Vortrag im »LiZe« von Isolde Vogel: Antisemitismus als Weltanschauung
Wer oder was ist Antisemitismus? Und in welchen Formen und Codes äußert er sich damals wie heute? Auf Einladung der AG Input stellte sich die Historikerin Isolde Vogel im LiZe diesen komplexen Fragen in einem fundierten Vortrag – und offenbarte einmal mehr die unbequeme Wahrheit: Die Ideologie des Antisemitismus macht vor keinen Grenzen Halt.
von Franziska Leibl
Über den Rahmen der Veranstaltung
Die Vortragsreihe zur Kritik des Antisemitismus unter dem Titel »Ich bin ja kein Antisemit, aber…« wurde anlässlich der Ereignisse am 07. Oktober in Israel von dem antifaschistischen Veranstaltungskollektiv AG Input ins Leben gerufen und läuft seit Mitte Dezember an. Bisher standen ein Vortrag über die Folgen der Gründung eines jüdischen Staates für den Antisemitismus sowie eine Buchvorstellung über Antisemitismus im Underground auf dem Programm.
Am gestrigen Donnerstag, den 15.02., sollte wiederum Antisemitismus als Weltanschauung in einem Vortrag thematisiert werden. Hierzu öffnete wie gewohnt das »Linke Zentrum« (LiZe) im Kasernenviertel seine Türen.
Die für Besucher:innen kostenfreie Veranstaltung sowie das Getränkeangebot (auf Spendenbasis) wurden sichtlich gut angenommen; der kleine, aber heimelige Veranstaltungsraum war nahezu bis auf den letzten Platz voll besetzt – auch wenn es zugegeben kurz vor Beginn der Vortrages noch nicht danach ausgesehen hatte. Der offizielle Teil des Abends begann somit auch etwas später als geplant um ca. 19:15 Uhr.
Das Publikum, erfreulicherweise bunt gemischt von jung bis alt, empfing die fachkundige Referentin Isolde Vogel mit großem Interesse. Letztere ist Historikerin und beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit (visuellem) Antisemitismus, dem NS und der völkischen Weltanschauung. Derzeit arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin u.a. für das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes in Wien und promoviert sich nebenbei. Dabei verfolgt sie einen interdisziplinären Ansatz, verknüpft also Zeitgeschichte u.a. mit Politik- und Medienwissenschaft, was ihrer eigenen Aussage nach zufolge in konservativen Forschungskreisen nicht immer willkommen geheißen würde.
Die Zuhörer:innen, die dem kurzweiligen, etwa 60-minütigen Vortrag gebannt lauschten, konnten diese allgemeine Skepsis wohl nicht nachvollziehen, da Isolde Vogel die komplexe Thematik anschaulich und gut verständlich zu verpacken wusste:
Antisemitismus und seine Ausprägungen
Hierzu definierte sie zunächst den Begriff des Antisemitismus als Weltanschauung, die auf einer »vorurteilsbehafteten Feindschaft gegenüber Jüdinnen und Juden« basiere und »europäisches Kulturgut« sei. Zudem verwies sie darauf, dass der Begriff aus struktureller Sicht keineswegs mit dem des Rassismus gleichgesetzt werden könne, da Antisemit:innen eine »jüdische Verschwörungsabsicht von oben « als Grund ihrer Ablehnung nennen würden.
Weiterhin spannte sie in einem ideengeschichtlichen Abriss den Bogen vom »christlichen Antisemitismus« über den sogenannten »modernen Antisemitismus« (welcher erstmalig politisch und rassistisch motiviert war) und vom »Antisemitismus in der NS-Zeit« weiter zum »Antisemitismus der heutigen Zeit«.
Hierbei wurde deutlich, dass sich bestimmte Argumentationsstrukturen und Mythen – wie die »Gottesmordlegende«, Vorwürfe des »Wuchers« oder der »Brunnenvergiftung« – und auch andere entmenschlichende Motive – wie die Verknüpfung des Begriffes des Jüdischen mit jeglichem Üblen wie dem Teufel oder Blut – stets wiederholten.
Doch neben der Wiederkehr von bestimmten Motiven und Mythen ist als weitere zentrale Entwicklung besonders nach dem Zweiten Weltkrieg, im Rahmen eines »Antisemitismus ohne Juden«, auch die zunehmende Verkomplizierung und Verschleierung antisemitischer Codes erkennbar. So werden beispielsweise antisemitische Parolen verbreitet, ohne dass Jüdinnen und Juden oftmals explizit als Feind:innen erwähnt würden. Gleichzeitig seien eine zunehmende Leugnung und Tabuisierung des Holocaust sowie einer allgemeinen Feindschaft gegenüber Jüdinnen und Juden in antisemitischen Gruppen und auch anderen Teilen der Gesellschaft beobachtbar.
Der heutige Antisemitismus und seine Komplexität
Mit dem Begriff »Camouflage-Antisemitismus« wird das Phänomen, dass immer wieder neue Anlässe und Themen aufgegriffen werden, um antisemitische Botschaften auf verschleiernde Art und Weise zu entsenden, treffend umschrieben. Die Problematik, so die Historikerin, sei hierbei, dass Außenstehende besonders gut geschult sein müssten, um Antisemitismus anhand dieser komplexen Codes noch erkennen zu können.
Isolde Vogel betonte außerdem, dass Antisemitismus keine Grenzen kenne: Weder die eines politischen Lagers (sowohl in der linken, konservativ/liberalen und rechten Szene sei er auffindbar) noch die einer Bildungsschicht, Religion oder Ländergrenze. Dennoch, so ihr Appell, solle man nicht laut pauschalisieren und vorschnell verurteilen, sobald jemand Kritik an Israel tätige, zumal auch innerhalb Israels Jüdinnen und Juden Kritik an der eigenen Regierung äußerten. Vielmehr sollte jede:r dazu angehalten sein, sich aus mehreren, zuverlässigen Quellen zu informieren, sich im Anschluss darauf eine eigene Meinung zu bilden und vor allem: Ambivalenzen und Widersprüche in der Welt zu akzeptieren und nicht zu vereinfachen, nur weil es sich damit angenehmer lebe – denn genau das sei die Falle, in die Verschwörungstheoretiker:innen und Antisemit:innen tappten.
Wie lässt sich Antisemitismus erkennen?
In der anschließenden Diskussion zeigten sich einige Zuhörer:innen anlässlich des »Camouflage-Antisemitismus« sichtlich beunruhigt und stellten die Frage, wie man antisemitisches Potential denn leichter entlarven könne. Isolde Vogel gab hierzu den Tipp, dass man sich auf der Webseite https://conspiracychart.com über verschiedene Codes und ideologisch-bedenkliche Gruppierungen informieren könne. Auch erwähnte sie die sogenannte »3D-Regel«. Mithilfe derer könnten versteckte, antisemitische Botschaften leichter entschlüsselt werden, indem man ihren Inhalt auf Doppelstandards – Dämonisierung – Delegitimierung (des Staates Israels) prüfe.
Mit einem anerkennenden Applaus wurde der offizielle Teil des Abends schließlich um ca. 20:45 Uhr beendet, doch es war deutlich zu vernehmen, dass das Thema die Zuhörer:innen noch lange nicht losließ, sodass sich auch in informeller Gesprächsrunde noch intensiv darüber ausgetauscht wurde.
Anmerkung: Es stehen noch weitere Termine im Rahmen der Veranstaltungsreihe zur Kritik des Antisemitismus an. Nähere Infos können u.a. auf der Webseite des LiZe (https://lize.info) oder der AG Input (https://aginput.org) eingesehen werden.
Beitragsbild: AG Input