»Rock am Ring« 2023 – Ein Erwartungs- und Erfahrungsbericht

»Rock am Ring« 2023 – Ein Erwartungs- und Erfahrungsbericht

»Rock am Ring 2023« ist zu Ende. Während die ersten schon Karten fürs nächste Jahr kaufen und manche vermutlich immer noch auf dem Zeltplatz sitzen und Bier trinken, lasse ich Revue passieren. Welche Bands waren da, wer hat abgeliefert und wer eher enttäuscht? Schauen wir es uns an.

von Helge Wittenberg

Ein Sprung in der Zeit zurück, es ist Donnerstag und ich sitze im Zug nach Köln. Voller Vorfreude höre ich die Bands, auf die ich mich am meisten freue. Es ist mein erstes Festival, daher habe ich auch Respekt vor den nächsten vier Tagen, aber die Motivation zu feiern steigt immer weiter. Schauen wir uns zunächst die Bands an, die ich mir gerne anschauen möchte. Wer spielt da und wer sind die eigentlich?

Teaser für 2023:

Bandhighlights 2023

Freitag

Mein persönlicher Favorit im Line-Up ist sicher eine der häufigsten Antworten, würde man auf dem Festivalgelände fragen, welcher Act der beste wird: Die Foo Fighters. Die Band um Nirvana-Schlagzeuger Dave Grohl besteht schon seit fast dreißig Jahren und ist inzwischen eine wahre Größe der Rockmusik. Nach dem Tod des Drummers Taylor Hawkins im letzten Jahr ist Rock am Ring der erste Europaauftritt der Band mit dem neuen Schlagzeuger Josh Freese. Die Erwartungen sind sehr hoch.

Am Freitag noch vor dem Headliner Foo Fighters spielen zwei weitere Bands, die für mich ein Muss sind: Rise Against, Punkrock aus Chicago, der meine frühe Jugendzeit geprägt hat sowie Limp Bizkit, eine der Bands, die der Nu-Metal-Szene der Neunzigerjahre zum Durchbruch verhalf.

Vielleicht schaue ich mir dann später auch noch das Late-Night-Special an: Apache 207, der Rapper aus Mannheim, der zeigt, dass bei Rock am Ring nicht nur Rockbands die begehrten Plätze im Zeitplan bekommen.

Die Mandora Stage, zweitgrößte Bühne am Ring

Samstag

Am Samstag stehen dann Kings of Leon als Headliner auf dem Programm. Außer »Use Somebody« und »Sex on Fire« kenne ich die Band kaum. Kurze Recherche ergibt: Sie kommen aus Tennessee und hatten seit 2008 keinen richtigen Hit mehr. Der Platz als Headliner ist fragwürdig, aber für die zwei Songs, die jeder kennt, will ich sie mir doch anschauen.

Vorher gibt es für mich jedoch noch eine schwere Entscheidung zu treffen: Im Slot vor dem Headliner kollidieren K.I.Z. und Papa Roach. Dabei wird die kalifornische Rockband auf dem Rockfestival auf die zweite Bühne verwiesen. Ihre Hits »Last Resort«, »Scars« und »Help« scheinen nicht für die Main Stage zu reichen – dabei ist auch das aktuelle Album sehr stark und ich würde mir den Auftritt sehr gerne anschauen. Andererseits steht mit K.I.Z. eine Berliner Rapgruppe auf der Bühne, die dafür bekannt ist, enorm starke Liveshows abzuliefern. Ich kenne viele ihrer Songs, oft auch auswendig, und will gerne ganz vorne dabei sein, um ein absolutes Partykonzert mitzunehmen.

Während mir Nothing But Thieves und Pabst zu früh spielen, ist der erste Act, den ich mir am zweiten Festivaltag anschauen will, Provinz. Die deutsche Indie-Band aus dem Landkreis Ravensburg macht bereits seit 2012 Musik, erreichte aber in den vergangenen Jahren mit beiden ihrer Studioalben die Top-10 der deutschen Charts. Seitdem sind sie eine feste Größe des deutschen Indie-Pop und treten in diesem Jahr zum ersten Mal auch am Nürburgring auf.

Im Anschluss interessieren mich noch Hollywood Undead, eine weitere kalifornische Band, die mit Alternative und Nu-Metal auftreten, sowie Tenacious D. Die Band der Schauspieler Jack Black und Kyle Gass tritt mit einer schwer zu definierenden eigenen Musikrichtung und vielen Comedy-Anteilen auf.

