Zwischen Schimmel und Ratten

Zwischen Schimmel und Ratten

Bauvorschriften und Mietrecht rufen nicht gerade Leidenschaft hervor. Sobald man sich aber unter undichten Dächern, zwischen Schimmel und Ratten wiederfindet, denkt man anders über die deutsche Normenkultur nach. Eine Erzählung über die Wohnsituation in nordenglischen Mietshäusern.

Von Jonas Maria Schiller

Ich höre den Regen gegen das Fenster schlagen und weiß, was das bedeutet: Langsam sammle ich Mut und stehe auf, gehe über eine steile Treppe ins Erdgeschoss, wo sich bereits ein dünner Wasserfilm über dem Küchenboden ausgebreitet hat. Dort, auf einer Insel, steht mein italienischer Mitbewohner Paolo und kocht. Wir reden kurz, fragen uns, ob Ratten wohl Angst vor Wasser haben. Ich nehme vorweg: Nein haben sie nicht!

Am Anfang meines Auslandssemesters kam ich am Hintereingang unseres Hauses an. Dort wo sich am Ende eines Trampelpfades steuerrechtlich geschickt positioniert die amtliche Adresse befand, stieg ich durchs hüfthohe Gras und über zwei ausrangierte Kinderwägen hin zur Tür. Als Einzugsgeschenk befand sich in meinem Zimmer ein benutztes Kondom, Schimmel und das Gefühl in den nächsten 6 Monaten an Krätze zu sterben. Gegen die ersten beiden, dachte ich, lasse sich doch was unternehmen. Bei Schimmel müsse man doch nur ordentlichen Lüften! Das könne ich doch bewerkstelligen. Was ich noch nicht wusste: Schimmel gehört zum normalen Inventar eines nordenglischen Hauses. Douglas Adams schrieb einmal, die Engländer hätten 200 Wörter für Regen, mindestens so viele müsste es für Schimmel geben: der 4-Wochen-Zyklus-Schimmel (die gutmütige Art), der 5-Tage-Schimmel (einfach ignorieren), der Eck-Zangen-Schimmel (ordentlich Chlor ins Eck hauen), der Steckdosenschimmel (kein Chlor!). Er war des Einheimischen liebstes Haustier gefolgt von Ratten. Perfekt an die örtlichen Gepflogenheiten assimiliert hatten wir auch diese Spezies in unser Haus gelassen. Sie kamen durch den Spalt unter der Sockelleiste, durch den auch Wasser in die Küche kam, wenn es regnete. Sie hausten mit uns ein paar Wochen und starben schließlich, weil sie zu anspruchslos waren: Im Gegensatz zu den Wohnungen meiner Freunde gaben sich unsere kleinen Mitbewohner mit der Basisgeschmacksrichtung Rattengift zufrieden und schlugen sogleich ordentlich zu. Als sich nun die Ratten schließlich aus unserem Haus zu einem besseren Ort aufgemacht hatten, ging die Zentralheizung kaputt. Coincidence? I think not! Bis heute glaub ich an einen Sabotageakt aus Rache. Um fair zu sein: Kälte ist ebenfalls ein Standardattribut englischer Häuser. Wer hätte schon erwarten können, dass man über dem 50. Breitengrad nicht so bauen kann wie in Andalusien. Die Wände handbreit, Wärmebrücken wohin man auch sieht, Fensteranschlüsse, die mich an mein erstes Semester im Architekturstudium erinnern, vor allem daran, wie uns unsere Professoren bei geringsten Fehlern zur Schnecke machten. Zum Leidwesen meiner Mitmenschen konnte ich es mir deshalb auch nicht verkneifen, auf die DIN 18531 hinzuweisen, wenn es von der Decke tropfte. Wie ein Kolonialherr der sich allein auf Basis kulturell bedingter Normen als etwas Besseres fühlt, zog ich durch die Räume unserer Häuser. War ich zu ignorant, um diese Baukultur zu verstehen? War mein Gehirn durch 6 Semester Normenfetischismus so dermaßen gebrainwashed, dass ich Mitte und Maß vergaß? Eigentlich war es doch auch sehr sympathisch, den Standard so niedrige anzusetzen, dass man merkt, was wirklich nötig ist. Aber Ratten brauche ich doch nicht im Schlaf über mein Gesicht laufen lassen!

Ich finde meinen Weg durch die trockenen Stellen der Küche zu Paolo und decken den Tisch. Es tropft von der Decke aber nicht in unser Essen. Ich erzähle vom Deutsche Institut für Normung e. V., Paolo denkt zuerst es sein Fußballverein. Dann erkläre ich ihm, dass es ein Ort ist, wo viele Zementverkäufer sagen man solle viel Zement kaufen und dass wir in Deutschland oft nicht glücklich darüber seine, aber ich mich dennoch freue, wieder in einem wasserfesten Haus zu wohnen.

Beitragsbild: Jonas Maria Schiller

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