»IMPRESSION DEPRESSION«: Eine Reise in die Gedankenwelt einer depressiven Person
Wie fühlt es sich an, unter Depressionen zu leiden? Menschen, die nicht selbst von der Krankheit betroffen sind, können sich das nur schwer vorstellen. Studierende und Mitarbeitende der Hochschulen hatten vergangene Woche jedoch die Möglichkeit, sich dem Erleben einer depressiven Person anzunähern – mithilfe einer VR-Brille. Auch unsere Redakteurin Anna-Lena hat sich in die Virtuelle Realität begeben. Hier berichtet sie, was sie erlebt hat.
von Anna-Lena Schachtner
Stell dir vor, deine Schultern werden von einer großen Last nach unten gedrückt; unter dem Gewicht krümmt sich dein Rücken. Eine Frauenstimme ist zu hören, verzweifelt und einsam klingt sie. Sie spricht von ihrer inneren Leere, ihrer Traurigkeit und der Angst, dass sie bald alle verlassen werden. Plötzlich grätscht eine andere Stimme dazwischen: »Stell dich nicht so an! Steh einfach auf und mach etwas!« Dann löst sich der Raum um dich herum in Schwärze auf, du hast das Gefühl darin zu versinken. Du findest dich in einer dunklen Kammer wieder, die Wände rücken näher. Die Frau beginnt erneut zu sprechen, sie verliert sich in einem Gedankenstrudel der Hoffnungslosigkeit. Immer weiter scheinst du in die Tiefe gedrückt zu werden…
So oder so ähnlich fühlt es sich wohl an, an einer Depression erkrankt zu sein – und das jeden Tag. Für die Teilnehmenden der Veranstaltung »IMPRESSION DEPRESSION« war der Spuk hingegen nach 15 Minuten vorbei: Sie setzten ihre VR-Brille ab und fanden sich in dem hellen Raum im Studierendenhaus der OTH wieder. Bei der beschriebenen Szene handelte es sich um einen virtuellen »Rundgang« durch die Psyche einer depressiven Person. Entwickelt wurde »IMPRESSION DEPRESSION« von der Robert-Enke-Stiftung, die sich für mehr Aufklärung zu Depressionen einsetzt. Studierende und Mitarbeitende der Universität und der OTH, die nicht selbst von der Krankheit betroffen sind oder waren, konnten vergangene Woche daran teilnehmen. Das Ziel des Projekts: der Öffentlichkeit vermitteln, wie sich Depressionen anfühlen, um somit mehr Verständnis für Betroffene zu schaffen.
Dafür informierte zu Beginn der Veranstaltung ein kurzer Film darüber, welche Symptome bei einer Depression auftreten und wie sie verursacht werden. Für die anschließende Erfahrung in Virtueller Realität zogen die Teilnehmenden eine Bleiweste an, die das Gefühl der Schwere widerspiegeln sollte, das mit der Krankheit einhergeht. Kopfhörer und eine VR-Brille vermittelten die Perspektive einer an Depressionen erkrankten Frau, die sich am Morgen so sehr von ihrer Krankheit gelähmt fühlt, dass sie nicht aus dem Bett kommt.
Die sich wiederholenden Worte der Frau, die über die Kopfhörer erklangen, verdeutlichten den Teufelskreis aus negativen Gedanken, der typisch für Depressionen ist. Dazwischen wurden immer wieder die Stimmen von Angehörigen und Kolleg:innen eingespielt. Deren Kommentare waren entweder unsensibel oder zwar gut gemeint, aber nicht hilfreich. In einem Moment, in dem sich die Verzweiflung der Frau zu einem Höhepunkt gesteigert hatte, kam plötzlich die Aufforderung aus dem Off: »Denke jetzt an etwas Schönes!« Dass das nicht auf Knopfdruck funktionieren kann, sollte zeigen: Depressionen sind mehr als nur schlechte Stimmung. Sie lassen sich nicht einfach abschütteln, indem man mal eben an etwas anderes denkt.
