SCHILLERs »Illuminate« – eine Reise zwischen Himmel, Erde und dem Kosmos

SCHILLERs »Illuminate« – eine Reise zwischen Himmel, Erde und dem Kosmos

Wer die deutschen Albumcharts der letzten Woche verfolgt hat, wird es wissen: SCHILLER beherrscht Platz eins mit seinem Mitte März erschienenen Album »Illuminate«: An sich ein starkes Album, aber beim näheren Betrachten mit einigen doch deutlichen Schwächen.

von Yvonne Mikschl

SCHILLER ist ein Name, der nicht mehr aus der deutschen Musiklandschaft wegzudenken ist. Jede Neuveröffentlichung steigt meist sofort auf oberen Plätzen in die Albumcharts ein. Nicht anders ist es bei SCHILLERs neuester Scheibe »Illuminate«: Der Nachfolger des Klassik-betonten Albums »Epic« (2021) reihte sich in der ersten Woche noch vor Miley Cyrus auf Platz eins der Offiziellen Deutschen Albumcharts ein. Das Erfolgsrezept bleibt gleich: Instrumentals im Wechsel mit Gesangstracks – und das (mittlerweile fast) alle zwei Jahre.

Trotzdem gehen die Meinungen unter SCHILLER-Fans deutlich auseinander: Die einen feiern das Album über die volle Distanz, die anderen finden es absolut langweilig und enttäuschend. Doch was sind – neutral betrachtet – die Stärken und Schwächen des Albums? Als mittlerweile guter SCHILLER-Kenner fällt mir das bei »Illuminate«, wenn ich ehrlich bin, ziemlich schwer: Denn das Album hat auf jeden Fall Stärken, aber im Gesamtkontext auch massive Schwächen, die durchaus behoben werden hätten können. (Eines vorweg: Die vorliegenden Schilderungen spiegeln nur das wider, was ich dabei empfinde.)

CD 1 – »Illuminate« von der Erde bis zum Kosmos

»Willkommen in der neuen Welt von SCHILLER« – seit »Zeitgeist« (1999) leitet dieser ikonische Satz, gesprochen von Franziska Pigulla, jedes SCHILLER-Album ein. Als Hörende:r weiß man sofort: Synthesizer und Sequenzer und eine neue Welt im Universum des Christopher von Deylen erwarten einen:m. Auch »Illuminate« wird wieder nach diesem bestehenden Erfolgskonzept mit dem »Willkommen« eingeleitet. Daran schließt sich mit »Empire of Light« die erste (Instrumental-)Singleauskopplung an. Das Instrumental wird von Gitarren, die den Hintergrund und regelmäßige Synthesizer-Vocals mit den Zeilen »Whenever you call my name« bestimmt. Der Titelsong »Illuminate« folgt zugleich. Gesungen wird von den britischen Sängerinnen Tricia McTeague und Ro Nova, die bereits auf der »Metropolis«-Tour im letzten Jahr dabei waren. Starke Verses von Ro und eine Abwandlung des Hauptthemas des mittlerweile über zwanzig Jahre alten Songs »Ruhe« treffen auf einen vergleichsweisen schwachen McTeague-Refrain, der nur durch ihre hohe Stimmlage zu erklären ist.

Ro Nova und Tricia McTeague während des »Metropolis«-Konzerts 2022 in München (Quelle: eigenes Bild vom 10.05.2022)

Es folgen fünf Instrumentals. »Meer der Stille« ist eigentlich eine Ironie, denn still ist der Song ganz und gar nicht. Hauptsequenz ist das Thema aus »Once upon a Time« aus dem Album »Future I« von 2016, der Beat erinnert ab der Mitte an »Das Unbekannte Reich« (»Zeitgeist«, 1999) – wobei ich finde, dass das Stück auch ohne den Chor überzeugt. »Exotica« beginnt und endet zwar mit einem Klavier, dazwischen dominiert eine starke Hauptsequenz und ein deutlicher Beat, »Reisefieber« setzt diese Stärke fort. Mit »Arc Céleste« schlägt Cedric Monnier, der im Rahmen dieser Kolumne bereits vorgestellt wurde, auf dem Klavier wieder ruhigere Töne an. Der Sequenz-Gesang ist ein Zitat aus »Shangri La« (2019), das wiederkehrende Cello verleiht dem Stück erstmals auf dem Album eine gewisse Melancholie. In »Der Himmel über der Wüste« überrascht Christopher von Deylen mit dem Einsatz von Akustik: Eine klangliche Mischung von Dotar und Harfe, die dem Stück ohne Drumeinsatz und spät einsetzender feiner Hintergrundelektronik eine fast schon transzendentale Wirkung und persischen Flair verleiht.

