Als Kaiser zu faulenzen gefährdet den Staat – als Politiker zu faulenzen gefährdet die Menschheit
»Romulus der Große« feierte am 26. April erstmalig in Regensburg seine Premiere im Antoniushaus.
von Anne Nothroff
Regisseurin Antje Thoms inszeniert »Romulus der Große« von Friedrich Dürrenmatt und zeigt damit wie ein Weltreich an seinem desinteressierten Herrscher zugrunde geht. Im Mittelpunkt der historischen Komödie, die in Rom im Jahr 476 spielt, steht der letzte römische Kaiser Romulus Augustus (Guido Wachter). Das Römische Reich steht kurz vor seinem Untergang. Die Staatskassen sind leer und die Germanen siegreich auf Vormarsch. Anstatt zu handeln, wie es sich für ein Staatsoberhaupt gehört, genießt der Kaiser lieber sein Frühstücksei und schwadroniert mit Kammerdiener Pyramus (Paul Wiesmann) über seine Hühnerzucht. Der Eilbote Spurius Titus Mamma (Jonas Julian Niemann) stürzt mit erschütternden Nachrichten herbei: Die Germanen stehen bereits an den Grenzen. Er wird jedoch nicht vorgelassen, denn zur Frühstückszeit darf der Kaiser keinesfalls gestört werden. Von seiner Familie (Kathrin Berg und Sophie Juliana Pollack) wird er gedrängt endlich zu handeln. Doch der Kaiser zeigt sich unbeeindruckt: »Ich habe schließlich auch meine Sorgen«, heißt es in Dürrenmatts Text.
Ein Reich, das an seinem Helden untergeht
Friedrich Dürrenmatt schrieb seine historische Komödie kurz nach den Schrecken des zweiten Weltkrieges. Uraufgeführt wurde sie im Jahr 1949 in Basel und zählt als eines der politischsten Werke Dürrenmatts. Darin wolle er nicht einen Helden an der Zeit zugrunde gehen lassen, sondern ein Reich an seinem Held untergehen lassen. Diese Perspektive fängt Regisseurin Antje Thoms hervorragend ein. Dürrenmatts böser Humor und sein Gespür für die Groteske werden durch das teils in Zwei- und Dreifachrollen besetzte Ensemble gekonnt vermittelt. Die Situationskomik entsteht vor allem zwischen dem gelassenen Kaiser und den drängenden, aufgeregten Nebenfiguren.
Florian Barth gelingt es, den Zerfall des Römischen Reiches bereits im Bühnenbild sichtbar zu machen. Die Sommerresidenz des Kaisers ähnelt einem verdreckten Hühnerhof. Der Putz blättert von den Wänden, die Luft ist staubig und der Boden von Dreck und Stroh übersäht. Es müsste dringend mal sauber gemacht werden. Die Szenerie ist soundtechnisch mit ruhigen Westernklängen und zirpenden Grillen untermalt. Hühnereier fliegen über die Bühne und eine kurze Tanzeinlage lassen einen die apokalyptische Grundstimmung zeitweise vergessen. Auch die Gespräche über die Hühner, allesamt sind sie nach antiken Helden benannt, sorgen für das gewisse Amüsement. Beinahe kann man die Gleichgültigkeit des Hühnerzüchterkaisers nachvollziehen und findet sich beim Zuschauen zwischen Wahnsinn, Humor und Weltuntergang wieder.
Man könnte meinen es sitze ein Romulus in der Regierung
Ein Zeitsprung: Vergangenen Freitag hat der Bundestag die Reform des Klimaschutzgesetzes verabschiedet. Bisher war jeder Sektor (z.B. Verkehrs oder Gebäudebereich) dazu verpflichtet, die Klimaziele einzuhalten. Ist dies nicht gelungen, mussten die betroffenen Ministerien im Folgejahr Sofortprogramme vorlegen. Diese Spartenziele wurden nun abgeschafft. Die Einhaltung der Klimaziele soll nun sektorübergreifend erfolgen. Ob ein einzelnes Ministerium Klimaschutz schleifen lässt spielt keine Rolle mehr – hauptsache in der Summe passt‘s am Ende. Freuen dürfte sich vor allem einer: Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) – er hätte ein Sofortprogramm vorlegen müssen, damit die Klimaziele im Verkehr noch erreicht werden können. Die Opposition stimmte gegen die Reform und ausgerechnet die CDU spricht von einem Rückschritt für den Klimaschutz. Man könnte meinen es sitze ein Romulus in der Regierung. Als Kaiser:in zu faulenzen gefährdet den Staat. Als Politiker:in zu faulenzen kann die Existenz der ganzen Menschheit gefährden. Damit wird Dürrenmatts Romulus zum Symbol der Aufschiebe-Politik unserer Zeit, und zeigt, dass wie so oft der Mensch selbst das Problem ist, aus dem sich Missstände und Katastrophen ergeben.
Zurück zu Dürrenmatt: Am Ende des Stückes muss sich der Kaiser vor der Geschichte verantworten. Erst dann wird die wahre Motivation hinter seinem Nicht-Regieren offenbar. Er sieht sich selbst als gerechter Richter seines eigenen Reiches. Seine Untätigkeit beruht rückblickend auf einem konkreten Plan. Mit dem letzten Satz des Stückes hat das römische Reich aufgehört zu existieren. Beim Schließen des Theatervorhangs bleiben viele Fragen offen: Wie handeln, wenn der Staat Dringlichkeiten nicht erkennt? Was tun, wenn Regierungen handlungsunfähig wirken? Die Frustration und Verzweiflung über Kaiser Romulus bleiben somit nicht im Theatersaal, sondern sind im Hinblick auf die Themen, die unsere heutige Politik bewegen, erschreckend nachvollziehbar.
Weitere Informationen zum Stück gibt es auf der Website des Theater Regensburg (Theater Regensburg – Romulus der Große)
Die Vorstellung wurde mit Pressekarten besucht.
Beitragsbild: Joscha Eißen, Guido Wachter, Sophie Juliana Pollack © Tom Neumeier Leather