»Kanzlerfrage«

»Kanzlerfrage«

Spieglein, Spieglein an der Wand- wer ist der Beliebteste im ganzen Land? Von einem Weihnachtsmärchen kann nicht die Rede sein, stattdessen von einem Weihnachtswahlkampf. Dominiert der männlich geprägte Machtkampf die Nachrichten?

Von Ida Müermann

Die Ampel ist Geschichte- oder hat zumindest zur Fußgängerampel gewechselt. Das ist eh umweltfreundlicher, Politik für Menschen, nicht für Autos! Vielleicht kann man sich ohne den Spar- und Kapitalismus-Kurs der FDP jetzt auf Umweltschutz und Investitionen in die Zukunft konzentrieren? Leider nein: es ist Wahlkampf. Bin ich zu feministisch, zu voreingenommen und sehe nur einen männlich dominierten Machtdiskurs? Eine Suche nach Inhalten.

Mit Memes den Ampelcrash ertragen

Mein Feed auf Instagram ist mit Memes geflutet. Bilder von Christian Lindner in schwarz- weiß, nachdenkliche Pose, »Manchmal muss man erst fallen, um fliegen zu können«, »Deutschlands frechster Arbeitsloser« oder »don´t be part of the problem- be the entire problem«. Während für die Meme Pages scheinbar ein goldenes Zeitalter angebrochen ist, sieht es für Christian Lindner düster aus. Ein überraschendes Ende der Zusammenarbeit, das gar nicht so überraschend kam. Herr Lindner wirft Herr Scholz einen kalkulierten Bruch und ein genau vorbereitetes Statement vor. Genau vorbereitet war die FDP aber auch selbst. Recherchen von der Zeit und der Süddeutschen Zeitung haben ergeben, dass die FDP seit Ende September Vorbereitungen für ein Zerbrechen der Ampelkoalition getroffen hat. Diplomatisch formuliert wurden schon länger Szenarien erwogen und Stimmungsbilder eingeholt über die weitere Regierungsbeteiligung. Der Grund für den Ausstieg aus der weiteren Regierungsbeteiligung bringt uns zurück zum Thema Machtdiskurs.  Nach langen Diskussionen vor einigen Monaten war der Haushalt für 2025 beschlossen. Diese Einigung hatte Christian Lindner übersehen und es kam letzte Woche erneut zu heftigen Diskussionen über die Wirtschafts- und Haushaltspolitik. Die Folge war eine überraschende und ungewohnte Machtdemonstration von unserem Bundeskanzler Olaf Scholz, der seinen bremsenden Finanzminister kurzerhand entließ. Als Reaktion sprach die FDP selbst ein Machtwort und zog alle Minister aus der Bundesregierung zurück. Damit endet das Dreierbündnis der Ampelkoalition.

Vertrauensfrage, Inhaltsfrage, Kanzlerfrage

Infolgedessen muss unser Kanzler jetzt die Vertrauensfrage stellen und der Wahlkampf beginnt – Wahlkampf über Weihnachten. Der Unionsfraktion kann eine Machtübernahme scheinbar gar nicht schnell genug gehen. Sie hat Scholz aufgefordert, spätestens in der kommenden Woche die Vertrauensfrage im Bundestag zu stellen. Ich frage mich, was die Hektik soll. Die Unionsfraktion war so viele Jahre Teil der Bundesregierung und hat es in 16 Jahren auch nicht geschafft, für eine stabile Infrastruktur, Klimaschutz und Digitalisierung zu sorgen. Was macht jetzt ein Monat für einen Unterschied? Aber anstelle sich um inhaltliche Fragen zu kümmern und gemeinsam letzte Ideen umzusetzen, sind die Parteien jetzt in den Wahlkampfmodus gewechselt. Anstelle der Umsetzung letzter Vorschläge wie steuerlichen Entlastungen, Ausgaben für die Sicherheit und eine Stabilisierung der Rente dominiert die Kanzlerfrage die Schlagzeilen. Die SPD selbst ist sich uneins, ob sie mit dem gescheiterten Scholz noch einen aussichtsreichen Kanzlerkandidaten vorweisen können. Boris Pistorius wird mit in den Ring des Machtkampfes geworfen, weil er einen hohen Beliebtheitsgrad in der Bevölkerung hat. Dass der Verteidigungsminister selbst erklärt hat, keine Ambitionen auf eine Kanzlerkandidatur zu haben, wird dabei ignoriert.

