Streng geheim

Streng geheim

»Das Geheimnis ist eines der größten Errungenschaften der Menschheit«, verbreitete der Soziologe Georg Simmel Anfang des 20. Jahrhunderts. Geheim blieb nur, ob in positiver oder negativer Weise.

Von Greta Kluge

Im Kindergarten habe ich mir zum Geburtstag gewünscht, ein Geheimnis zu haben. Ganz fest habe ich, als ich die Kerzen auf meinem Kuchen ausgepustet habe, daran gedacht, dass ich gerne etwas hätte, dass andere nicht von mir wissen. Ich dachte, dass ich dann groß sei, dass ich mysteriös sei, und das fand ich toll. Im Nachhinein glaube ich, dass das viel mit dem Bedürfnis zusammenhängt, dass ich spannend sein wollte. Und vielleicht auch, dass ich einen Teil in mir haben wollte, der nur mir gehört, von dem niemand anderes etwas wusste.

Heute habe ich ein Geheimnis. Und es ist schwer. Ich fühle mich klein und alles andere als mysteriös und spannend. Ich trage es mit mir herum und wünsche mir bei jeder Gelegenheit, dass ich es loswerde, dass ich es schaffe mich jemandem anzuvertrauen. Jede Wimper, die ich wegpuste, jede Sternschnuppe, die ich am Himmel entdecke, jeden Brunnen, in den ich eine Münze werfen könnte, nutze ich, um mir mein Geheimnis wegzuwünschen. Dabei wäre es so einfach. Ich müsste einfach den Mund aufmachen. Geh heim, Geheimnis.

Dass Geheimnisse das Leben schwerer machen, ist bewiesen. Der amerikanische Forscher Michael Slepian hat sich mit dem Phänomen befasst. Über Jahre hinweg führte er Studien mit Tausenden von Menschen durch. Er lüftete zwar ihre Geheimnisse nicht, dafür aber brachte er einen Haufen von Daten an die Öffentlichkeit. Durchschnittlich 13 Geheimnisse trägt ein Mensch mit sich herum, fünf davon hat er noch nie jemandem verraten.

Die Zahl hat mich überrascht. Was sind die fünf Dinge, die die Menschen, die ich liebe, vor mir verstecken? Was wollen sie mir nicht erzählen? Und warum?

Etwas über sich zu wissen, das anderen nicht zugänglich ist, kann in bestimmten Konstellationen bedeuten, dass man seine Grenzen kennt und sich schützt, dass man ein Stück Privatheit für sich bewahrt. Plakativ gesagt: Geheimnisse bedeuten Kontrolle. Und ein subjektives Kontrollgefühl, fühlt sich, seien wir ehrlich, gut an.

Dinge nicht preiszugeben kann ein Schutzmechanismus sein.  Aus der Forschung ergibt sich, dass die Angst vor Stigmatisierung eine große Rolle spielt. Häufig verschweigen wir entweder Dinge, für die wir uns schämen, Dinge, die moralisch geächtet sind oder zu sozialen Nachteilen führen können.

Ein bisschen komplexer wird es auf der Beziehungsebene.

»Geheimnisse sind die Währung der Freundschaft«, behauptet die niederländische Forscherin Catrin Finkenauer. Wenn wir Menschen vertrauen und uns mit allem, was wir sind, mit allen Macken, Kanten und Ecken geschätzt fühlen, erzählen wir. Wir trauen uns, Dinge zu erzählen, die wir eigentlich lieber für uns behalten wollen. Das stärkt Freundschaften auch, denn Menschen schätzen wert, wenn wir uns öffnen. Man hebt die Beziehung auf ein anderes Niveau und zeigt der Person das Gefühl, dass man sie so gernhat, dass man sogar gutgeschützte Dinge vor ihr ungeschützt lässt, sei es auf freundschaftlicher, familiärer oder partnerschaftlicher Ebene. Das macht man eben nur bei Personen, denen man vertraut. Es gibt Situationen, wo man subjektiv die Beziehung durch Offenlegung des Geheimnisses gefährdet sieht oder es für möglich hält, dass man einen Konflikt provoziert.

Wie oft hat man mit dieser Einschätzung tatsächlich recht? Ich habe viele Freundschaften und Beziehungen scheitern sehen und scheitern lassen, weil ich mich den Personen nicht zu hundert Prozent gezeigt habe und ihnen damit gezeigt habe, dass ich ihnen nicht vertraue, dass ich Dinge vor ihnen verstecke.

