»Überforderung«
Weil ich das neue Semester mit jeder Menge Aufgaben und Erwartungen begonnen habe, ist mir erstmal alles zu viel geworden. Zeitgleich gab es dann auch einen medialen Schwall an schlechten Nachrichten. Wie geht man mit dem Kontrast zwischen den eigenen Alltagsproblemen und den großen Krisen in der Welt um?
von Ida Müermann
»Überforderung« bezieht sich auf die Situation, in der eine Person mit mehr Aufgaben, Verantwortlichkeiten oder Stress konfrontiert ist, als sie bewältigen kann. Das hat mir ChatGPT auf die Frage geantwortet, was Überforderung ist, und es trifft ziemlich genau das Gefühl, das mich die letzte Woche über begleitet hat.
Wenn im Alltag alles zu viel wird
Mein Einstieg in das neue Semester verlief ziemlich holprig, was ich mir zugegebenerweise auch selbst zuzuschreiben habe. Eine Nachholprüfung, die nicht bloß über eine, sondern gleich drei Vorlesungen geht, wäre zum Beispiel durch meine Anwesenheit in den Veranstaltungen letztes Semester vermeidbar gewesen. Direkt das erste Referat halten zu müssen, weil man zehn Sekunden langsamer beim Eintragen in GRIPS war als die Kommiliton:innen, eher weniger. Genauso wenig konnte ich beeinflussen, dass ich in ein einziges von fünf eingetragenen Seminaren reingekam und die erste Woche über bei verschiedensten ersten Sitzungen vorbeikommen und um einen Restplatz bitten musste, um irgendwie meine Leistungspunkte für das Semester zu sammeln. Dazu kommen dieses Semester irgendwie deutlich höhere Anforderungen mit langen Leselisten und aufwendigen Zwischenaufgaben. Die erste Woche habe ich also in der Uni zwischen Bib, CIP-Pool und Seminarräumen verbracht – lauter kleine Probleme zu Semesterbeginn, die bestimmt einigen von euch vertraut sind. Da ich aber wie jeder andere auch noch ein Leben außerhalb der Uni habe, wurden es noch mehr Termine. Ich bin Teil der Lautschrift geworden, weil ich das schon letztes Semester vorhatte. Ich bin dem Campus e.V. beigetreten, da ich unbedingt Freund:innen dabei unterstützen will, auf dem nächsten Festival aufzutreten. Zudem bin ich mehrfach die Woche beim Ballett, Tanzkurs, Laufen und Badminton – zum einen, weil es Spaß macht, zum anderen, weil der Selbstanspruch an die Sportlichkeit hoch ist. Versteht mich nicht falsch, den Stress in der Uni und mit meiner Freizeit, den habe ich mir selbst gemacht. Das ist dieser Konflikt zwischen wollen und sollen, zwischen dem, was man erledigen muss, und den Dingen, die man auch irgendwie noch gerne in der knappen Freizeit unterbringen möchte. Aber an sich sind das ja wie gesagt selbst gemachte, sehr privilegierte Probleme.
Die Welt in der Krise
Was mich noch viel stärker überfordert in letzter Zeit, eigentlich schon seit Jahren, ist der Kontrast zwischen meinen kleinen Alltagsproblemen und den großen Problemen in der Welt. Vor drei Wochen hat sich bei den Wahlen gezeigt, dass zwei Drittel der Menschen in Bayern entweder rechts oder sehr konservativ sind. Es hat sich auch das stetige Wachstum der AfD gezeigt, einer Partei, die mit Aussagen wie, »Das große Problem ist, dass Hitler als absolut böse dargestellt wird«, die grausame Geschichte des Nationalsozialismus verharmlost, und für die Rassismus und Diskriminierung zum Alltagsgeschäft gehören. Während hier gewählt wurde, ereignete sich in Israel etwas Unfassbares. Junge Menschen, so wie wir, wurden beim Feiern auf dem Supernova Festival entführt, gefoltert und ermordet. Mit dem Großangriff der Hamas eskalierte der Konflikt, der schon seit Jahrzehnten für viele zum Alltag gehört und auch bei mir immer im Hintergrund präsent ist, so schrecklich das auch klingt. Ganz ähnlich der Ukraine- Krieg: am Anfang erscheint er jeden Tag in den Medien, es folgt ein großer Aufschrei der Öffentlichkeit, Sammlungen von Hilfsgütern, spontane Aufnahme von Flüchtlingen – und inzwischen ist das alles in die Gleichförmigkeit der Wochentage eingeflossen. Dann kommen doch wieder schreckliche Bilder zerstörter Häuser und Menschen in den Medien und die Traurigkeit und Wut über die Ereignisse treffen mich mit voller Wucht.
Überfordert vom Überfordert-Sein
Ich bin überfordert von all den schlechten Nachrichten und überfordert mit meiner Machtlosigkeit in diesen Themen. Überfordert, dass ich mit meinen kleinen Studierendenproblemen überfordert bin, während es anderen Menschen so viel schlechter geht. Wenigstens dagegen kann ich etwas unternehmen. Ich grenze meinen Nachrichtenkonsum ein und die Mediennutzung, um mich bewusster mit den Weltgeschehnissen auseinanderzusetzen und nicht mal schnell beim Essen auf Insta die neuen Todeszahlen im Gazastreifen zu checken. Gegen Überforderung hilft mir, Abstand zu gewinnen. Mich nicht ständig diesen Themen auszusetzen, die schockieren, nachdenklich und traurig machen, psychisch und körperlich anstrengend sind. Nur dann habe ich letztendlich genug Energie, um den Dingen gezielt und bewusst Aufmerksamkeit zu schenken, anstelle mich einfach nur überfordert zu fühlen.
Beitragsbild © Valentin Brosda