»Ich bin die Bühnenfigur Gernot Mörig« – Lesung aus der CORRECTIV-Recherche am Theater Regensburg

»Ich bin die Bühnenfigur Gernot Mörig« – Lesung aus der CORRECTIV-Recherche am Theater Regensburg

Wie bringt man einen journalistischen Text auf die Bühne? Das Theater Regensburg hat es versucht und, in Anlehnung an das Berliner Ensemble, der Recherche von CORRECTIV zum »Geheimtreffen« rechtsextremistischer Akteur:innen in Potsdam im Rahmen einer kostenlosen Lesung einen künstlerischen Raum gegeben. Dabei wurden gesellschaftspolitische Wahrheiten offengelegt, die lange niemand wahrhaben wollte.

Von Hannah Eder

Der 21. Januar ist ein Tag der politischen Positionierung. Bereits am Vormittag treffen sich nach Angaben der Veranstaltenden 6000 Personen am und um den Regensburger Haidplatz, um gegen einen Rechtsruck in Deutschland und im Speziellen gegen die AfD Stellung zu beziehen. Nur wenige Stunden später wird die geplante Demonstration gegen rechts in der Landeshauptstadt München wegen zu großem Andrang frühzeitig abgebrochen. Nur passend, dass diese Veranstaltungen noch am selben Abend vom Ensemble des Theater Regensburg erneut kontextualisiert werden.

Der Text dazu stammt von einer zügig für die Bühne adaptierten Fassung, die im Rahmen einer Kooperation zwischen dem Berliner Ensemble, dem Wiener Volkstheater und CORRECTIV unter der Regie von Kay Voges als szenische Lesung konzipiert und am 17. Januar aufgeführt sowie anschließend für andere Ensembles zur freien Verfügung gestellt wurde. Darin enthalten sind nicht nur die bisher bekannten Informationen, die CORRECTIV genau eine Woche zuvor veröffentlichte, sondern auch weitere Details aus der Recherche, die neue Facetten des Potsdamer Treffens aufdecken. Für die Lesung am Haidplatz macht sich nun auch das Theater Regensburg den Stoff zu Eigen.

Intendant Sebastian Ritschel betont in seiner kurzen Einführung, es handle sich bei dieser Lesung nicht in erster Linie um eine politische Veranstaltung, sondern es stehe vielmehr eine Kunstform im Vordergrund, die Dinge »zugänglich machen« und dafür sorgen soll, dass Menschen »ins Gespräch kommen«. Und tatsächlich wird das Publikum nicht mit einer reinen Nachstellung des Potsdamer Treffens konfrontiert, sondern mit einer szenischen Neuinterpretation gespickt von teils fiktionalisierten, teils metakontextuellen Einschüben, die anstelle einer bloßen Reinszenierung – und dadurch potenziell simplifizierten Rezeption der Recherchen – ein komplexes und erschreckendes Bild derjeniger entwerfen, die im November 2023 aus dem Schatten der deutschen politischen Landschaft ans Licht getreten sind.

Im Laufe des Abends zeichnet sich das Bild eines skurrilen, aber deshalb nicht weniger verstörenden, Treffens, das letztlich wohl nicht ganz so exklusiv war, wie geplant. Das Ensemble, bestehend aus Michael Haake, Jonas Julian Niemann, Lilly-Marie Vogler, Joscha Eißen, Paul Wiesmann, Thomas Mehlhorn und Anna Kiesewetter, verkörpert die bekanntesten Teilnehmer:innen des Treffens dezidiert als »Bühnenfiguren«. Schonungslos legen ihre Beiträge, die während der Lesung miteinander in Dialog treten – ähnlich, wie es wohl beim tatsächlichen Treffen gewesen sein muss – offen, wie radikal, demokratiefeindlich und menschenverachtend die anwesenden Akteur:innen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft denken. Feindbilder werden konstruiert, nur um die betreffenden Personengruppen direkt im Anschluss aus Deutschland herauszuargumentieren. Eine der entsetzlichen Kernfragen des Treffens lautet schließlich, »Wie können 25 Millionen in Deutschland lebende Menschen vertrieben werden?« – oder kurz: Remigration.

Dadurch, dass es sich bei der Inszenierung des Theater Regensburg sowie auch der ursprünglichen Fassung des Berliner Ensembles nicht um eine reine Wiedergabe des journalistischen Originaltextes, sondern eine künstlerische Bearbeitung handelt, erhält die Debatte um das »Geheimtreffen« an diesem Abend noch eine zweite Ebene. Man widmet sich Fragen, die den Kern der journalistischen Praxis betreffen: Wessen Identitäten dürfen und sollen geschützt werden? Welchem Risiko setzen sich Investigativ-Journalist:innen bei derartig heiklen Recherchen aus? Wie kann es sein, dass CORRECTIV im November 2023 die Versammlung dokumentierte, der Verfassungsschutz aber scheinbar nicht? Beantwortet werden diese Fragen nur in Ansätzen – sie fertig zu denken, bleibt dem Publikum überlassen. Gleichzeitig wandert man geschickt den schmalen Grat zwischen dunkler humoristischer Kommentierung des Geschehenen und den unfassbaren Wahrheiten über Entwicklungen der deutschen Gesellschaft, für die dieses Treffen steht, entlang.

Im anschließenden Publikumsgespräch bekommen die Zuschauer:innen die Möglichkeit, diese Ambivalenz nicht nur für sich zu reflektieren, sondern ihre Eindrücke zu verbalisieren. Das »In-Kontakt-treten« mit Anderen steht dabei im Vordergrund. Am Ende verlässt das Publikum die Bühne am Haidplatz mit einer Erkenntnis, die bereits im Vorwort zur Lesung anklang: Das Theater Regensburg hat sich an diesem Abend der Aufgabe verpflichtet, Debatten zu führen, zu öffnen und die Demokratie zu schützen. Dennoch kann und darf der Abend, auch das wurde bereits in den einleitenden Worten deutlich, nicht das Ende der Debatte sein.


Die CORRECTIV-Recherche zum Nachlesen gibt es hier.

Beitragsbild: Michael Haake, Jonas Julian Niemann, Lilly-Marie Vogler, Joscha Eißen, Paul Wiesmann, Thomas Mehlhorn (vorne) und Anna Kiesewetter (hinten) lesen im Theater am Haidplatz © Tom Neumeier Leather

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