Afantasie – Augen zu und nichts
Schließe die Augen und stelle dir einen Apfel vor. Was siehst du? Einen ganzen Apfel, einen halben oder nur den Stiel. Wenn Menschen mit Afantasie die Augen schließen, dann sehen sie nichts. »Ihr inneres Auge ist blind.«
Von Paula Dowrtiel
Afantasie wird als fehlendes oder stark reduziertes bildliches Vorstellungsvermögen definiert. Die Forschung zum Thema Afantasie ist noch relativ neu, somit gibt es unterschiedliche Erklärungsansätze zu den Ursachen und auch viele Auswirkungen sind bisher unerforscht.
Merlin Monzel ist Psychologe und forscht zum Thema Vorstellungsvermögen. Auf die Frage, warum Menschen kein bildliches Vorstellungsvermögen haben und somit Afantasist:innen sind, erklärt er, dass es hierzu unterschiedliche Theorien geben würde.
Monzel geht dann näher auf den prominentesten Ansatz, das sogenannten »reverse hierarchy model« ein. Das Vorstellungsvermögen wird, laut diesem Model, in einem genau umgekehrten Vorgang generiert wie z.B. der Sehprozess. Beim Sehen treffen Lichtquellen auf die Netzhaut, dann werden elektrische Signale ausgelöst und diese werden dann im visuellen Kortex verarbeitet. Dort werden dann bestimmte Neuronenmuster aktiviert, welche typisch für einen bestimmten Gegenstand, z.B. einen Apfel, sind. Diese Aktivierung wird anschließend an den frontalen Kortex weiter gegeben. Jetzt kann man den Apfel sehen.
Monzel erklärt weiter, dass die Vorstellung genau umgekehrt ablaufe. Zunächst findet der willentliche Prozess in den frontalen Regionen statt: »Ich will mir einen Apfel vorstellen«. Daraufhin werden dieselben Neuronen aktiviert, welche bereits beim eigentlichen Sehprozesses eines Apfels aktiv waren. Somit ist die Aktivierung im visuellen Kortex dieselbe wie beim Sehen. Der Apfel wird nun im inneren Auge gesehen. Bei Afantasist:innen ist die Verbindung zwischen visuellen und frontalen Kortex womöglich gestört. Vergleichbar mit einem Stromkreislauf ist der Ort der Störung egal. Das Endergebnis ist, dass die Lampe nicht brennt oder eben kein Apfel vor dem inneren Auge erscheint.
Wie wirkt sich ein fehlendes Vorstellungsvermögen auf die Betroffenen aus? Manche Afantasist:innen beschreiben, dass sie sich schlechter an ihre eigene Vergangenheit erinnern können. Das autobiographische Gedächtnis bereitet ihnen Probleme. Merlin Monzel schreibt auch, dass im Rahmen einer Untersuchung festgestellt werden konnte, dass Personen mit Afantasie sich Wörter und Formen schlechter einprägen könnten als die Kontrollgruppe. »Es zeigte sich, dass Personen mit Afantasie im verbalen sowie im visuellen Kurz- und Langzeitgedächtnis leichte Probleme hatten«.
Aber Afantasie wird nicht als Krankheit betrachtet, sondern viel eher als »alternativer Denkstil« bezeichnet. Afantasie ist weder gut noch schlecht, einfach anders.
Beitragsbild: Paula Dowrtiel
Quelle: Merlin Fenzel – Keine Bilder Im Kopf