haben. Prokrastination ist ein sehr individuelles Problem ohne universellen Erklärungsansatz. Trotzdem lassen sich theorieübergreifende Gründe feststellen und zusammenfassen:

  1. Mangel an Studien- und Selbstmanagementfähigkeiten (»Ich schiebe auf, weil nicht weiß,
    wie ich die Aufgaben bearbeiten soll.«)
  2. Vorliebe für Druck und vergangene Erfolge (»Ich schiebe auf, weil ich in der letzten
    Klausurenphase auch mit wenig Zeit eine gute Note geschrieben habe.«)
  3. Sorgen und Ängste (»Ich schiebe auf, weil ich Angst habe, die Aufgabe nicht zu schaffen.«)
  4. Unzufriedenheit mit dem Studium (»Ich schiebe auf, weil mir die Aufgabe nicht gefällt oder
    der Dozierende die Lehre unattraktiv gestaltet.«)

Es sind also sowohl externale als auch internale Faktoren, die Prokrastination begünstigen. In anderen Worten: hohe Impulsivität, fehlender Belohnungsaufschub, mangelnde aktuelle Motivation und ein Mangel von Maßnahmen zur Stimmungsregulation. All diese Ansätze lassen sich aber im letzten Schritt auf ein Versagen der Selbstregulation reduzieren.

Prokrastination den Kampf ansagen: kleine Mittel mit großem Effekt?

Wie kann ich mich also davon überzeugen, meine Aufgaben nicht weiter aufzuschieben? Man könnte allgemeine Trainings zu Zeitmanagement oder in schweren Fällen auch eine Therapie absolvieren. Universitäten wie die Universität Münster bieten Studierenden Sprechstundentermine und Gruppentrainings/Workshops an. Man kann aber auch schon im kleinen Rahmen Veränderungen schaffen:
Zuallererst hilft es schon, sich ausgiebig mit Prokrastination und sich selbst zu beschäftigen also Bewusstsein zu schaffen. Das kann beispielsweise über ein Lern-/Prokrastinationstagebuch geschehen. In diesem nimmt man sich verbindlich vor, zu einen spezifischen Zeitpunkt zu lernen, und kann anschließend reflektieren, warum man es vielleicht doch nicht geschafft hat. Darauf aufbauend helfen »Wenn-Dann-Pläne« – Wenn ich mir vornehme, heute Nachmittag zu lernen, dann werde ich die Verabredung mit meinen Freunden verschieben, wenn ich spontan gefragt werde. Oder auch einfacher: Wenn ich später lerne, stelle ich mein Handy auf stumm, damit ich nicht bei der Arbeit gestört werde. Ziel ist es, sich schon im vorhinein Antworten auf Ablenkungen zu überlegen, um nicht aus dem Impuls heraus für andere Dinge zu entscheiden.

Das Thema Ablenkung vermeiden kann aber auch auf einer anderen, physischeren Ebene umgesetzt werden: den Arbeitsplatz umgestalten. Muss mein Handy wirklich neben mir liegen, wenn ich lerne? Was ist mit den offenen Tabs die alle im Hintergrund auf meinem Laptop geöffnet sind? Im Sinne der Impulskontrolle reicht es oft schon aus, die Ablenkung aus dem Sichtfeld zu entfernen. Alles was gerade nicht für die Aufgabe nötig ist, kann vom Arbeitsplatz weg. Minimalismus kann großgeschrieben werden.
Zuletzt kann es entscheidend sein, sich nochmals mit dem Sinn der Aufgabe und auch allgemeiner des Studiums zu beschäftigen. Warum mache ich das hier überhaupt? Im rasenden Uni-Alltag kann man schnell den Überblick verlieren, wenn keine Zeit mehr für Reflexion bleibt. Sich Zeit zu nehmen und sich bewusst zu machen, dass sich die heutige Arbeit lohnt, damit man später seinen Traumberuf ausüben kann, kann Orientierung bieten und Wert schaffen. Neben diesem Ziel in ferner Zukunft darf man sich aber auch schon heute belohnen: Wenn ich heute meinen Lernplan einhalte, probiere ich später was von der neuen Schokolade. Das mag vielleicht sehr simpel klingen, kann aber im gewissen Rahmen helfen. Wichtig ist nur, dass die Belohnung nicht selbst Prokrastination bedingt.

Fazit

Prokrastination ist ein weit verbreitetes Phänomen, das nicht nur Studierende betrifft, sondern Menschen in allen Lebenslagen. Es ist wichtig zu erkennen, dass Aufschieben nicht zwangsläufig negativ sein muss, solange es bewusst und ohne negative Konsequenzen geschieht. Durch das Verstehen der eigenen Motive und das Anwenden gezielter Strategien kann man der Prokrastination entgegenwirken und einen produktiveren Alltag gestalten. Letztlich geht es darum, einen Weg zu finden, der sowohl den Anforderungen des Lebens gerecht wird als auch Raum für persönliche Bedürfnisse lässt.


Titelbild © Christian Wex

Für Interessierte:

Prokrastinationsambulanz Münster (Literatur, Informationen und Vorlagen für Wenn-Dann Regeln und Lerntagebücher): https://www.unimuenster.de/Prokrastinationsambulanz/prokrastination.html
Klingsieck, K. B. (2013). Procrastination. European Psychologist, 18(1), 24–34. https://doi.org/10.1027/1016-9040/a000138
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procrastination: An interview study. European Journal of Psychology of Education, 28(3), https://doi.org/10.1007/s10212-012-0143-4Grunschel, C., Patrzek, J., Klingsieck, K. B., & Fries, S. (2018). “I’ll stop procrastinating now!”
Fostering specific processes of self-regulated learning to reduce academic procrastination.
Journal of Prevention & Intervention in the Community, 46(2), 143–157. https://doi.org/10.1080/10852352.2016.1198166
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Steel, P., & König, C. J. (2006). Integrating Theories of Motivation. Academy of Management Review, 31(4), 889–913. https://doi.org/10.5465/amr.2006.22527462
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