Macht (k)einen Kreis!

Macht (k)einen Kreis!

Der Festivalsommer 2024 ist in vollem Gange und genauso sind es die Moshpits. Von den einen gehasst, von den anderen geliebt: Das mehr oder wenige spontane Kreis-Bilden, das Zusammenklatschen von schwitzenden Körpern zum Takt der Musik. Woher kommen Moshpits, was ist ihr Reiz, wo gehören sie überhaupt nicht hin und warum machen sie sogar (neuro)psychologisch Sinn?

Von Jule Schweitzer

Southside Festival – das Festival, auf dem man an einem Tag Bury Tomorrow und Ed Sheeran sehen kann, auf dem sich Turnstile-Fans und K.I.Z-Camper hinter dem ersten Wellenbrecher tummeln. Das Festival für den perfekten Vergleich verschiedener Moshpits.

Was ist ein Moshpit und was gibt es noch?

Für alle, die mit dem Begriff »Moshpit« (noch) nichts anfangen können: Ein Moshpit wird von dictionary.com beschrieben als »area at a rock-music concert, usually in front of the stage, where members of the audience dance in a frantic and violent manner«. Den Tanzstil, der in der Mitte des Kreises stattfindet, werden einige auch noch unter dem Namen »Pogo« kennen: »der typische Tanz des Punks, bei dem die (meist männlichen) Tänzer wild in die Höhe und angriffslustig rempelnd gegeneinander springen« (Digitales Wörterbuch der Deutschen Sprache) Davon unterschieden wird das Circle Pit, für das auch ein Pit (wörtl. Grube), also ein Kreis gebildet wird, in dem dann aber nicht gegeneinander gesprungen, sondern miteinander im Kreis gerannt wird. Neben diesen beiden kann auf einem Konzert auch noch zu einer Wall Of Death aufgerufen werden, zu der kein Kreis gebildet, sondern das Publikum in der Mitte geteilt wird, um im richtigen Zeitpunkt geradeaus auf-/ineinander zu laufen. 

Woher kommen Moshpits?

Geprägt wurden Moshpits vor allem von Punk- und Metal-Bands in den 1980er Jahren. Im Urban Dictonary wird neben ähnlichen Definition wie der bereits genannten auch noch die Orte, an denen Moshpits meistens stattfinden genannt: Heavy Metal, Punkrock, Hardcore, oder andere schnelle Musikrichtungen. Doch Moshpits haben auch ihren Weg in andere Genres, wie zum Beispiel Deutschrap gefunden. Und Moshpit scheint nicht gleich Moshpit zu sein. 

Der Vergleich

Southside Festival, Sonntag, der 30.06.24, 20:30 Uhr, Green Stage: Turnstile stehen auf dem Festivalprogramm. Eine Band, die sich dem Genre Hardcore zuordnet: Sie sind schnell, hochenergetisch und laut, genau wie die Fans, die vor der Bühne stehen (Ausgenommen vereinzelte K.I.Z. Fans, die mit dem Bauch am ersten Wellenbrecher kleben und lieber 90 Minuten in Mimik und Bewegung versteinert den herumspringenden Leadsänger anstarren, weil er nicht Maxim ist). Pits (ob Circle oder Mosh) entstehen hier organisch, manchmal auf ein Handzeichen des Gitarristen hin und sie sind (meistens) rücksichtsvoll: Die erste Reihe hält den Kreis auf, tanzt zur sich langsam aufbauenden Musik und strahlt sich in Vorfreude an. Wer nicht mitmachen will, hält sich im Hintergrund. Der Beat Drop kommt, die Kreiswand rennt aufeinander zu, springt gegeneinander, prallt voneinander abund schreit schließlich miteinander, alle machen sich gegenseitig wieder Platz, damit jede:r auch für sich selbst tanzen kann. 

Das ist ein Pit, in dem ich mich wohl fühle, Spaß habe und es mir nichts ausmacht, meine Schwester zu verlieren. Ich finde sie nach höchstens einer Minute strahlend zwischen drei Fremden, die darauf aufpassen, dass ein Vierter in Ruhe seine Schuhe binden kann. 

22:30 Uhr: K.I.Z. Konzert, mein drittes. Wir stehen absichtlich etwas weiter hinten, um uns nicht mit Mega-Fans anzulegen und um dem größten Chaos aus dem Weg zu gehen. Die Kreise, die sich auf diesem Konzert bilden, erklären, warum das Internet wie auch Einzelpersonen neben mir den Eindruck haben, Deutschland habe ein Moshpit-Problem. 

