Psychotherapie ist nicht gleich Psychotherapie
Psychotherapie wird weiter entstigmatisiert und immer mehr Menschen wollen diese in Anspruch nehmen. Was viele nicht wissen: Nicht überall, wo Psychotherapie draufsteht, ist die gleiche Psychotherapie drinnen. Hier ein kurzer Überblick über die unterschiedlichen Therapieverfahren, die aktuell am meisten angewandt werden.
von Laura Kappes
Derzeit gibt es vier psychotherapeutische Verfahren, die von den gesetzlichen Krankenkassen anerkannt sind und deren Kosten daher von den Kassen übernommen werden. Diese vier Verfahren sind die Verhaltenstherapie, die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie, die analytische Psychotherapie (Psychoanalyse) und die systemische Psychotherapie. Sie sind wissenschaftlich fundiert und ihr Mehrwert in einer Psychotherapie ist bestätigt.
Anzumerken ist hierbei, dass es gar nicht so einfach ist, wissenschaftlich herauszuarbeiten, welcher Baustein einer Psychotherapie letztendlich zu einer Verbesserung der Symptomatik geführt hat. War es die gute Beziehung von Klient:in und Therapeut:in? Oder war es eine konkrete Übung aus der Psychotherapie? Es lassen sich häufig nur Vergleiche der Symptomatik vor und nach der Therapie ziehen, bei denen eben diese Fragen teilweise schwer zu beantworten sind. Außerdem ist es beinahe unmöglich, Therapieverfahren von den Krankenkassen anerkennen zu lassen, die wissenschaftlich nur unzureichend überprüfbar sind. Das betrifft zum Beispiel viele Verfahren der humanistischen Psychologie, wie die Gestalt-Therapie, bei denen auf subtileren Ebenen gearbeitet wird und die Haltung des/der Therapeut:in eine große Rolle spielt (genauere Infos zu der Therapieform gibt es zum Beispiel hier). Die konkrete Wirkung auf Klient:innen ist dort oft noch schwerer greifbar, als es bei anderen Therapien der Fall ist. Wichtig zu wissen ist, dass viele Coaches oder psychotherapeutischen Heilpraktiker:innen mit den Verfahren der humanistischen Psychologie arbeiten und (teilweise) große Veränderungen bewirken können. Die psychologischen oder ärztlichen Psychotherapeut:innen mit Kassensitz wenden dagegen hauptsächlich die vier oben genannten, wissenschaftlich anerkannten Verfahren an. Aber was unterscheidet diese Verfahren?
Vier Arten der Psychotherapie
Die unterschiedlichen, heute angewandten Therapieverfahren basieren auf verschiedenen Theorien und Konzepten und gehen auf verschiedene Denker:innen zurück. So stammt die Psychoanalyse in ihren Ursprüngen von Sigmund Freud, der vielen Menschen ein Begriff sein dürfte. Er entwickelte seine Methode Anfang des 20. Jahrhunderts durch das Ausprobieren verschiedener Methoden an und in Zusammenarbeit mit Klient:innen. Revolutionär war seine Theorie des Unbewussten. Diese besagt grob, dass es viele intrapsychische Vorgänge gibt, die nicht im Bewusstsein des Menschen sind, aber trotzdem das Erleben und Verhalten bestimmen. Auch, wenn einige von Freuds Annahmen inzwischen aus der Zeit gefallen sind, ist die Annahme von unbewussten Beziehungs- und Verhaltensmustern nach wie vor ein zentrales Konzept der psychodynamischen Psychotherapien. Dazu gehören die Psychoanalyse und die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie. In diesen Therapieformen stehen unbewusste und bewusste Konflikte im Vordergrund, die im Zusammenhang mit der individuellen Lebensgeschichte betrachtet werden. Therapeut:in und Klient:in versuchen gemeinsam (unbewusste) Muster aufzudecken, um mehr Klarheit über die eigene Persönlichkeit zu bekommen und diese verändern zu können. Der größte Unterschied zwischen den beiden Verfahren ist, dass sich Therapeut:in und Klient:in in der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie gegenübersitzen, während in der Psychoanalyse die/der Klient:in häufig noch auf einer Couch liegt.