Timetable 2023

Sonntag

Am Sonntag beginnen die hochkarätigen Auftritte bereits um 15:20 Uhr mit Sum 41. Am erfolgreichsten war die Band seit jeher in ihrer Heimat Kanada, aber auch in den USA und inzwischen Europa erreichen sie regelmäßig die Top-10. Nach dem Durchbruch mit »Fat Lip« 2001 folgten in den nächsten Jahren weitere Hitsingles wie »In Too Deep« und »Still Waiting«, die bis heute in keiner guten Rockplaylist fehlen dürfen. Sum 41 ist für mich der größte Act am Sonntag, auch wenn sie schon sehr früh spielen. Außerdem werden sie sich nach ihrer letzten Tour 2024 auflösen und spielen damit einen ihrer letzten Festivalauftritte.

Als Headliner treten dann Die Toten Hosen auf. Wer sie sind, muss ich wohl keinem erklären, und aus genau diesem Grund will ich sie mir auch anschauen. Einige ihrer Songs rufen einfach Kindheitserinnerungen hervor und die Gelegenheit, eine der größten deutschen Rockbands live zu sehen, will ich mir nicht entgehen lassen.

Das Festival wird am Sonntag von einem Konzert beendet, dass für viele Besucher ganz oben auf der Liste steht: Bring Me The Horizon. Die britische Band fing mit Deathcore an, wurde mit der Zeit aber gemäßigter und ist nun irgendwo zwischen Metalcore, Hardcore und Alternative-Rock angesiedelt. Ich kenne nur wenige Songs, aber weiß, zu was die Band live fähig ist. Auch wenn ich wohl nicht ganz vorne stehen werde, werde ich sie mir nicht entgehen lassen.

Erwartungen vs. Realität – Meine Erfahrungen

Da haben wir nun also alles, was ich im Voraus erwartet und geplant habe, aber am Ende sind das Beste die Überraschungen. Die Bands, von denen man nie gehört hat oder die man doch eigentlich gar nicht gerne hört. Plötzlich legen sie einen wahnsinnig guten Auftritt hin und man bleibt doch an einer Bühne, an der man nur zufällig vorbeikam. Schauen wir uns also an, wie das Festival tatsächlich ablief.

Erst einmal einfinden

Am Freitag kommen wir, nach einem recht chaotischen Spaziergang, gegen 15:30 Uhr auf dem Festivalgelände an. Das folgende Konzert von Fever 333 auf der Hauptbühne benötigen wir, um das System zu verstehen, mit dem man es in die vorderen Bereiche der Bühne schafft. Ist der vordere Bereich voll, kann man nicht anstehen, um zu warten, sondern muss auf der Start-Ziel-Gerade des Nürburgrings im Kreis laufen und hoffen, dass man im richtigen Moment am offenen Eingang vorbeikommt.

Yungblud (und Olaf der Flipper?!)

Yungblud bei seinem Auftritt

Mit gutem Timing und etwas Glück klappt aber auch das und zum Konzert von Yungblud finde ich mich plötzlich in Reihe 5 wieder. Vorher kommt jedoch noch für 15 Minuten als Überraschungsgast Olaf der Flipper auf die Bühne. Nicht ganz wie erwartet, aber definitiv ein interessanter Start ins Festival. Nach »Lotusblume« und »Mona Lisa« brüllen alle »Wir sagen Dankeschön«, dann ist er auch schon wieder weg. Also zurück zu Yungblud. Der britische Musiker bringt den Pop-Punk der Neunziger mit seinem eigenen Touch in die junge Generation. Der Auftritt und die Musik sind überzeugend, aber trotz zahlreicher Versuche das Publikum anzuheizen, bleibt die Stimmung doch eher ruhig.

Limp Bizkit

Die Stimmung beim nächsten Konzert sieht dann ganz anders aus. Nachdem Limp Bizkit anfangs mit technischen Problemen zu kämpfen haben, sorgen ihr kompromisslos harter Sound und Elemente, die man in der elektronischen Musik wohl Drop nennen würde für ein wunderschönes Chaos aus Moshpits und Gedränge. Während ich mich hier eine Stunde lang anschreien lasse, lohnt sich der Platz in den vorderen Reihen sehr.

Rise Against

Rise Against auf der Utopia-Stage

Bei Rise Against lagen meine Erwartungen weit oben, da ich die älteren Alben der Band vor gut sieben oder acht Jahren rauf und runter gehört habe. Von diesen gibt es dann aber wenig zu hören. Nur drei der wirklich bekannten Songs der Band haben es in die Titelliste für den Auftritt geschafft. Diese sorgen dann auch zwei Mal mit »Savior« und »Sattelite« für komplette Eskalation (auch weiter hinten, wo ich inzwischen stehe) und mit »Hero Of War« für einen schönen gemeinsamen Gesang des gesamten Publikums. Abgesehen von diesen Songs kennt aber kaum jemand die Texte und auch Interaktion mit dem Publikum gibt es kaum.

