Geborgenheit

Geborgenheit

Und da war plötzlich eine Sehnsucht in ihm nach Ewigkeit, die ihm bisher fremd gewesen war. Er wollte den Moment mit ihr zusammen anhalten und für immer darin leben. Dieser Traum verlor sich langsam in seinen Gedanken und wurde schließlich von der Realität verjagt.

von Ida Müerman

Er atmete tief durch, fuhr sich noch einmal mit den Fingern durch die Haare- warum war er jedes Mal vor ihren Treffen so aufgeregt? Aber immer nur vorher. Sobald er sie in seinen Armen spürte, wusste er, dass er angekommen war. Auf der Welt, im Leben, am sichersten Platz in der Unendlichkeit unseres dröhnenden Universums. Sollte er noch einen Kontrollblick auf die spiegelnde Oberfläche seines Handys werfen? Mütze, Hoodie, Jacke, egal. Sie war ja nicht oberflächlich, jedenfalls hoffte er das. Schnell drückte er den Klingelknopf, bevor das Gedankenkarussell in seinem Kopf zur Achterbahn werden konnte. Er lauschte dem schrillen Läuten, das sich im inneren des Hauses zu verlieren schien, von stillen Wänden umhergeworfen wurde und schließlich kleinlich verstummte. Vielleicht war sie nicht da?

Doch, jetzt sah er durch das Glas der Eingangstür eine schemenhafte Gestalt, verzehrt zu einem unerkennbaren Schatten, aber sie war es, sonst war ja niemand zuhause. Allein am Gang hätte er sie wohl nicht erkannt, nicht so, wie alle anderen das immer sagten. In Wahrheit liefen alle Menschen gleich, eine stumme Herde aus grauen Hüllen in der jede Eigenheit einfach verschluckt wurde. Klar, wenn man genau darauf achtete, ragten einige heraus, gerade geschnürt durch ihr Leben stolzierend, hochgezogen an einem Gerüst aus scheinbarem Selbstbewusstsein und aufgesetzter Arroganz. Zugleich so unsicher in ihrem Weg, dass die meisten von ihnen schon beim ersten Stolpern zerbrachen. Ob sie wirklich dachten, dass niemand hinter die Fassade blicken konnte? Oder gingen sie davon aus, dass niemand in dieser kalten Welt das überhaupt wollte? Alle so abgeschreckt von scheinbarem Mut und auf das Äußere fokussiert, bis das Innere verblasst. Bis es durchsichtig wird und schließlich ganz verschwindet. Dann bleiben nur noch diese leeren Schalen ohne Leben, wie man sie nachts auf der Suche nach ihrem verlorenen Selbst durch die Städte irren sieht. Die meisten von ihnen werden nie fündig, zerfallen schließlich an ihren Hoffnungen oder am Alkohol und den Drogen, in dem sie dieses Hoffen ertränken. Aber so war sie nicht, ganz sicher. Sie spazierte einfach wie selbstverständlich durch das Leben, drehte sich nur ab und an um, um das Gewusel um sich herum – oder mehr hinter sich gelassen – aus endlosen Wimpern leicht verwirrt zu betrachten.

Wenn sie jedoch lächelte oder ihn einfach nur anblickte, war da dieses leichte Funkeln in ihren grauen Augen, so wie jetzt. Das Grübchen auf der rechten Wange grub sich in ihre zarte Haut, während sie ihn strahlend in die Arme schloss. Ihre Wärme strömte auf ihn über. Verwunderlich, dass so ein kleiner Mensch so viel Energie abzugeben hatte, wie ein zierlicher Heizstrahler. Und dann, direkt nach der ersten Wolke aus Wärme kam ihm die zweite entgegen: ihr Duft. Den würde er überall wiedererkennen, viel eher als irgendeine Art zu gehen. Dieser einzigartige Geruch, der sich in seine Nase schlich, war Erinnerung und Gegenwart zugleich. Mit ihm kam immer wieder dieses neue Gefühl, eine warme Mischung aus Geborgenheit und Ankommen. Und da war plötzlich eine Sehnsucht in ihm nach Ewigkeit, die ihm bisher fremd gewesen war. Er wollte den Moment mit ihr zusammen anhalten und für immer darin leben. Dieser Traum verlor sich langsam in seinen Gedanken und wurde schließlich von der Realität verjagt. Schnell schloss er sie noch fester in seine Arme. Denn er wusste, dass nichts für ewig ist, das meiste noch nicht einmal für lange.

Bildquelle: Fabian Brosda

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