K.I.Z. haben durchaus Songs, die sich zum Moshen eignen. »Filmriss«, »Rap über Hass«, »Ein Affe und ein Pferd«… Alle mit an Energie ansteigender Strophe und einem Refrain, der explosiv wirkt. Dass die Stimmung innerhalb des Kreises aggressiver, rücksichtsloser und wilder ist als bei Turnstile oder auf Metal-Konzerten, ist (für mich persönlich) halbwegs akzeptabel, es ist schließlich ein K.I.Z. Konzert, da ist die Stimmung gleich mal aggressiver und chaotischer. Dass Rücksichtslosigkeit grundsätzlich nicht cool ist, will ich hier gar nicht diskutieren – Ich halte mich eben aus Erfahrung von der Mitte des Kreises fern. 

Das Problem, das es (meiner Meinung nach besonders) auf Deutschrap-Konzerten gibt, ist, dass die Masse nicht ganz zu wissen scheint, dass ein Moshpit bei richtigen Hip-Hop-Kopfnicker-Songs (riesen Beispiel auf diesem Konzert: »Der durch die Scheibeboxxxer« und »Görlitzer Park«) nicht angemessen sind. Das Resultat: Die Masse wird von drei springenden Jungs zurück gedrängelt, ich habe meine Nase in der fremden Achsel vor mir, weil kein Platz nach hinten ist, aber immerhin ist der Kreis geöffnet. Und steht. Und steht. Und steht, bis besagten drei Jungs einfällt, dass es keinen explosiven Refrain gibt und sie zu dritt gegeneinander springen, während die Umstehenden genervt die Luft anhalten und sich gegenseitig auf den Füßen stehen. Das klaut Moshpits den Effekt, der doch so schön sein kann. 

(Sozial)psychologische Aspekte von Moshpits (eine Überlegung)

Aus dem ganzen Thema könnte man eine Masterarbeit machen, ich musste mich deswegen in der Recherche bremsen und denke im Folgenden schriftlich nach, welche Effekte ich kenne, die den Spaß an Moshpits erklären könnten.

Ein erster Effekt, der im Moshpit zur Geltung kommen kann, ist der (etwas veraltete) Effekt der Katharsis, oder des Dampfkesselprinzips. Ganz vereinfacht gesagt sammeln sich beim Menschen negative Emotionen an, die schließlich – wie bei einem Dampfkessel – freigelassen werden müssen. Die Katharsis-Hypothese basiert jedoch auf der, wie gesagt eher veralteten, Vorstellung, der Mensch trüge einen angeborenen Aggressionstrieb in sich. Und auch, wenn es nach außen hin so wirken mag, ist Aggression für die meisten nicht der Grund, sich in ein Moshpit zu begeben.

Im Gegenteil: Viele Menschen schätzen an Konzerten grundsätzlich das Gefühl der Zugehörigkeit – eine Masse von Menschen, die den gleichen Text singt, vielleicht sogar die gleichen Emotionen teilt, das ganze Tanzen (das allein dürfte schon viele Endorphine im Körper freisetzen). Das Gefühl der Zugehörigkeit verstärkt sich einerseits durch den Face-To-Face-Kontakt, der beim Bilden eines Pits entsteht – ich finde nichts besser, als in die vor Antizipation strahlenden Gesichter zu blicken, während alle gemeinsam auf den Beat Drop warten (soziale Interaktion setzt Dopamin frei). Noch mehr verstärkt wird Zugehörigkeit, Vertrautheit, in der Regel durch Körperkontakt, der natürlich unweigerlich entsteht (und Oxytocin ausschüttet). Alles Dinge, die auch in einem regulären Konzert-Setting passieren können. Im Pit besonders verstärkt ist der Effekt der Synchronisation der Masse, da man sich (idealerweise) beim Moshen aufeinander abstimmt und einen gemeinsamen Rhythmus findet, um eben nicht umgeworfen oder überrannt zu werden. Das Gefühl der Synchronisation mit einer Gruppe kann sowohl Selbstwirksamkeit als auch Selbstbewusstsein fördern. 

Und warum jetzt also gegeneinander springen, aufeinander zulaufen? Die oben genannten Punkte erreiche ich ja auch, wenn ich mit meinen Freund:innen gleichzeitig auf und ab hüpfe. Das Bewusstsein um eine Situation mit durchaus Verletzungspotential lässt eines besonders durch unsere Adern schießen: Adrenalin. Den Effekt eines Adrenalin-Kicks brauche ich nicht zu beschreiben, aber auch er ist es, der uns immer und immer wieder dazu bringt, wie verrückt aufeinander zuzustürmen. 

Das Moshpit: Ein Ort der Glückshormone. Wenn man es denn richtig macht. 

Für Interessierte/Inspiration:

Hat Deutschland ein Moshpit-Problem? (edit-magazin.de)

Moshpits feiern die friedliche und geregelte Eskalation – Meine Theorie – jetzt.de

Im Moshpit moshen: 14 Schritte (mit Bildern) – wikiHow

MOSH PIT Definition & Meaning | Dictionary.com

Urban Dictionary: moshpit

Pogo – Schreibung, Definition, Bedeutung, Beispiele | DWDS

Beitragsbild: Jay Wennington I unsplash.com

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