Auf der anderen Seite sind da Affären. Die werden häufig attraktiver dadurch, dass sie geheim sind. Haben Paare ein Geheimnis miteinander werden sie füreinander attraktiver, sie sind Komplizen in einem Spiel, dass sie beherrschen. Sie werden Spielfiguren, die aufeinander angewiesen sind, aber das Spiel, das Geheimnis beherrscht sie.

In der Dating-Ratgeber-Szene sind Geheimnisse ebenfalls ganz groß im Rennen. Besonders Männer erhalten überall Tipps um rätselhaft zu wirken damit Frauen auf sie fliegen.

The art of being mysterious als Strategie Menschen um den Finger zu wickeln. Ist das Kunst oder soll das weg?

Es gibt in der Geheimnis-Forschung noch eine interessante Erkenntnis. Es geht um die Beziehung zwischen Therapeut:in und Patient:in während der Psychotherapie. Offensichtlich können hier ab und zu Lügen helfen. Denn wer über bestimmte Erfolge oder Persönlichkeitseigenschaften lügt, zeichnet damit auch ein Bild von sich bzw. eine Version, die er oder sie dann tatsächlich auch erfüllen will und muss. Studien zeigen, dass sich in manchen Fällen durch Lügen die psychischen Probleme schneller bessern.

Wir lernen das früh. Von anderen Menschen, aus Märchen, aus Filmen und aus Zeitungen. Wir lernen: Geheimnisse geben uns die Möglichkeit, selbst zu bestimmen, welcher Mensch wir für andere Menschen sein wollen. Und welcher eben nicht.

Ich zeichne ein Bild von mir, es ist mein Geheimnis, dass es nur Farbe ist und nicht das wahre Ich. Die Frage ist: Blättert sie auf Dauer ab oder bleibt sie so bunt?

Trotz aller Ambivalenz kommt die Forschung zu dem klaren Schluss, dass Geheimnisse keine positive, spannende und attraktive Sache sind. Menschen, die Anderen grundsätzlich weniger über sich anvertrauen werden häufiger krank.

Mein Geheimnis zieht mich herunter, erinnert mich an meine Schwächen und Dinge über die ich nicht nachdenken will.

Das genau ist der Knackpunkt. Das, was es so schwer macht, ist die Grübelei. Das ist tatsächlich bewiesen. Geheimnisse wiegen so schwer, weil man mit den Gedanken alleine ist und es nicht schafft das Kreisen um das Verborgene zu stoppen. Einsam und allein sitzt man fest mit einem Gedanken, den man wahrscheinlich nicht haben will. Würde man den Mut zusammennehmen sein Geheimnis teilen, würde man ein wenig Gewicht von seinen Schultern nehmen können und anderen erlauben einem zu helfen, ein paar Gramm mitzutragen oder einem zeigen, dass man auch mit dem Geheimgehaltenen wertvoll ist. Geheimnisse schlagen auf die Stimmung in Form Einsamkeit. Aber auch durch den Stress, die Angst, und mangelndem Selbstwertgefühl. Es hat Einflüsse auf die kognitive Leistungsfähigkeit etwas geheim zu halten, weil man unterbewusst dauernd damit beschäftigt ist. Studien zeigen bei manchen Kategorien von Geheimnissen – es wurden 38 klassifiziert – auch Tendenzen zu selbstverletzendem Verhalten, zu vermehrter Aggression und weniger sozialem Verhalten.

Nicht authentisch zu sein, sich nicht in der Lage zu fühlen vollkommen ehrlich zu sein führt zu genereller Unzufriedenheit mit sich und dem Leben und zu einer veränderten Wahrnehmung.

Geheimnisse isolieren. Geheimnisse machen krank. Geheimnisse verletzen. Geheimnisse bringen zum Verzweifeln.

Wie wird man ein Geheimnis los? Slepian schlägt vor bei Tagebüchern anzufangen, sich unbeteiligten Dritten, etwa einer Therapeut:in zuzuwenden um dann im Endeffekt den Schritt wagen zu können es auch in seinem Umkreis auszusprechen. Man solle das aber so früh wie möglich machen, sonst werde es immer schwerer. Tatsächlich hüten wir ein Geheimnis Studien zufolge im Schnitt zweieinhalb Jahre lang.

Also, liebes Tagebuch…

Für Interessierte

https://doi.org/10.1037/a0016084

https://doi.org/10.1016/j.adolescence.2017.04.010

https://www.columbia.edu/~ms4992/secrets/keepingsecrets.html

Beitragsbild: Life-of-Pix I pixaby

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