»else(someone)« von Carina Sophie Eberle an der ADK
Am Freitag, den 05.07.2024, startete »else(someone)«, eine moderne Adaption des altbekannten Fräulein Elses von Arthur Schnitzler, unter der Regie von Melvin Vigano, in der Säulenhalle an der ADK (Akademie für Darstellende Kunst). Drei Darstellende entführen uns in Elses Welt, eine Welt, die zwischen der Spielsucht des Vaters, sexueller Belästigung alter weißer Männer und der Wahl des richtigen Studienfachs zu kollidieren beginnt. Wie wird Else sich entscheiden? Kann sie sich gegen das, was ihr am Bergsee widerfährt, behaupten?
von Carina Aigner
Triggerwarnung: seelische Gewalt, sexualisierte Gewalt, Suizid und Selbstverletzung.
»Else, Cissy, Paul – wir alle ziehen uns gemeinsam aus«: Ein kurzer Handlungsabriss
Else klar! Else in Ferien! Cissy, Paul und Else gestrandet im nirgendwo – gerettet. Zuhause bei Elses Eltern ging es in letzter Zeit drunter und drüber, mit fliegenden Tellern und zu viel Streit. Der Vater ist spielsüchtig und verschuldet – schonwieder? Nun genießt sie die Ruhe am Bergsee, zusammen mit ihren Freunden Cissy und Paul, vor dem alten Schlosshotel von Cissys Patentante. Hier spielen sie Ping Pong und planschen im Wasser, umgeben von einer märchenhaften Kulisse. Die Berge, der See, das Tal. Else flirtet mit Paul, flirtet mit sich selbst und schlürft Erdbeerlimonade, selbstverständlich selbstgemacht. Alle scheinen in Paul verliebt zu sein. Die Welt schmeckt süß, und die Zukunft scheint voller Versprechen zu sein!
Doch plötzlich taucht Dorsday, ein alter Freund ihres Vaters, vor ihrem Liegestuhl auf. So ein Zufall, meint auch Elses Mutter. Die finanzielle Lage der Familie wird immer kritischer, und vielleicht kann der wohlhabende Dorsday helfen. Natürlich kann er das. Eine unbedeutende Randnotiz: Elsie, die er schon seit ihrer Babyzeit kennt, findet er zuckersüß. Er würde sie gerne einmal ohne ihr Hemd sehen. Auf die guten alten Zeiten. Es scheint doch nichts dabei zu sein, oder?
Eine junge Frau erlebt sexuelle Belästigung. Auch Worte können Gewalt sein, und Blicke erst. Nichts Neues. Trotz der Errungenschaften der Emanzipation wird Else, auch ein Jahrhundert nach Arthur Schnitzlers Erzählung »Fräulein Else«, weiterhin mit der Banalität der Belästigung konfrontiert, als Kehrseite der gängigen Vorstellungen von weiblicher Attraktivität: hübsch, lächelnd, passiv, Prinzessin. Wo beginnt Belästigung, wo hört sie auf? Was macht jemanden zum »Opfer«? Die Belästigung selbst, das Reden darüber oder die öffentliche Wahrnehmung? Kann man Mädchen und Mensch zugleich sein?
Über Dorsdays Gesicht schiebt sich – ein weiteres.
Wir sehen drei junge Frauen auf der Bühne. Sie alle sind Else, sind Bertha, sind Paul, sind Cissy, sind du und sind ich. Wir alle könnten an ihrer Stelle stehen, könnten das fühlen, was sie gerade fühlen. Sexuelle Übergriffigkeit ist geschlechterunabhängig alltagsgegenwärtig und den meisten Personen, die in diesem Theatersaal sitzen, auf die ein oder andere Ebene bekannt. Genau das macht diese Inszenierung so zugänglich, denn das Gleiche ist mir, mir, mir und mir auch schon passiert.
Und es war kein Spaß.
Und es war doch schlimm.
Und ich habe das nicht falsch verstanden.
Und ich stehe da nicht drüber.
Nirgends eine „richtige Frau“, weit und breit kein „echter Mann“.
aus »else(someone)«
Trotz der Schwere, welche dieses Stück im Laufe der Inszenierung mit sich bringt, erzählt es seine Geschichte mit einer gewissen Kurzweiligkeit und vor allem mit Humor. Gerade diese Aspekte tragen das Publikum mit einer Leichtigkeit durch die Inszenierung, welche es den Rezipierenden ermöglicht, den Schmerz des Gezeigten aufzunehmen, ohne damit überfordert zu werden. Sie werden zum nachdenken angeregt. Das Schauspiel wird zudem nicht nur von Bühnenbild und Kostüm unterstütz, sondern spiegelt sich auch dort allumfänglich wieder. Die Bühne spricht, auch, wenn darauf für einen kurzen Moment geschwiegen wird. Es bleibt mir nicht mehr zu sagen als, dass die Inszenierung von »else(someone)« ohne zu übertreiben, als absolut gelungen und bewegend beschrieben werden kann.
Eckdaten
Carina Sophie Eberle arbeitet als Theaterautorin und schreibt Theaterstücke sowie Opernlibretti. Sie hat Germanistik, Französisch und Gesang studiert und ab 2016 unter anderem an den Theatern Bonn und Münster inszeniert. Im Jahr 2022 erhielt Carina Sophie Eberle den Deutschen Jugendtheaterpreis für »else (someone)«. Es gelingt ihr dabei, so die Jury, sprachlich ein eigenständiges Kunstwerk zu schaffen, das der einhundert Jahre alten Me-too-Geschichte von Schnitzler einen völlig neuen Fokus verleiht.
Aufführungstermine: 05.07.2024 – 07.07.2024, 13.07.2024 – 14.07.2024
Uhrzeit: Einlass 18:50 Uhr, Vorstellungsbeginn: 19:00 Uhr
Tickets sind unter https://www.adk-bayern.com/akademietheater/aktuelle-produktionen/detail/else-someone oder an der Abendkasse erhältlich.
Ein Regieprojekt von Melvin Vigano, Regiestudent im 4. Ausbildungsjahr an der Akademie für Darstellende Kunst Bayern.
Melvin Vigano wird mit dieser Inszenierung sein Studium an der ADK Bayern abschließen.
Verlag: Verlag derAutoren GmbH & CoKG, Taunusstraße 19, 60329 Frankfurt am Main.
Mit:
Emily Leimbach (2. Ausbildungsjahr, Schauspiel)
Bianca Pitschedell (1. Ausbildungsjahr, Schauspiel)
Maximiliane Richter (1. Ausbildungsjahr, Schauspiel)
Bühnenbild: Andreas Görgner
Kostümbild: Paulina Felsch
Regieassistenz: Carina Aigner
Sounddesign: Manuel Schmitz
Fotografie: Werner Hofbauer