»Sie wussten, Hitler bedeutet Krieg« – ein Autorengespräch
Mit dem Fahrrad durch ganz Ostbayern, aus der Tschechoslowakei und bis nach München schmuggelten Sozialdemokrat:innen nach der Machtübernahme Hitlers Literatur. Oft unter Tarntiteln und teils versteckt, eingebacken in Brotlaiben. Thomas Muggenthaler hat einige dieser Menschen in seinem neuen Buch porträtiert und in einem Autorengespräch über die Hintergründe gesprochen.
von Antonia Herzinger und Olivia Rabe
Zeitzeug:innen verbinden uns direkt mit unserer Geschichte
Gespräche mit Zeitzeug:innen sind der direkte Zugang zu unserer Geschichte. Durch sie werden uns persönliche Einblicke in ungreifbare historische Ereignisse geboten, die über Fakten hinausgehen. Ihr Beitrag ergänzt schriftliche Quellen und hebt Details hervor, die normalerweise verloren gingen. Jüd:innen wie Margot Friedländer setzen sich bis heute dafür ein, dass wir die Verbrechen zur Zeit des Nationalsozialismus nicht vergessen. Zeitzeug:innen können aber auch nicht-jüdische Deutsche sein, die in den 1930er Jahren Widerstand geleistet haben. So etwa Sozialdemokrat:innen in Regensburg und ganz Ostbayern.
Aufarbeitung der NS-Vergangenheit auf der »Erinnerungsebene«
Die Geschichten dieser Zeitzeug:innen erzählt Autor und Journalist Thomas Muggenthaler in seinem neuen Buch »Der Literaturschmuggel – Sozialdemokratischer Widerstand in Ostbayern«, das am vergangenen Dienstag von der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) Bayern veröffentlicht wurde. Muggenthaler beschäftigt sich schon seit seinem Studium der Politikwissenschaft an der Uni Regensburg mit der Aufarbeitung des Nationalsozialismus. Er bricht das Thema auf die »Erinnerungsebene« herunter indem er mit Zeitzeug:innen spricht und sie porträtiert. Im Laufe der Jahre hat er Radiointerviews geführt, einen Film veröffentlicht und diverse Bücher publiziert.
Schon Anfang der 80er Jahre ist Muggenthaler auf den Sozialdemokratischen Literaturschmuggel in Ostbayern zur Zeit des Nationalsozialismus gestoßen. In seinem neuen Buch dokumentiert er über Jahre gesammelte Geschichten, veranschaulicht mit Bildern und Dokumenten, die ihm teils dei Familien und teils die Zeitzeug:innen selbst zur Verfügung gestellt haben.
Sozialdemokrat:innen aus Ostbayern leisten dem NS-Regime Widerstand
Im Zuge der Machtergreifung 1933 begannen Sozialdemokrat:innen in Ostbayern »Literatur« zu schmuggeln, aus der Tschechoslowakei in das Deutsche Reich. In seinem neuen Buch geht es Muggenthaler darum, Menschen zu porträtieren, die nicht schon längst zu Ikonen des Widerstands erhoben worden sind. Er erzählt Geschichten von »der Basis«. Damit meint er Frauen und Männer, die zwar nicht zu mittlerweile bekannten Widerstandsbewegungen wie der Weißen Rose oder des Attentats des 20. Juli 1944 gehören, jedoch im »Kleinen« ihren Beitrag geleistet haben.
Menschen wie Hans und Martha Weber aus Regensburg, Helene Joringer aus Straubing sowie den Brüdern Franz und Josef Mörtl aus Weiden, die Muggenthaler porträtiert, waren ab 1933 Teil eines Netzwerks von Sozialdemokrat:innen, die Zeitschriften und Flugblätter in ganz Ostbayern, in der Tschechoslowakei und bis nach München verbreiteten – und das zum Beispiel auf dem Fahrrad, versteckt in einem Laib Brot. Auf dünnstem Papier gedruckt und getarnt unter irreführenden Titeln wie »Die Kunst des Selbstrasierens« berichteten sie von Verbrechen des Regimes. »Sie wussten, Hitler bedeutet Krieg«, heißt es auch auf dem Titelbild des Buches.
Widerständler:innen zahlen einen hohen Preis
Die Nachrichten blieben allerdings meist innerhalb der sozialdemokratischen Kreise. Das Risiko war immer, von der Geheimen Staatspolizei entdeckt zu werden. Genau das passiert 1934 in Nürnberg, als die Gestapo Flugblätter von Sozialdemokrat:innen findet. Es kommt zu Massenverhaftungen und einem »Mammutprozess«. 46 Menschen werden zu Gefängnis- und Zuchthausstrafen verurteilt. Viele landen später in der Bewährungseinheit 999. Einige fallen im Krieg, so auch der Ehemann von Helene Joringer. Sie bezahlen einen hohen Preis für ihr Engagement.
Am Ende des Buches finden Leser:innen eine Liste der Urteile des Obersten Landesgerichts München, mit den Namen einiger der Verurteilten. Detlef Staude, ein Mitarbeiter der FES Bayern in Regensburg, teilte im Autorengespräch seine Betroffenheit. Er selbst erkannte auf der Liste einige ihm bekannte Namen. Daran merkt man, wie wichtig Auseinandersetzung mit der Geschichte der Region und der Menschen vor Ort ist.
»Demokratie braucht Demokraten und Demokratinnen« – frei nach Friedrich Ebert
Die Lebensverläufe, die Muggenthaler im Buch nachzeichnet, stehen stellvertretend für viele Menschen aus Ostbayern. Im Vorwort heißt es: »[Es] soll verdeutlicht werden, wie wichtig demokratische Haltung, Zivilcourage, Widerstand gegen den Faschismus und eine Organisation demokratischer Kräfte sind, um ein Wiedererstarken des Rechtsextremismus zu verhindern.«
Beitragsbild: Autor Thomas Muggenthaler und Gesprächsmoderatorin Julia Weigl-Wagner im Gespräch. ©Olivia Rabe
Das Buch findet ihr hier: https://library.fes.de/pdf-files/bueros/regensburg/21607.pdf
Ein Kurzinterview mit Thomas Muggenthaler findet ihr auf unserem Instagram.