Poesietherapie
»Work-Life-Balance wird eher zur Work-Work-Balance, Lebenszeit zur Arbeitszeit. Ich wollte kein Leben von dem ich mir frei nehmen muss. 30 Tage Urlaub sind wenig. Lieber zwei Monate Semesterferien. Zwei Mal im Jahr. Rente gibt’s eh nicht.«
von Anonym
Milchbar. Wintersemester. Lautes Gelächter, leises Denken. Und umgekehrt. Finger tippen auf Tastaturen. Fehlermeldung. Nicht nur auf dem Bildschirm, auch im Kopf. Knopfdruck. Alles schwarz. Neustart. Wieder von vorne. Köpfe rauchen, Zigaretten qualmen. Aschenbecher in der Flasche. Die Mate ist leer. Karte, Guten Morgen, alte Laster auf dem Tisch. Arbeiten für die Abhängigkeit, in Abhängigkeit arbeiten. Systemfehler. Selbst ein Fehler im System. In der Klausur durchgefallen. Alles wieder von vorne.
Bunte Massen huschen über den grauen Beton. Auf dem grauen Campus. Im grauen Nebel. Es ist Oktober. Bald November. Grau. Weihnachten kommt. Zurück in die Heimat, obwohl die Heimat längst hier ist. Was hält mich? Ich halte mich zurück, halte dich zurück. Wir halten uns fest. Ich fühle mich erdrückt. Nähe-Distanz-Problematik. Beziehungskrise. Hab ich mal in einer Doku gesehen. Es ist Winter. Wir bleiben bis zum Sommer zusammen. Scheint bequem zu sein. Meinte mal jemand. Moderne Gesellschaft. Wer ist im Winter schon gern alleine? Ich wäre gern allein, aber nicht einsam. Einsam unter vielen Menschen. Gesellschaft als Gesamtheit der Einzelwesen. Stand mal in ‘nem Buch von Mill. Einsam steckt in Gemeinsam. Wo ist der Sinn? Ich sehe ihn nicht, sehe nichts. Der Nebel ist zu dicht. Ich wär gerne wieder dicht. Weglaufen, Weltflucht und Flucht vor mir selbst. Benebelter Zustand. Wie die Stadt. Nebelsburg. Wie passend. Passend machen. Ich passe mich an. Nur nicht auffallen, lieber untergehen. Weggehen und doch bleiben. Noch einmal. Alles wieder von vorne. Was hält mich fest? Ich halte mich zurück. Bedeckt halten. Nicht auffallen und trotzdem auf der Bühne stehen. Theaterprobe. Augen starren mich an, sehen durch mich hindurch. Unsichtbar im Mittelpunkt. Bühnenpräsenz und Präsenzzeit vereinbaren. Work-Life-Balance wird eher zur Work-Work-Balance, Lebenszeit zur Arbeitszeit. Ich wollte kein Leben von dem ich mir freinehmen muss. 30 Tage Urlaub sind wenig. Lieber zwei Monate Semesterferien. Zwei Mal im Jahr. Rente gibt’s eh nicht. Wofür dann arbeiten? Ich sehe den Sinn nicht, sehe nichts. Der Nebel ist zu dicht. Meine Gedanken haben sich aufgehängt. Error 404. Nochmal alles von vorne.
Kopfhörer rein. Musik laut. Ich höre mich selbst nicht mehr denken. Mir ist alles zu viel. Ich will mehr. Alles ist mir zu wenig. Gedankenkarussell. FSK 18. Fahr lieber nicht mit. Meine Gedanken sind keine gute Nachbarschaft. Chester Bennington. Numb. One more light. Schwarz. Neustart. Alles wieder von vorne. Nur dieses Mal nicht.
Bildquelle: ChiemSeherin