»Wir lassen uns nicht betäuben«
Turbulente Zeiten beschäftigen Menschen und vor allem Frauen auf der ganzen Welt. Foto: Ida Müermann
Mittwoch, der 6. November: Unsere Redakteurin wacht zu den Nachrichten über Donald Trumps Wahlsieg auf und geht zu denen über Lindners Entlassung durch Olaf Scholz zu Bett. Die Politik wirkt wie ein einziges Chaos und der Hass gegen den Feminismus wird immer lauter. Was jetzt wichtig ist.
von Jule Schweitzer
Politische Verwirrung
»Männer dürfen nicht mehr nur konsequenzlos sagen, dass sie eine Frau sexualisieren oder gar vergewaltigen wollen, sondern werden sogar zum Präsidenten gewählt«, fasste Spiegel-Kolumnistin Tara-Louise Wittwer die Gedanken vieler in Hinblick auf die amerikanischen Präsidentschaftswahlergebnisse zusammen. Trumps Wahlsieg überrascht mich eigentlich nicht und dennoch sitzen Aussagen wie die von Tara tief.
Denn (mal wieder) einen Mann an der Spitze eines Landes zu sehen, der wenig anderes im Kopf zu haben scheint, als seine Macht in seinem eigenen Sinne zu (miss)brauchen, zeigt, wie wenig weit der Feminismus in einigen Punkten doch noch ist. Wahlen und politische Umbrüche präsentieren gesellschaftliche Missstände besonders und, ach, da war ja noch etwas seit dem 6. November: Die Ampel-Regierung bricht zusammen, es soll Neuwahlen geben.
Auch in Deutschland herrscht Verunsicherung über die aktuelle Politik und über die, die jetzt kommen wird. Viele können bei den Gedanken an Wahlen nur den Kopf schütteln über die Frage: Wen kann man denn eigentlich wählen?
Der 25. November
Am 25. November ist der Tag gegen patriarchale Gewalt. Eine Art noch konkreterer Schwesterntag des 8. März. Es ist der Tag, der immer wieder beweist, dass selbst, wenn auf dem Papier die Gleichberechtigung der Geschlechter (in Deutschland) zunehmend gegeben ist, davon in Haushalten, in Beziehungen oder Situationen unter der patriarchalen Struktur nicht die Rede sein kann. Auch wenn Frauen inzwischen mehr in Führungspositionen zu finden sind und bessere Leistungen in der Schule bringen, was das Ende des Patriarchats zu einer »Krise der jungen Männer« mache, wie ein WELT-Artikel berichtet, müssen viele Frauen im Privaten nach wie vor ums Überleben kämpfen. Ein Kampf, den sie zu oft verlieren. Die Website der UN-Women Deutschland fasst dies in Zahlen zusammen: Im Jahr 2023 wurden 331 Frauen Opfer von versuchtem/vollendeten Mord oder Totschlag (2022: 312 Frauen) und 155 Frauen wurden durch ihren (Ex-)Partner getötet – alle zwei Tage! (2022: 133 getötete Frauen). Wer also der Meinung ist, der Feminismus habe seine Agenda wegen beruflicher Karrieren erreicht, ist herzlich eingeladen, nochmal darüber nachzudenken.
Hoffnung?
Zahlen wie diese machen es oftmals leicht, die Hoffnung aufgeben zu wollen. Doch gerade das will der 25. November nicht. Denn diesen Tag soll es geben, um einerseits den Opfern patriarchaler Gewalt zu gedenken, aber andererseits auch, um Gerechtigkeit für sie zu fordern und für eine Besserung zu kämpfen, um laut zu werden. Und genau das ist zum Beispiel möglich auf der von den Studis gegen Rechts organisierten Demonstration direkt am Montag, den 25. November um 16.30 Uhr. Treffpunkt ist der Bismarckplatz.
»Wir lassen uns nicht betäuben«
Ist das Motto einer Kundgebung (inklusive Aktion) am 30. November ab 16.00 am Domplatz. Diese Kundgebung und Aktion hat sich als Fokus Gisèle Pelicot gesetzt und mit ihr einen Fall an häuslicher und sexualisierter Gewalt, der mir und vielen anderen diesen Sommer das Herz gebrochen hat. In diesem Fall stand besonders die Tatsache im Vordergrund, dass Gisèle Pelicot über Jahre hinweg unwissend von ihrem Ehemann betäubt worden war, um sie dann von anderen Männern vergewaltigen zu lassen. Die Regensburger Gruppe eben.widerspruch veröffentlicht auf Instagram Erfahrungsberichte über sogenanntes »Spiking«, also das unbemerkte Verabreichen von Drogen, wie zum Beispiel K.O.-Tropfen, im Getränk und hat sich als Ziel gesetzt, Regensburger Clubs und Bars mehr auf das Problem aufmerksam zu machen und kostenlose Teststreifen für gespikte Getränke zu verteilen.
Fazit: Was jetzt wichtig ist…
…ist, sich gegen das Bedürfnis zu entscheiden, die Hoffnung aufzugeben, weil es in Anbetracht heftigster Fälle wie Pelicots, zu schwer erscheint, wirklich etwas tun zu können. Was man immer machen kann, ist, sich im eigenen Umfeld, der eigenen Stadt umzusehen und Problembewusstsein zu schaffen, so klein das manchmal auch wirken mag. Und, so weit der Weg auch noch ist, ist es wichtig, die Erfolge, die es bereits gab, anzuerkennen. Daher hier eine Liste einiger seit 1900 (die auch zeigt, wie jung die meisten Gesetze sind):
1911 – Erster Internationaler Frauentag
1918 – Frauenwahlrecht
1949 – Gleichberechtigung in der Verfassung
1961 – Frauen in der Regierung
1971 – Erstmals öffentliche Ansprache der Abtreibung (Paragraf 218)
1973 – Eröffnung von Frauenräumen
1976 – Feministische Medien
1977 – Erstes Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts (Frau ist nicht mehr gesetzlich zur Haushaltsführung verpflichtet)
1980 – Gesetz über die Gleichbehandlung von Männern und Frauen am Arbeitsplatz
1997 – Vergewaltigung in der Ehe wird strafbar
2001 – das letzte deutsche Berufsverbot für Frauen fällt
2001 – eingetragene Partnerschaft
2002 – Wegweisungsgesetz tritt in Kraft
2003 – Die Sicherheitsverwahrung von Sexualstraftäter:innen kann nachträglich angeordnet werden
2005 – Erste deutsche Bundeskanzlerin
2016 – sexuelle Belästigung wird ein Straftatbestand
2021 – »Verletzung des Intimbereichs durch Bildaufnahmen« wird unter Strafe gestellt
Für Interessierte:
Spiegel-Kolumne Tara-Louise Wittwer: https://www.spiegel.de/kultur/us-wahl-2024-die-auswirkungen-auf-frauen-der-feind-zeigt-sein-wahres-gesicht-a-e08ee2a1-f29d-45e6-8ef8-a6ef71b00ef6
Erklärung des 25. Novembers: https://www.lautschrift.org/2023/11/20/rote-schuhe-und-der-25-november/
Welt-Artikel: Ende des Patriarchats: Die Krise junger Männer geht uns alle an – WELT
UN-Women Deutschland:
https://unwomen.de/gewalt-gegen-frauen-in-deutschland/
Feministische Geschichte:
https://www.boell.de/de/2018/07/03/von-welle-zu-welle
https://www.emma.de/artikel/35-jahre-frauenbewegung-die-chronik-der-erfolge-263867
Beitragsbild: Ida Müermann