Die Verhaltenstherapie (VT) entwickelte sich zunächst in scharfer Abgrenzung zu den psychodynamischen Verfahren. Sie geht zurück auf John B. Watson, der die psychischen Vorgänge für von außen undurchschaubar hielt. Er postulierte, dass nicht die Hintergründe (also z.B. die Lebensgeschichte), sondern das Verhalten selbst in den Mittelpunkt einer Therapie gestellt werden sollte. Daher ging und geht es in der VT viel um Veränderung von konkreten, unerwünschten Verhaltensweisen durch verschiedene Lern- und Verhaltensstrategien. Das Therapieverfahren ist daher sehr gegenwartsbezogen. Im Laufe der Zeit rückten außerdem die Gedanken der Klient:innen wieder mit in den Fokus des Therapieverfahrens und die kognitive Verhaltenstherapie ist heute wohl die am weitesten verbreitete Form der VT. Außerdem werden in der VT heute auch Achtsamkeits- und Entspannungstechniken erlernt, die zu einer Erhöhung des Wohlbefindens durch Präsenz beitragen.
Die systemische Psychotherapie ist das jüngste der vier Verfahren und am kürzesten bei den Krankenkassen anerkannt. Der Fokus liegt hier auf dem sozialen Kontext, in dem eine psychische Störung entsteht. Der Mensch wird immer als Teil eines Systems, eines Beziehungsgefüges gesehen. Es kann daher vorkommen, dass weitere Personen, die der/dem Klient:in nahe stehen, in die Therapie mit einbezogen werden oder in speziellen Therapiemethoden symbolisch dargestellt werden. Ein wichtiger Punkt in der systemischen Psychotherapie ist außerdem das konkrete Anliegen, also die Fragestellung mit der eine Person in die Therapie kommt. Das Verfahren hat seine Ursprünge in der Familientherapie in den 1950er Jahren und wurde von verschiedenen Personen entwickelt. Zu nennen ist hier auf jeden Fall Virginia Satir, die einen großen Einfluss auf die konkreten Methoden der systemischen Psychotherapie hatte. Es haben jedoch viele weitere Personen mitgewirkt.
Anwendung der Psychotherapieverfahren
Was kann man sich denn nun unter den verschiedenen Verfahren vorstellen? Und welche Therapieform eignet sich für wen?
Wie und auf welche Art die verschiedenen Therapie-Verfahren angewandt werden, ist abhängig von der Ausbildung, den persönlichen Präferenzen und dem Stil einer/eines Therapeut:in. Beispielhaft kann man sagen, dass eine Verhaltenstherapeutin wohl eher nach den konkreten und als negativ empfundenen Verhaltensweisen einer Person fragen wird, während eine tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapeutin mit einer Klientin die Ursachen ihres Verhaltens ergründen möchte. Es kann hilfreich sein, in der Verhaltenstherapie schon eine genauere Vorstellung der Themen zu haben, an denen man arbeiten will, während in den psychodynamischen Verfahren (Tiefenpsychologisch und Psychoanalyse) die Lebensgeschichte weiter gemeinsam erforscht wird. In der systemischen Psychotherapie sollte man dazu bereit sein, seine Symptome in Kontext von Beziehungen und Kommunikationsmustern zu betrachten.
Wichtig ist außerdem, dass viele Therapeut:innen heute dem Konzept der integrativen Psychotherapie zugewandt sind. Das bedeutet, dass in der Psychotherapie verschiedene Verfahren miteinander kombiniert werden. Je nach Symptomatik und Persönlichkeit einer:s Klient:in eignen sich unterschiedliche Verfahren. So kann es zum Beispiel vorkommen, dass ein/e Therapeut:in sowohl mit verhaltenstherapeutischen Interventionen an konkretem Verhalten arbeitet sowie die Hintergründe des Krankheitsbildes mit tiefenpsychologischen Methoden zu ergründen versucht. Eine große Rolle spielt in allen Psychotherapien die persönliche Beziehung zwischen Therapeut:in und Klient:in. Unabhängig von den konkret angewendeten Verfahren ist es daher wichtig, dass man sich vorstellen kann zu der/dem Therapeut:in eine (professionelle) Beziehung aufzubauen. Erstgespräche eignen sich gut dazu, um erstmal ein Gefühl dafür zu bekommen, ob es passen könnte. Diese kann man bei allen Therapeut:innen mit Kassensitz vereinbaren. Bei Zweifeln, welche Therapieverfahren bei einer Psychotherapie zum Einsatz kommen, hilft es, den/die Therapeut:in danach zu fragen oder auf der Website nachzulesen. Denn wie wir gelernt haben, arbeiten nicht alle Therapeut:innen gleich.
Einen kurzen Überblick über die vier Therapieverfahren und deren unterschiedliche Therapiedauer gibt es zum Beispiel hier.
Geschichtliche und tiefergehende Informationen bietet das z.B. das Buch »Ideengeschichte der Psychotherapie: Theorien, Konzepte, Methoden« (2021) von Strauß, B., Galliker, M., Linden, M. & Schweitzer, J. Das Buch ist im Netz der Universität Regensburg online verfügbar.
Beitragsbild: Annie Spratt I Unsplash