Söders Senf nicht nur für Bratwürste

Vor allem, wenn sich wichtige und ernsthafte Personen für Herrn Pistorius aussprechen. Genau, die Rede ist hier von CSU-Chef Markus Söder. Er geht von einem Sieg der Unionsfraktion aus und hat eine klare Meinung zu möglichen Koalitionspartnern. Eine Zusammenarbeit mit den Grünen schließt Herr Söder, wie nicht anders zu erwarten nach Jahren des Grünen-Bashing, aus. Stattdessen lädt er Boris Pistorius dazu ein, Juniorpartner der Unionsfraktion zu werden. Der für Bayern zuständige Ministerpräsident mischt sich also nicht nur in die Bundespolitik seiner Schwesternpartei ein, sondern gibt auch noch Ratschläge an andere Parteien, wie sie am besten Politik machen sollten. Mich würde interessieren, woher Markus Söder das Selbstbewusstsein dafür hernimmt, nachdem er vor wenigen Tagen überhaupt das erste Mal eine Rede im Bundestag gehalten hat. Aber scheinbar fühlt unser Ministerpräsident sich bei Machtfragen einfach angesprochen. Auch wenn er selbst nicht der Kanzlerkandidat für die CDU/CSU ist. Richtig, zurück zur Kanzlerfrage: wen haben wir denn noch zu bieten?

Kanzleransprüche und Sexismus? Hauptsache am Küchentisch.

Da ist Robert Habeck, der sich kurz nach dem Bruch der Ampelkoalition scheinbar angesprochen fühlt. Er verkündet seine Kanzlerkandidatur mit Taylor-Swift-Perlen und Gesprächsangeboten bei Freunden am Küchentisch. Habeck erklärt sich bereit, gerade wenn es schwierig wird, zu führen. Scheinbar waren die drei letzten Jahre als Vizekanzler nicht schwierig genug, um Klimaziele und soziale Interessen durchzusetzen. Dafür braucht es wohl die Macht eines Robert Habeck als Bundeskanzler. Heute ist es offiziell: Robert Habeck wurde mit 96,48 Prozent der Stimmen nach dem dreitägigen Parteitag der Grünen zum Kanzlerkandidaten der Partei ernannt. Das scheint für das Kölner CDU-Mitglied Gundolf Siebeke Grund genug, um das Frauenwahlrecht infrage zu stellen. Auf X benennt er, dass vor allem Frauenstimmen den »politischen Heiratsschwindler Robert H.« zum Kanzler machen könnten. Eine Äußerung, die an Sexismus kaum zu überbieten ist und die natürlich nicht für die ganze Partei gilt. Der CDU-Spitzenkandidat Friedrich Merz ist differenziert von den Worten einzelner Parteimitglieder zu betrachten. Halten wir uns lieber an seine eigenen Aussagen. Damit meine ich nicht die rassistische über »kleine Paschas«, bleiben wir doch beim Thema Frauen. Merz hat sich ganz nebenbei gegen Geschlechterparität für sein Kabinett ausgesprochen. Er argumentiert, dass man den Frauen damit ja auch keinen Gefallen tut. Wie kann es sein, dass Merz Männer in der Machtposition sieht, Frauen einen »Gefallen« zu tun, indem sie ihnen politische Ämter geben? Sein patriarchales, veraltetes Frauenbild wird gerne als traditionell und christlich verteidigt. So traditionell, wie Frauen wichtige Entscheidungsfreiheit über ihren eigenen Körper zu nehmen. Ein am Donnerstag von Vertreterinnen von SPD und Grünen vorgestellter Gesetzentwurf möchte Schwangerschaftsabbrüche vor der 12. Woche legalisieren. Bisher stehen die Abbrüche im Strafgesetzbuch und sind nur unter bestimmten Bedingungen straffrei. Bei einem so wichtigen Thema für Menschen mit Gebärmutter ist es unfassbar, dass sich Friedrich Merz als Mann ohne Gebärmutter, also als nicht betroffene Person, gegen eine schnelle Liberalisierung ausspricht.

Ich habe versucht, nach Fakten zu suchen und neutral zu bleiben. Je mehr ich machtorientierte Artikel und Interviews über die Kanzlerfrage gesehen habe, desto enttäuschter und wütender wurde ich. Im Vergleich zur Kanzlerfrage verschwinden inhaltlich mehr als dringlichen Themen wie dem Klimawandel, die marode Infrastruktur oder der Kampf gegen den Rechtspopulismus. Ich fühle mich von der Politik vergessen. Anstelle eines neuen Kanzlers wünsche ich mir, dass sich die Politik für eine lebenswerte Zukunft einsetzt. Das ist scheinbar im Weihnachtswahlkampf zu viel verlangt.


Beitragsbild: ©Ida Müermann

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