Foo Fighters

Danach wird es Zeit für den ersten Headliner. Und was für einer es ist! Die Foo Fighters brachten pünktlich am Freitag ihr neues Album »But Here We« Are auf den Markt und sorgen für eine super Show. Eine schöne Mischung aus neuen Songs und vielen ihrer größten Hits bringt epische Stimmung und rechtmäßig das Gefühl, eine der größten Rockbands der letzten dreißig Jahre vor sich zu haben. Hier kennt auch jeder die Texte und es wird ein echtes und echt starkes Rockkonzert. Welthits wie »Everlong«, »The Pretender« oder »Best of You« live sehen zu können ist ein tolles Gefühl.

Apache 207

Nach den Foo Fighters gehen wir entspannt weiter und kommen daher nur verspätet an der Mandora Stage an, auf der Apache 207 sein Late-Night-Special zum Besten gibt. Während das Konzert in den vorderen Reihen sicher sehr viel Spaß macht, kommen wir in den hinteren Reihen nicht mehr so recht in Stimmung. Die Musik ist vergleichsweise leise, hinten stehen viele skeptische Rockfans, die nicht so recht wissen, was sie mit der durchaus guten Show des Hip-Hop-Acts anfangen sollen. Da nach einem langen Tag auf dem Festival die Motivation gering ist, sich nach vorne zu kämpfen beschließen wir, uns noch einen bekannten Song anzuhören und werden prompt mit »Fühlst du das auch« verabschiedet.

Provinz

Am Samstag kommen wir pünktlich bei Provinz an und das ist gut so. Für eine kleine Band, die auf der großen Utopia-Stage vor allem Pop spielen, sind sehr viele Besucher da. Das Konzert ist wie erwartet: Fröhliche Stimmung, der ganze vordere Bereich kann die Texte und singt mit. Alle sind gut drauf und genießen nach einer langen Nacht einen entspannten Einstieg in den zweiten Festivaltag.

Hollywood Undead

Crowdsurfing auf einem anderen Level

Anschließend geht es zu Hollywood Undead. Da am Samstag noch einige Acts anstehen, die viel Energie fressen werden, schauen wir uns das Konzert aus mittlerer Entfernung an. Es wird eine gute Show, die zum Tanzen anregt und die gute Laune aufrechterhält. Auch wenn ich nur wenige Songs kenne, kann ich den Auftritt voll und ganz genießen.

Tenacious D

Zurück zur Hauptbühne. Um bei K.I.Z. so richtig mitfeiern zu können, müssen wir schon während des Konzerts vorher nach vorne. Also geht es zu Tenacious D. Während ich die Musik dieser Band vorher eher mittelmäßig und auf jeden Fall sehr besonders fand, wird das Konzert überraschend gut. Jack Black und Kyle Gass machen eine gute Comedyshow und mit dem vielen drumherum ergeben plötzlich auch die Songs einen Sinn. Die Stimmung ist ausgelassen, es wird gelacht und manchmal kann ich sogar einen Refrain mitsingen.

K.I.Z.

Dann geht es weiter mit dem stärksten Act des Abends. K.I.Z. starten die Show stark mit krachenden Bässen und ihrem neuesten Hit: »VIP in der Psychiatrie«. Schon der erste Song sorgt für ein ausrastendes Publikum, das die folgenden 70 Minuten nicht mehr aufhören wird zu springen. In jedem Song geht viel Bewegung durch die Menge, jeder Moshpit ist größer und härter als der nächste und immer wenn einer der drei Rapper eine Zeile auslässt, ist sie klar und deutlich vom Publikum zu hören. Die Berliner liefern eine krasse Show, die zeigt, wie gefragt Hip-Hop bei Rock am Ring ist.