Am Ende des beklemmenden Erlebnisses wurde versucht, die Stimmung bei den Teilnehmenden mit Hilfe von fröhlichen Bildern wieder zu heben. Um die Erfahrungen einzuordnen, gab es im Anschluss ein Reflexionsgespräch, das von Vertreter:innen der Robert-Enke-Stiftung moderiert wurde. Dabei wurde offensichtlich, dass sich einige der Studierenden schon vor der Veranstaltung viele Gedanken über die Krankheit Depression gemacht hatten. Ein großes Thema war in der Diskussion, wie man reagieren kann, wenn Angehörige oder Freund:innen betroffen sind. Dabei waren sich alle einig, dass Kommentare nach dem Motto »Stell dich nicht so an!« absolut nicht hilfreich sind. Ebenfalls wichtig: die erkrankte Person mit ihrer Niedergeschlagenheit nicht allein lassen. Stattdessen solle man sie immer wieder zu gemeinsamen Unternehmungen einladen oder sie bei der Suche nach professioneller Hilfe unterstützen.
Doch konnte die VR-Erfahrung nun wirklich vermitteln, was es heißt an Depressionen zu leiden? Ja, findet ein Student im anschließenden Gespräch mit der Lautschrift. Er habe »IMPRESSION DEPRESSION« besucht, da es in seiner Familie eine Person mit der Diagnose gebe. Durch die VR-Erfahrung verstehe er nun besser, was der Unterschied zwischen alltäglichen Stimmungstiefs und einer Depression ist. Luise, Vertreterin der Robert-Enke-Stiftung, hat ebenfalls den Eindruck, dass viele der Teilnehmenden etwas aus der Veranstaltung mitnehmen können. Hin und wieder nähmen zwar auch Personen teil, die kein Bewusstsein für die Krankheit hätten und teilweise erschreckende Einstellungen dazu zeigten. »Aber genau dann sind wir ja gebraucht«, findet Luise.
Auch Veronika Zeichinger von der Kontakt- und Informationsstelle für Selbsthilfe, die die Veranstaltung mit organisiert hat, betont: »Es ist wichtig, dass Studierende über die Krankheit aufgeklärt werden.« Vor allem in der Phase der Abschlussarbeit seien viele gefährdet, psychische Probleme zu entwickeln, »weil man dann allein mit sich selbst in diesem Leistungs- und Gedankenstrudel ist.« Entscheidend sei, wie die Kommiliton:innen und nicht zuletzt das Lehrpersonal auf die Betroffenen reagieren, etwa wenn es um die Verlängerung der Abgabefrist für eine Hausarbeit gehe. Aufklärungsarbeit wie bei »IMPRESSION DEPRESSION« könne dabei helfen, dass mehr Menschen für die Krankheit sensibilisiert werden und besser damit umgehen, wenn jemand aus dem Umfeld erkrankt.
Natürlich ist die VR-Erfahrung keine Eins-zu-eins-Wiedergabe des realen Erlebens einer psychisch kranken Person. Außerdem kann sich eine Depression bei jedem Menschen anders äußern – was genau dabei in jeder Betroffenen oder jedem Betroffenen vor sich geht, lässt sich als Außenstehende:r schwer sagen. Und dennoch: Viele der Teilnehmenden von »IMPRESSION DEPRESSION« können sich nun wohl besser vorstellen, was die Krankheit bedeuten kann. Das Gefühl der Aussichtslosigkeit in dem schwarzen Raum mit den erdrückenden Wänden geht einem jedenfalls so schnell nicht mehr aus dem Kopf.
Hinweis: Wenn es dir momentan nicht gut geht und du das Gefühl hast, womöglich an einer Depression zu leiden, dann zögere nicht, dir professionelle Hilfe zu suchen! Du kannst dich z.B. an einen Psychologischen Psychotherapeuten wenden. Eine erste Anlaufstelle kann aber auch dein Hausarzt bzw. deine Hausärztin sein.
Zusätzliche Unterstützung kannst du auch im Rahmen einer Selbsthilfegruppe erfahren. Informationen dazu findest du auf der Website der Kontakt- und Informationsstelle für Selbsthilfe in Regensburg (KISS)
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Titelbild Robert-Enke-Stiftung