Wenn das Firmament brennt – Christian Petzolds »Roter Himmel«
Hinter der unbeschwerten Leichtigkeit des Sommers lauert die Ahnung einer Gefahr. Die Waldbrände sind noch fern, man wähnt sich in Sicherheit. Aber sobald der Wind sich wendet, wird nichts mehr so sein wie es war. Über Klimakrise, das Wesen der Kunst und den letzten schicksalshaften Sommer in Christian Petzolds »Roter Himmel«.
von Johannes F. Schiller
»Irgendwas stimmt hier nicht.« Leon (Thomas Schubert) und Felix (Langston Uibel) sind auf dem Weg in ein abgelegenes Ferienhaus an der Ostsee. Landstraße mit Mercedes. Kurz vor dem Ziel bleibt der Wagen liegen und sie müssen zu Fuß durch den Wald in der Dämmerung. Es sind erste Augenblicke der Beunruhigung, die die Idylle des Sommerurlaubs trüben. Etwas Unbestimmtes liegt in der Luft, wie eine Vorahnung. Über Leon schallt ein Flugzeug im Tiefflug hinweg. Fast bricht er zusammen. Später werden es Löschflugzeuge sein, die den Vormarsch der Flammen Einhalt gebieten sollen und das Unwahrscheinliche wird unabwendbares Schicksal. Die anfängliche Angst ist jedoch schnell vergessen, sobald die Freunde in ihrem Domizil ankommen.
Das Klima der negativen Gefühle
Christian Petzold setzt zunächst unheilvolle Akzente, bevor er seine Protagonisten einen Ball der zwischenmenschlichen Spannungen und der schwebenden Langeweile aussetzt, wo jeder Tag eine Wiederholung des vorherigen darstellt, mit leichten Verschiebungen. Die Überraschung für die beiden: Sie sind nicht alleine. Nadja (Paula Beer), eine junge, Saisonkraft, die im nächstgelegenen Küstenort jobbt, hat sich bereits auf Einladung von Felix‘ Mutter einquartiert. Hinzu gesellt sich ihr zeitweiliger Liebhaber Devid (Enno Trebs), welcher als Rettungsschwimmer arbeitet. Nun müssen die vier jungen Menschen miteinander auskommen. Ein wenig schwingt die Selbstisolation zu Corona-Zeiten nach; man darf zwar raus, aber es herrscht anderweitiger Ausnahmezustand: Komplizierte soziale Geflechte, die sich um einen mehr oder weniger abgeschlossenen Raum konzentrieren.
Schuld ist Leon. Der ist ein Zauderer wie er im Buche steht, verbohrt und in der Vorstellung des großen Schriftstellers gefangen. Bis ihn die Muse küsst kann das lange dauern; im Gegensatz zu Felix, der bald Feuer und Flamme ist für eine Foto-Idee für seine Bewerbungsmappe. Doch statt mit seiner Umgebung zu interagieren, ist Leon immer bloß Zuschauer, ausgeklammert von der Gemeinschaft. Statt den Moment wahrzunehmen und darin aufzugehen, blockt er alles um ihn herum ab, verschließt sich. Alles worauf er hinarbeitet, ist die Ankunft des Verlegers Helmut (Matthias Brandt), der sein Manuskript begutachten soll. Nadja wird es einen Tag zuvor lesen dürfen und das Todesurteil darüber aussprechen: »Du weißt doch selber, dass es Bullshit ist.« Kein Wunder, dass er die Arbeit so lange vor sich hergeschoben hat.
»Roter Himmel« ist wie als Antwort auf die leichtfüßigen Sommerfilme des französischen Autorenfilmers Éric Rohmer zu verstehen: in dessen Observationen der Liebe, vorzugsweise im gehobenen Bürgertum (»Claires Knie«, 1970) und im Umfeld sonnengetränkter Küstenorte angesiedelt, ereignet sich oberflächlich wenig Spektakuläres. Rohmer und Petzold generieren ihren Konflikt aus der Mitte heraus; sie kreisen um Blicke, dem Urinstrument des Kinos: Da gibt es Blicke, die dem Voyeur angehören, Blicke der Verachtung, die abschätzig sind, urteilen und verhöhnen und jene, die verborgenes Begehren signalisieren. »Roter Himmel« stellt Christian Petzolds meisterliches erzählerisches Talent unter Beweis, als Experte für menschliche Zwischentöne, dem erhitzten Klima negativer Gefühle. An einem Punkt wendet er sich ab von Rohmers Tagträumereien, um sich in den Modus eines Thrillers zu begeben oder gar kurzzeitig beim Horrorfilm zu landen.
Romantik des letzten Abschieds
Hinter der unbeschwerten Leichtigkeit des Sommers lauert die Ahnung einer Gefahr. Die Waldbrände sind noch fern, man wähnt sich in Sicherheit. Vermehrt kommt es zu Lautsprecherdurchsagen von den örtlichen Behörden. Sobald der Wind jedoch seine Richtung wechselt, wird nichts mehr so sein wie es war. Man ist faktisch der Willkür der Natur ausgeliefert. Zu lange ist es zu trocken gewesen. Die Katastrophe kommt ins Rollen und Petzold, der Finalist, der Apokalypse-Romantiker, darf aufblühen wie die neu belebte Prosa von Leon im Schlussakt. Denn wenn der Horizont im Hintergrund rötlich schimmert, ist das ebenso poetisch wie das Meeresleuchten oder die umschlungenen Liebenden im Augenblick ihres Todes. Alle Gewissheiten zerbersten, nur die Liebe überdauert die Zeiten.
Unweigerlich wirft der Film damit die Frage nach dem Wesen der Kunst in den Raum. Leon hat sein altes Buchprojekt verworfen und einen neuen Roman verfasst, das Buch des Films, und darf über sich hinauswachsen. Der Schriftsteller wird wiedergeboren, der sich zum Schreiben nicht mehr länger zwingen muss, sondern sich seinem eigenen Erleben aus einer inneren Notwendigkeit heraus stellt, um das Wahrhaftige zutage zu bringen. Erst wer ernsthaft an der Wirklichkeit teilnimmt, ist in der Lage, sie zu begreifen und zu durchdringen. Für Leon eine befreiende Erkenntnis mit einem unverhältnismäßig hohen Preis.
Hinweis: In Regensburg wird der Film am 14.07.2023 im Cinema Paradiso gezeigt – alle Infos hier: https://cinemaparadiso-regensburg.de/programmuebersicht/
Hier der Trailer zum Film:
Beitragsbild: Foto von Jason Wong auf Unsplash