Kings Of Leon

Kings of Leon – Headliner am Samstag

Anschließend treten die Headliner des Abends auf. Wenn man sie denn so nennen kann. Kings of Leon liefern eine musikalisch einwandfreie Show, ohne mehr als nötig mit dem Publikum zu interagieren. Die Songtexte kennt kaum einer, alle die da sind, warten auf »Use Somebody« und »Sex on Fire«. In den Pausen hören wir die Bässe von der zweiten Bühne wummern. Wie sich im Nachhinein rausstellt, liefert hier gerade Kontra K eine starke Show ab, die die Headliner in den Schatten stellt. Nach einem anstrengenden Konzert wie K.I.Z. sind wir aber ziemlich zufrieden mit der recht entspannten Rockmusik von Kings of Leon. Einfach mal nur dastehen, zuhören und das gute Wetter genießen. Gegen Ende kommen dann die beiden Welthits. Alle singen mit und feiern, dann ist die Band auch schon wieder weg. Mein persönliches Fazit: Kein Headliner, aber es freut mich, die beiden großartigen Songs, die wir alle von dieser Band kennen, gehört zu haben. Danach ist Schluss für mich, der Samstag war zu anstrengend, um noch ein Late-Night-Special anzuschauen.

Sum 41

Sum 41 spielen wohl zum letzten Mal bei »Rock am Ring«

Am Sonntag stehe ich wie geplant bei Sum 41 direkt vor der Bühne. Die Kanadier bringen eine ausgewogene Mischung aus ihren verschiedenen Alben und spielen natürlich ihre großen Hits. Wer um diese Uhrzeit schon aufgetaucht ist, ist auch mit voller Motivation bei der Sache, und das Konzert wird eine ausgelassene und krachlaute Party.

NOFX

Nur aus der Entfernung, vom Balkon eines Werbestandes, schauen wir uns dann noch ein bisschen NOFX an, auch die spielen wohl ihr letztes Jahr als Band. Sum 41 haben als Coverband für NOFX begonnen, sind aber inzwischen auf einem anderen Niveau angekommen als ihre Vorbilder. NOFX bringen eine solide Show, aber stechen nicht aus der Menge der Auftritte heraus.

Steel Panther

Der nächste Versuch bringt uns auf gut Glück zu Steel Panther auf der zweiten Bühne. Die treffen musikalisch unerwartet genau meinen Geschmack. Irgendwo zwischen Hardrock und Heavy Metal ziehen sie dazu eine sehr besondere Show ab, machen äußerlich voll auf achtziger und singen fast ausschließlich über Sex. Dazu kommen viele anzügliche Kommentare zwischen den Songs und am Ende holen sie sich haufenweise junge Frauen aus dem Publikum auf die Bühne. Mit diesem sehr ungewohnten Programm, das immer neue Wendungen nimmt, heizen sie dem Publikum ein und sind für mich ein sehr überraschendes Highlight, um am Sonntagnachmittag noch einmal richtig zu feiern.

Machine Gun Kelly

Machine Gun Kelly singt vor dem Sonnenuntergang auf einem Gerüst

An der Hauptbühne hat sich inzwischen der vordere Bereich so sehr gefüllt, dass er in der Pause zwischen Turnstile und Machine Gun Kelly nicht mehr geöffnet wird. Letzterer baut dann auf der Bühne eine riesige Pyramide auf, von der aus er einige Songs performt und klettert für seinen letzten Song plötzlich am Rand des Zuschauerbereiches auf ein Gerüst.

Die Toten Hosen

Die Toten Hosen sind zum zehnten Mal bei »Rock am Ring«

Der letzte Headliner sind Die Toten Hosen. Mir fällt schnell auf, dass ich von ihnen doch mehr Songs kenne, als ich dachte. Die »Rock am Ring«-Dauergäste spielen eine starke Show, haben starken Rückhalt aus dem Publikum und Performen viele Songs mit einer von mir unerwarteten Energie. Der inzwischen sechzigjährige Campino erzählt, er erfülle sich einen Traum, indem er bei »Rock am Ring« Alphavilles »Forever Young« singt, und die Menge singt mit ihm. Nachdem den Ärzten noch der Song »Freunde« gewidmet wird schließt das Konzert mit »You´ll Never Walk Alone«, welches Campino im Trikot des FC Liverpool singt. Auch nachdem die Band von der Bühne gegangen ist, singt das Publikum weiter und schafft eine wunderschöne Atmosphäre.

Bring Me The Horizon

Bring Me The Horizon schließen das Festival

Anschließend fehlt nur noch eins: Der Festivalschluss durch Bring Me The Horizon. Ich schaue mir das Spektakel größtenteils aus den weiter hinten gelegenen Reihen an, lasse mir aber im Nachhinein versichern, dass es vor dem ersten Wellenbrecher so richtig zur Sache ging. Eine starke Performance mit regelmäßiger Aufforderung an das Publikum, noch mehr abzugehen, ist ein gelungener Abschluss für dieses irre Wochenende voller starker Rockmusik.

Titelbild: Bild von Pexels auf Pixabay

Beitragsbilder: Eigene Fotos von Helge Wittenberg

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