Behörden. Bürokratie. BAföG.
»Ich hab‘ gerade 40 Euro auf meinem Konto und weiß nicht, wie ich meine Miete in einer Woche zahlen soll« – eine Kurzgeschichte über die BAföG-Odyssee.
von Benjamin Brehler
Mit völlig verheulten, roten Augen komme ich in das Zimmer der Sachbearbeiterin des Studierendenwerks. Ich fühle mich schlecht und schäme mich auch ein bisschen. Schweratmend setze ich mich auf einem der beiden Stühle vor ihrem Schreibtisch, während sie den Ordner mit meinen Unterlagen aus einer großen metallenen Aktenschublade kramt. »Ah hier….«, säuselt sie, als sie sich wieder zu mir umdreht und mit einem klassischen desinteressierten Sachbearbeiterinnen-Blick ansieht. Der Kopf ist dabei leicht nach unten geneigt; die 5 Euro-Lesebrille, vorzugsweise vom nächstbesten Müller oder Rossmann, auf der Nasenspitze und ein Gesichtsausdruck der meistens emotionslos, wenn überhaupt leicht genervt, zu interpretieren ist.
Mixed Signals
Einige Wochen zuvor bekam ich mal wieder eine Mail mit der Bitte um Nachreichung fehlender Unterlagen. Nichts Außergewöhnliches. Was wäre ein Antrag ohne zehn fehlende Dokumente, die nach und nach von etwaigen Personen und Stellen eingefordert werden müssen, um dann abwechselnd jeweils von fünf verschiedenen Menschen ausgedruckt, unterschrieben und wieder eingescannt zu werden.
Beim weiteren Lesen der Mail, fiel mir jedoch etwas auf – Es gab keine Informationen darüber was genau denn fehlt. Ich würde eine gesonderte Email dazu erhalten. Abgerundet wurde das Ganze durch die letzten zwei Zeilen der Nachricht, die besagten »Bitte verzichten Sie auf zwischenzeitliche Nachfragen dazu«. Mit einem enttäuschten Seufzer schloss ich die Mail und wartete.
Als nach einer Woche keine weitere genaue Aufforderung kam, entschloss ich mich dazu mein Glück zu versuchen und beim Studierendenwerk anzurufen. Das Wort »Glück« ist dabei ausschlaggebend, denn die Chance jemanden an der anderen Seite der Leitung zu erreichen, sind in etwa so groß wie die Wahrscheinlichkeit mich in einer 8 Uhr Vorlesung aufzufinden – Gegen Null.
»Ich wollte mich nur wegen meines Bafög-Antrags erkundigen«
Nach ein paar erfolglosen Tagen musste ich der Realität ins Auge blicken und einsehen, dass meine letzte Hoffnung Wohl oder Übel der persönliche Gang in das Büro des Studierendenwerks war. Der Entschluss dazu kam natürlich an einem Tag, an dem eh schon viel anderes Privates nicht so ablief, wie geplant, und das Stresslevel auf einem All-Time-High lag. Die Nerven lagen blank, die Verzweiflung war groß und die bevorstehende Konfrontation mit der eigenen Notlage lag wie ein schwerer schwarzer Nebel über mir.
Dort angekommen schilderte ich meine Antragssituation und war kurz davor auch persönlich keine weitere Hilfe zu bekommen. »Leider kann ich Ihnen nicht weiterhelfen. Sie müssen einfach noch ein bisschen warten«. Kurz bevor die Dame sich verabschieden konnte und mich damit passiv zum Gehen aufgefordert hätte, erläuterte ich meine Situation:
»Gibt es irgendeine Möglichkeit wie ich helfen könnte den Prozess zu beschleunigen? Ich hab‘ gerade 40 Euro auf meinem Konto und weiß nicht, wie ich meine Miete in einer Woche zahlen soll«
Als ich diese Worte ausgesprochen hatte, fing meine Stimme an zu zittern und die Tränen schossen mir in die Augen. »Wow. Jetzt stehe ich hier in irgendeinem Büro und fange, im wahrsten Sinne des Wortes, an die Angestellten vollzuheulen«, kam es mir in den Kopf. Dass die ganze Sache mich belastet und nicht wirklich angenehm war, war mir durchaus bewusst, aber wie sehr ich in letzter Zeit anscheinend meinen Frust und meine Sorgen unterdrückt und runtergeschluckt haben muss, wurde mir erst in diesem Moment klar: Ich wurde gebrochen. Deutsche Bürokratie hat mich gebrochen.
Einerseits verstehe ich die Mitarbeiter:innen im Amt. Sie machen auch nur ihren Job und arbeiten sich von Antrag zu Antrag vor, wofür ich ihnen auch dankbar bin, denn ohne sie und ihre Arbeit wäre es mir und wahrscheinlich vielen anderen gar nicht erst möglich diesen Lebensabschnitt zu bestreiten. Andererseits fühle ich mich manchmal nur wie eine Zahl in ihrem Kosmos, ein kleines Nichts, von dem man vergisst, dass es sich dabei um eine Person mit Zielen, Träumen und Sorgen handelt.
Ich sah der Frau an, wie sie sichtlich überfordert war mit meiner Reaktion, und ich konnte es ihr nicht übelnehmen. So etwas passiert wohl nicht alle Tage. Einen mehr oder weniger erwachsenen Mann vor ihr weinen zu sehen löste anscheinend doch etwas Handlungszwang aus und sie riet mir eine Kollegin im zweiten Stock zu besuchen, um der Sache auf den Grund zu gehen.
Sisyphos – Uni Edition
Gesagt getan. Ich klopfte an das Zimmer der besagten Sachbearbeiterin, die mir schlussendlich auch mehr oder weniger genervt sagen konnte welche Information nachzureichen war und konnte das Problem innerhalb von 10 Minuten vor Ort lösen. Warum mir das nicht direkt in der Mail mitgeteilt werden konnte? Weiß ich selbst nicht.
Somit ist das Thema BAföG-Antrag wieder nicht gelöst, jedoch ein Stück weiter zur Vollendung gebracht worden. Jetzt heißt es, wie so oft während des ganzen Prozesses: Warten.
Grafik: Olivia Rabe