Digitale Demenz
2015 machte eine Studie von Microsoft die Runde, laut der die durchschnittliche Aufmerksamkeitsspanne der »Generation Z« nur noch acht Sekunden betrage. Medien griffen dies mit Überschriften wie »Shorter attention span than a goldfish« auf. Seitdem hält sich der Mythos der abnehmenden Aufmerksamkeit durch TikTok und Co.
Von Louis Müller
Fast jeder Mensch kennt es: Man schaut nur kurz aufs Handy und plötzlich ist eine halbe Stunde vergangen, die man mit Katzenvideos auf Instagram oder TikTok verbracht hat. Dieses Phänomen spiegelt eine tiefgreifende Veränderung unserer Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit wider. Doch welche Auswirkungen hat diese Entwicklung auf unser Leben und wie können wir uns davor schützen?
Was bedeutet Aufmerksamkeit?
Laut Spektrum beschreibt Aufmerksamkeit die Fähigkeit, aus vielen Reizen unserer Umwelt zu selektieren. Da das Gehirn nicht alle Reize gleichzeitig verarbeiten kann, muss es einige übergehen und andere priorisieren. Dies geschieht bewusst durch Fokussierung (Konzentration) oder unbewusst und ist die Voraussetzung für geordnetes Denken und Handeln. Die Aufmerksamkeitsspanne ist die Zeitspanne, in der sich eine Person mit einer Sache beschäftigen kann, bevor sie das Interesse verliert.
Wie wird unsere Aufmerksamkeit beeinflusst?
Die Aufmerksamkeit wird von vielen Faktoren beeinflusst. Die effiziente Selektion äußerer Reize und erfolgreiches Fokussieren auf eine Aufgabe gelingen besonders dann, wenn wenig Ablenkungen existieren. Beispielsweise kann die bloße Anwesenheit eines Smartphones auf dem Schreibtisch die kognitive Leistungsfähigkeit um bis zu zwanzig Prozent verringern, da das Gehirn den ständigen Drang unterdrücken muss, einen Blick auf das Handy zu werfen. Dies unterbricht immer wieder den Fokus auf die eigentliche Aufgabe und senkt die Effizienz beim Lernen oder Arbeiten. Auch Geräuschkulisse, Helligkeit oder Ordnung am Arbeitsplatz können die Konzentrationsfähigkeit beeinflussen.
Langfristige Auswirkungen durch Social Media
Social Media und der damit verbundene dauerhafte Nachrichtenstrom haben tatsächlich eine langfristige Wirkung auf unsere Aufmerksamkeitsspanne. Wie ein Forscher:innenteam der TU Berlin, des Max-Plank-Instituts, der TU of Denmark und dem University College Cork herausfanden, verkürzte sich unsere Konzentrationsdauer auf ein einzelnes Thema im letzten Jahrzehnt drastisch. Die Fähigkeit der Aufmerksamkeit selbst wird zwar nicht schlechter, aber sie wird durch den schnelleren Wechsel zwischen verschiedenen Tätigkeiten fragmentiert. Damit verbessert sich zwar das Multitasking im Alltag, erschwert jedoch die Konzentration auf eine konkrete Aufgabe. Ein Ansatz der Erklärung dieses Phänomens ist, dass sich zwar nicht das Maß unserer Aufmerksamkeit verringert, aber immer mehr Themen und Reize darum konkurrieren. Somit bleibt für das einzelne Thema weniger unserer Aufmerksamkeit übrig.
Welche Folgen hat diese Entwicklung?
Die Auswirkungen dessen zeigen sich in verschiedenen Bereichen. Einerseits kann sich die Fähigkeit verschlechtern, produktiv und längere Zeit am Stück zu lernen oder zu arbeiten. Das hat Folgen für die Leistungen im Studium oder im Arbeitsleben. Andererseits kann dies auch die Tiefgründigkeit unserer sozialen Interaktionen beeinträchtigen. Gespräche sind kürzer und flacher, wenn sich Teilnehmende gegenseitig weniger gut zuhören, immer wieder auf das Smartphone schauen oder schnell von Thema zu Thema springen. Lange und tiefgründige Unterhaltungen werden dadurch erschwert und seltener.
Was nun?
Trotz der pessimistischen Prognosen gibt es Möglichkeiten, diese Effekte abzumildern. Ein großer Effekt lässt sich erzielen, indem das Smartphone beim Arbeiten aus der Sichtweite oder am besten in ein anderes Zimmer gelegt wird. Ein aufgeräumter und ruhiger Ort zum Lernen und Arbeiten trägt ebenfalls dazu bei, die Aufmerksamkeitsspanne zu verbessern. In Gesprächen und Gruppen sollte das Handy stumm und in der Tasche bleiben. Soziale Medien und Smartphones zu dämonisieren hilft wenig, da sie fester Bestandteil des Alltags sind und diesen enorm erleichtern. Wichtig ist, sich der Gefahren bewusst zu sein und das eigene Verhalten aktiv zu steuern, um auch in Zukunft noch einen guten Arbeitsfluss und tiefgründige Gespräche zu erleben.
Quellen:
https://www.spektrum.de/lexikon/psychologie/aufmerksamkeitsspanne/1666 und https://www.spektrum.de/lexikon/psychologie/aufmerksamkeit/1655
https://www.mdr.de/wissen/handy-in-der-schule-ist-schlecht-fuers-lernen-studie-100.html
https://medicalxpress.com/news/2017-06-mere-presence-smartphone-brain-power.html
https://www.mpib-berlin.mpg.de/pressemeldungen/informationsflut-senkt-aufmerksamkeitsspanne
Beitragsbild: Remy Loz I unsplash.com