»Geburtstagswunsch«

»Geburtstagswunsch«

In der letzten Woche ging es politisch drunter und drüber. Verlorene Stadtbahn, verlorene Wahl, verlorene Welt? Wie geht man mit den Enttäuschungen und den neuen Herausforderungen um? Es wäre schön, den ganzen Wahnsinn einfach wieder in Ordnung zu bringen: Ein Geburtstagswunsch.

Von Ida Müermann

In zwei Tagen ist mein Geburtstag. Irgendwie seltsam, wie sehr unsere Kultur uns dafür feiert, dass eine andere Frau uns mit viel Mühe auf die Welt gebracht hat. Eigentlich finde ich, dass man an seinem Geburtstag auch immer an die Mutter denken sollte, für die unser Geburtstag vor allem mit jeder Menge Schmerzen verbunden war. Andererseits ist es schön zu zeigen, wie dankbar man für einen lieben Menschen ist und das mit einem Fest zu feiern. Ich mag Geburtstage – also die von anderen. Ich gebe gerne Geschenke und liebe es, wenn bei Feiern Familie und Freund:innen zusammenkommen. Die ganze Aufmerksamkeit am eigenen Tag des Älterwerdens finde ich jedoch schwierig. Mit jeder Menge Geschenken, Besuch, Kuchen – und dann die Kerzen auspusten. Der Moment für einen Wunsch. Einen kurzen Moment überlegen, was man wirklich wichtig findet für das neue Lebensjahr und die Hoffnung, dass etwas Besonderes in Erfüllung geht. Zu meinem achten Geburtstag habe ich dabei ganz fest an ein Trampolin gedacht. Mit 15 habe ich gehofft, das Auswahlverfahren für einen Schüleraustausch zu bestehen. Mit 18 war mein Wunsch, dass ich für immer mit meinem Partner zusammenbleibe. Schöne Dinge, Kinderträumereien, glückliche Ideen- banale Wünsche? In der letzten Woche gab es einige Ereignisse, die Ideen und Pläne für die Zukunft in Enttäuschung verwandelt haben. Mit diesem Gefühl fällt es plötzlich schwer, einen neuen hoffnungsvollen Wunsch mit dem Auspusten der Kerzen in die Welt zu setzen.

Sekt für alle – wir stoßen an auf Spaß und einen hohen Pegel

Vor 12 Tagen stand das Wasser in Regensburg buchstäblich bis zum Hals. In Baden-Württemberg und Bayern mussten tausende Menschen ihr Zuhause verlassen, Schäden von zwei Millionen Euro entstanden, sechs Menschen starben. Die Medien sprachen von einem Jahrhunderthochwasser und Politiker:innen bekundeten ihre Anteilnahme. Man war sich einig, dass die Klimakatastrophe jetzt und in Zukunft der Grund für die Wetterextreme ist. Olaf Scholz sprach in den Flutgebieten von der politisch ernst genommenen Aufgabe, den menschengemachten Klimawandel aufzuhalten. Eine Woche später, an diesem Donnerstag, sind in Bonn die Vorbereitungen für die nächste Weltklimakonferenz zu Ende gegangen. Fast zwei Wochen lang hatten tausende Politiker:innen und Fachleute verhandelt – ohne Erfolg. Es ging zum Beispiel um Hilfe für ärmere Länder beim Klimaschutz. Während Dörfer in der Wüste oder im Wasser verschwinden und immer mehr Menschen ihre Heimat verlassen müssen, wird tausende Kilometer entfernt darüber diskutiert, wer zahlt. Überraschung: die reichen, privilegierten Länder versuchen, dabei möglichst billig wegzukommen. Es ist bequemer, die Klimakatastrophe in die Zukunft zu verschieben- auch wenn sie längst begonnen hat. Unklar bleibt, ob die eigentliche Konferenz im November in Azerbaijan zu einer Einigung kommen kann. Komisch, dass die Klimakonferenz in einem Land stattfinden wird, das mit seiner Gas- und Ölforderung nicht unbedingt für Umweltschutz steht.

