»Challengers«: Ekstasen des ewigen Moments

»Challengers«: Ekstasen des ewigen Moments

Filme über Sport sind bekanntlich eher langweilig. Luca Guadagninos neuster Film »Challengers« widerlegt diese These. Für einen Sportfilm in Reinkultur ist er sich nämlich Gott sei Dank zu schade: bei ihm ist Tennis zugleich lustvolles Machtspiel und Choreographie des Begehrens von Körpern in Aktion.

von Johannes F. Schiller

Zendayas Gesicht in Großaufnahme. Auf ihrer Sonnenbrille spiegeln sich zwei Spieler auf dem Tennisplatz, je in einem Brillenglas. Ein unmögiches Bild. Im Plakatmotiv zu Luca Guadagninos neustem Streich »Challengers« kondensiert sich ein zentrales Motiv: der souveräne Blick der Frau, der Macht trägt oder vielleicht nur blufft. Guadagnino kann mittlerweile als Experte eines sinnlich ausgedeuteten Kinos gelten, das seine Figuren durch ein Labyrinth des Begehrens ohne erkennbares Ziel mäandern lässt. Zuletzt folgte er einer jungen Kannibalin in der Coming-of-Age-Geschichte »Bones and All« (2022) durch ein moralisch verkommenes Amerika. Sympathie für seine Außenseiter ist dabei uneingeschränkt. Nun verschlägt es ihn ausgerechnet in die oberflächliche Welt der Karrieremenschen, der Tennisprofis, die nicht gerade für Empathie bekannt ist. Doch für ihn ist der Sport an sich zweitrangig: vielmehr interessieren ihn die verdeckten Mechanismen dahinter, die Doppeldeutigkeit von Tennis-Match und Verführungsspiel, Käuflichkeit und Intrige.

Es beginnt mit einem unerwarteten Zusammentreffen, die narrative Klammer öffnet sich. Die beiden ehemaligen Kindheitsfreunde Art Donaldson (Mike Faist) und Patrick Zweig (Josh O’Connor) finden sich als Rivalen im Finale eines Challenger-Turniers wieder. Art galt lange als Favorit, bis ihn eine Verletzung aus der Bahn wirft. Patrick versucht sich seither mit kleineren Turnieren finanziell über Wasser zu halten – die Nacht vor dem großen Duell verbringt er auf dem Parkplatz. Dann dreht Guadagnino die Zeit zurück, wo er die Geschichte dieses On-Off-Verhältnisses der Freunde auseinandernimmt. Und unausweichlich, geradezu deterministisch, auf jenes Endspiel zusteuert, um das sich der Thriller in typischer Satzstruktur des Tennis herum konzentrisch strukturiert.

Dies obskure Objekt der Begierde

Beide Männer sind damals verliebt in Tashi Duncan (Zendaya), der eine glänzende Zukunft im Tennisgeschäft bevorsteht. Werbepartner Adidas steht schon in den Startlöchern. Ein heißer Flirt zu dritt auf dem Zimmer der Jungs besiegelt fortan ein ambivalentes Liebesdreieck, das einen Rattenschwanz an Begehrlichkeiten, Neid und Konkurrenzdenken mit sich ziehen wird. Tashi hat die Oberhand, wenn sie verschmitzt in die Kamera schaut, zufrieden mit ihrem getanen Werk – der Blick des Meister-Manipulators. Doch tatsächlich fest stehen die Rollen ab sofort nicht wirklich. Sie verschieben sich konstant, zumal wir beständig zwischen den Zeiten wechseln, hin und herspringen in der über zehn Jahre sich entwickelnden Chronologie neuer romantischer Konstellationen. Wer manipuliert hier wen? Wohin fällt das Begehren diesmal? Erst sind Patrick und Tashi ein Paar, dann zwingt ein Unfall Tashi, ihre Karriere auf Eis zu legen. Fortan trainiert sie Art und wird seine Ehefrau.

Dass die Parteien höchst opportunistisch agieren und zuvorderst auf Gewinn und eigene Vorteile aus sind, spiegelt die kapitalistische Logik dieser Wettkämpfe wider. Tashi geht mit Art ein amouröses Zweckbündnis ein, indem er ihre Leidenschaft fürs Tennis stellvertretend fortführt: »I’m playing for both of us, Tashi«, hält er ihr in der Nacht vor dem großen Match vor. Er zerbricht unter dem emotionalen Druck in einer der erstaunlich intimsten Szenen des Films. Liebe muss zwangsweise frustriert werden, auslaufen, übergehen zur Transaktion von Gefälligkeiten. Das macht die Figuren alles andere als liebenswert, jedoch anhaltend faszinierend. Auch weil ihre Motivationen im Verborgenen bleiben: das Begehren bahnt sich hartnäckig seinen Weg.

Ekstasen der Zeitdehnung

Justin Kuritzkes, der sich für das Drehbuch verantwortlich zeichnet, kommt von außerhalb. Als offenkundiger Fan des legendären Matches zwischen Serena Williams und Naomi Osaka der US Open 2018 erwuchs sein Interesse, die Innenleben dieser öffentlichen Figuren zu dramatisieren. Mit entsprechend Spekulation und Fantasie. Hinzu kommt Guadagnino: Schon in »I am Love« (2009) mit Tilda Swinton stellte der italienische Regisseur sein zu opernhafter Höhe auflaufendes Stilbewusstsein unter Beweis, mit Anleihen bei Luchino Visconti. 

Die eigentliche kinästhetische Attraktion von »Challengers« sind nämlich die dynamisierten, teils extrem entschleunigten, in Zeitlupe gefilmten Tennisduelle: Wie Bewegung, Körper und Choreographie sich zu einer ungemeinen sexuellen Energie steigern und zum eigentlichen (homo-)erotischen Spektakel gerinnen. Schweiß darf hochauflösend auf die Kamera tropfen, maskuline Machtspiele werden auf der Schaubühne des Tennis ausgetragen, das Warten auf den Aufschlag wird ekstatisch zum »ewigen Moment« gedehnt. Schließlich entfesselt sich die Kamera zu den treibenden Techno-Beats von Trent Reznor und Atticus Ross, wenn sie die subjektive Sicht von Spieler und Ball übernimmt. Manche Filme fragen danach, in einem Orgasmus zu gipfeln. Dieser hat ihn zweifellos verdient.


Challengers ist seit dem 25. April in den deutschen Kinos. Im internationalen Vertrieb von Warner. 131 Minuten.

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