Freundschaft – Hand in Hand durch die Zwanziger?

Freundschaft – Hand in Hand durch die Zwanziger?

»Freundschaft, in ihrer grundlegendsten Form, bezeichnet eine positive Beziehung zwischen zwei oder mehr Individuen, die auf gegenseitigem Vertrauen, Zuneigung und Respekt basiert« Doch was macht man, wenn das Gefühl aufkommt, man ist der einzige Mensch auf unserer Welt, in unserer Zeit, der es nicht schafft, eine solche Beziehung wirklich und wahrhaftig aufzubauen? Ein Kommentar.

Von Greta Kluge

Freundschaften in den 20ern

Unzählige Erfahrungen zu Freundschaften in den 20ern findet man mittlerweile auf sozialen Medien, in Artikeln und Blogs. Unzählige Berichte, die davon erzählen, wie hart es ist, in der Zeit nach der Schule Freundschaften zu erhalten und aufzubauen. In der Lebensphase, in der man so langsam wirklich sein Leben in die Hand nehmen muss. Wen nimmt man dann im wahrsten Sinne des Wortes an seine Hand? Wem entzieht man sie wieder, nachdem man vielleicht schon einen Großteil seines Lebens verbracht hat? Wem reicht man sie? Und vor allem auch, wie? Vorsichtig und zaghaft? Oder lieber ohne Rücksicht auf Verluste?

Fragen, über die man sich Gedanken macht, die unsagbar wichtig erscheinen, weil Freundschaften eine riesige Bedeutung im Leben darstellen. Die dazu führen, dass man andere, sich selbst und sein Leben hinterfragt, und die, wenn man nicht aufpasst, in katastrophalen Krisen enden.

Neben den ganzen Berichten, die kursieren, neben den zweifellos negativen Gefühlen, ist da auch Platz für ein bisschen Zuversicht und Freude an den Menschen, die man für sich gewinnt und für die, die man manchmal gehen lässt?

Alle scheinen einen Haufen an Freunden aus verschiedenen Lebensbereichen haben und dann noch die beste Freundin zuhause, von früher. Das ist bedrohlich, weil man nicht weiß, was man den Menschen wirklich bedeutet, ob man ihnen auch so wichtig ist, wie sie es für einen selbst sind.

Das Ideal, das an Freundschaft gestellt wird, zeigen Studien, überfordert oft auch, weil man nie wirklich das Gefühl hat, dass die eigenen Freundschaften dem entsprechen, was soziale Medien, Filme und Bücher bespielen.

Neue Zeiten, neue Freundschaftsbegriffe

Manchmal fühlt es sich an, als wäre man ein Federball. Man findet jemanden sympathisch und fliegt auf ihn zu, dem anderen fällt aber nur ein, ihn wieder mit voller Wucht wegzustoßen. Dabei verliert man aber aus dem Blick, dass das das Spiel aufrechterhält. Ohne das ständige Hin und Her würde man selbst nicht in der Luft bleiben und fliegen können. Man wird enttäuscht und berappelt sich wieder.

Ich kenne wenige Menschen, die das Glück haben, über Jahre hinweg enge Freundschaften zu haben, die ohne irgendwelche Wunden überdauern.  Vor allem in modernen Gesellschaften, die geprägt davon sind, dass sich das Leben an ganz vielen verschiedenen Schauplätzen abspielt, scheint das für viele Menschen sehr herausfordernd zu sein.

Mittlerweile hat sich sogar in der Wissenschaft ein neuer Begriff durchgesetzt, die »differenzierte Freundschaft«. Es wird verstärkt darauf eingegangen, was Freundschaften in unserer individualisierten, anonymisierten und fragmentierten Welt bedeutet. Unser Zusammenleben ist stärker als früher aufgeteilt in verschiedene Lebensbereiche, die sich oftmals nicht überschneiden. Das wiederum bewirkt, dass man als Individuum nicht mehr in eine feste Struktur eingebettet ist, was wiederum erwiesenermaßen zu Verunsicherung und Stress führen kann. Freundschaften sind heutzutage aber auch mit der Erwartung verknüpft, dass man aufgefangen wird, dass man von jemandem gehalten wird.  Allerdings fehlt mit der Ausdifferenzierung der einzelnen Lebensbereiche auch oft die feste Bindung, weil Menschen an sozialen Begegnungen nur fragmentarisch teilnehmen. Wahre Freundschaften überleben diese Problematik, zeigen Studien. Vielleicht sollten wir mehr darauf achten, dass wir trotz unseren Lebensumständen als Studierende, Auszubildende etc., die sich dauernd verändern und teilweise unterschiedlicher nicht sein können, auf die Menschen, die wirklich zählen, zurückgreifen können.

Selbstfindung durch Freundschaft

Wie alles hat aber auch diese Sache nicht nur eine Seite. Man kann diese Situation durchaus als wertvoll betrachten, denn durch Unsicherheit lernt man, mit sich selbst klarzukommen, den Fokus auf sich selbst, statt auf andere zu richten. Ich bin mir selbst zur Freundin geworden, weil ich gemerkt habe, dass ich den Halt, den ich bei andern suche, bei mir finden muss, um gesund zu bleiben. Das Geheimnis an der Sache ist, dass man sich nicht abhängig davon macht, wie groß die Rolle ist, die man im Leben von jemand anderem spielt. Man spielt für sich selbst. Die Besetzung des eigenen Lebens wechselt ständig, aber was sicher ist: Man spielt die eigene Hauptrolle. Das (an) zu erkennen verändert einiges.

All die Leute, die man kennenlernt, aus dem Blick verliert und wiederfindet, sind Menschen, auf die man zu verschiedenen Zeitpunkten und in verschiedenen Phasen zählen kann, von denen man sich inspirieren lassen kann und die eine Möglichkeit zur Selbstreflexion bilden. Das ist noch ein Punkt, der die wechselnden Besetzungen in unserem Leben zu etwas Besonderem macht. Dem in der Wissenschaft sogenannten »modernen Subjekt« wird es durch die vielen verschiedenen Beziehungen möglich, eine Vielzahl an Resonanzerfahrungen zu machen, die als Basis für das Nachdenken über die eigene Person genutzt werden können. Alle Kontexte, in denen wir uns bewegen und in denen wir Freunde haben, spiegeln einzigartige Dinge über uns wider. Wir finden Stabilität in uns dadurch, dass wir uns aus all den Puzzlestücken aus verschiedenen Lebensbereichen, ein Gesamtbild von uns zusammenfügen können.

Es muss also nicht immer die eine Person oder die eine Gruppe für immer sein. Es gibt nicht die eine perfekte Freundschaft, ein Mensch mit dem man alles, zu jedem Zeitpunkt machen und teilen kann. Obwohl vielen das bewusst ist, kommt das Gefühl allein zu sein und niemanden so richtig fest in seinem Leben zu haben, schneller als man will und denkt. Freundschaften in 20ern bestehen manchmal für immer und manchmal für eine Sekunde, oberflächlich und sehr sehr tief, schön und furchtbar grausam, und das alles ist okay. Aber dieses Freundschaftschaos ist nur aushaltbar, wenn man zuallererst mit sich selbst befreundet ist.

Beitragsbild: Thierry Biland I unsplash.com

Für Interessierte:

Ein Artikel über Freundschaften im Laufe des Lebens

https://www.zeit.de/zeit-magazin/2024/24/freundschaft-bindung-familie-menge

Eine Studie über die Freundschaften in unserer Zeithttps://link.springer.com/article/10.1007/s43638-024-00091-9

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