Die Torte schmeckt nach Zukunftsangst

Diese Verhandlungen fühlen sich weit weg an. Regensburger Bürger:innen haben kaum Einfluss auf die große Klimakonferenz. Worauf sie Einfluss hatten: Nachhaltigkeit und Klimaschutz vor der eigenen Haustüre. Am Sonntag beim Bürgerentscheid kam dann die große Enttäuschung, weil eine knappe Mehrheit gegen die Planung der Stadtbahn gestimmt hat. Ein Schlag ins Gesicht, wenn die Sorge vor kurzzeitigem Baulärm und ein paar Jahren mit finanzieller Einschränkung der Stadt auf ein großes Projekt die Investition in die Zukunft verhindert. Ausbau des öffentlichen Verkehrs und der Radwege, Umstieg vom Privatauto auf die Straßenbahn, Barrierefreiheit und Energieeffizienz – all das ist nicht wichtig genug, wenn dafür der Mittagsschlaf unter dem Rattern der Baumaschinen leidet und man mit dem PKW wegen Baustellenumfahrung fünf Minuten länger zum Brötchenholen braucht. Die Stadt braucht das Geld scheinbar viel dringender für den Bau eines weiteren Spielplatzes, um die kiffenden Horden in ihre Schranken zu weisen. Komisch, dass ich mit Anfang zwanzig Angst um meine Zukunft habe, die von der Politik und der Gesellschaft nicht ernst genommen wird.

Pack als erstes das große Geschenk aus, das rechts neben dir

Aber hey, das große Ganze nicht aus den Augen verlieren! Es gab ja auch noch die Chance bei der Europawahl, zukunftsorientierte Parteien für positive Veränderungen in das Parlament zu bringen. Ein weiterer Schuss, der nach hinten losging. Noch eine verpasste Chance auf Frieden, Solidarität und Klimaschutz. Die AfD überholte Grüne und SPD mit mehr als 15 Prozent Wähler:innenstimmen. In den östlichen Bundesländern sogar mit 30 Prozent. Dort hat sich ein drittel der Bevölkerung für eine Partei entschieden, die vom Verfassungsschutz als „rechtsextremistischer Verdachtsfall“ eingestuft wird. Eine Partei, die wie in der Feminismus Kolumne vom Montag beschrieben Frauen gezielt abwertet und zurück zu Patriarchalen Strukturen wie vor 100 Jahren möchte. Eine Partei, die gegen Personen mit Migrationshintergrund hetzt. Eine Partei, die sich gegen eine freiheitliche, weltoffene, europäische Politik ausspricht. Die Liste lässt sich noch ewig weiterführen, es ist allen bekannt, dass die AfD keine zukunftsorientierte, für Klimaschutz und Menschenrechte engagierte Partei ist. Warum wurde sie trotzdem gewählt? In einer Umfrage von ZDF gaben 27 Prozent der AfD Wähler:innen an, dass sie die politischen Forderungen unterstützen. Immerhin, nur jede:r vierte Wähler:in steht hinter dem rechtsextremen Parteiprogramm. Was ist dann mit dem Rest? Haben die das Parteiprogramm nicht gelesen und unsere Geschichte gleich mitvergessen? Mehr als 60 Prozent gaben an, die AfD hauptsächlich zu wählen, um den anderen Parteien einen Denkzettel zu verpassen. Das ist der Moment, wo ich jeglichen Glauben an die Menschheit verliere. Aus Protest rechts zu wählen hat doch schon 1930 nur das Schlimmste gebracht. Wenn ich meinen Geburtstagskuchen mit zwanzig Freund:innen teile, haben im Schnitt drei davon für Hetze und gegen unsere Zukunft gestimmt. Irgendwie schmeckt der Kuchen dann nicht mehr nach Schokolade, sondern nur noch nach Enttäuschung.

In diesem Sinne: Happy Birthday. Wenn laut genug gesungen wird, werden vielleicht die schlechten Nachrichten übertönt. So wie am Freitag auf dem G7 Gipfel, als der Präsident der USA zusammen mit den versammelten Staatsoberhäuptern ein Ständchen für Olaf Scholz geschmettert hat.  Mich würde brennend interessieren, was sich unser Kanzler wünscht, wenn er die 66 Kerzen auf seinem Geburtstagskuchen auspustet. Ich wünsche mir eine gerechte, friedliche Zukunft ohne Krieg und Klimawandel. Komisch, dass mein Wunsch neben den aktuellen News wie ein schlechter Witz klingt.

Beitragsbild: Ida Müermann

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