Mit »Space« reisen wir mit Tricias Gesang in einer Raumkapsel durch Raum und Zeit. Der Song ist wieder im Pop- und klassischem SCHILLER-Elektronik-Gesangstil gehalten und diesmal passen die Vocals auch zur Musik. Bei »La Luna« befinden wir uns entweder im Weltall und sehen uns mit der Schwerelosigkeit in unendlichen Weiten konfrontiert oder werden uns mit dem Mond der Nähe des Tors zum Universum bewusst. Der Track kommt wie »Ein Morgen im August«, welcher mit 48 Sekunden eine reine Überleitung darstellt, ohne Drums aus.

»Love and Tears« bildet gesanglich den Abschluss des Albums und holt eine bekannte Stimme aus dem Album »Morgenstund« zurück: Yalda Abbasi verleiht mit ihrem Gesangsstil, der ab der Mitte in starkem Kontrast zu den Drums steht, dem Song auf Farsi die ideale iranische Stimmung. War bis hierhin noch ein Thema zu erkennen, wird das allerspätestens mit »Die innere Stimme« nun aufgehoben. Die Hauptsequenz erinnert an einen Reiter und greift, wenn man sich »Octagon« einige Male angehört hat, dieses schon fast vorweg.

Das Finale der ersten CD bildet der zwanzigminütige Track »Midsommar«. Diesen hat Christopher von Deylen nicht alleine zu verantworten. Mit Thorsten Quaeschning, mit dem er zuletzt das Konzert auf der Berliner Waldbühne spielte, holt er vertraute Sounds in die SCHILLER-Welt zurück. Gleich zu Beginn zeigt Quaeschning im atmosphärischen Intro mit hohen Pads Präsenz, das dann ab 3:25 Minuten durch einen treibenden Beat und Sequenzer abgelöst wird. Ab Minute 7:30 findet wiederum ein Bruch statt und ein starkes Synthesizer-Thema übernimmt. Zu Ende wechselt noch der Beat und ab 12:30 Minuten kommt noch eine Gitarre ins Spiel. An »Midsommar« wird geübten Hörenden eines schnell klar: Mit Thorsten Quaeschning ist ein Stück »Tangerine Dream« dabei. Als Kenner:in hört man relativ deutlich, welche Stellen von aktuellen Leiter der seit 1967 bestehenden Band gespielt werden und welche Parts Christopher von Deylen übernommen hat. Als Finale der ersten CD ist dieser Track eine gute Idee – und schließt die Geschichte von der Erde bis zum Kosmos ab.

CD 2 – Zwischen den (Gefühls-)Welten

Während der erste Teil noch einem Grundthema zu folgen scheint, ist Teil zwei eher ohne großes Hauptthema zu verordnen – zumindest scheint es auf den ersten Blick so. Bei genauerem Hinhören scheinen Track sieben bis neun für einen Urlaub im Süden passend zu sein. Vielleicht folgt SCHILLER auch eher einem gefühlsbetonten Motiv, was bei einigen Titeln durchaus Sinn geben dürfte – eine Antwort bleibt uns Christopher von Deylen jedoch schuldig.

Mit »Stardust« beginnt der zweite Teil und hebt nach einem ruhigeren Intro zu einem starken CD-Auftakt – ähnlich wie »Empire of Light« in Teil eins – an, der mit dem einsetzenden Beat ab 50 Sekunden an die SCHILLER-Anfänge im Album »Zeitgeist« erinnert. Das Synthesizer-Thema schwächt jedoch ab Minute 1:15 deutlich ab, bleibt jedoch präsent. »What Have we Got« schließt daran an. Die starke Anfangssequenz wirkt etwas störend, blockiert aber die einsetzenden Vocals nicht. Gesanglich brilliert Ro Nova, Tricia McTeague ist (wenn überhaupt) nur schwach im Hintergrund bei den letzten Refrains zu hören. Das Stück passt vom Stil in das Dance angehauchte Gesamtwerk von Ro Nova, besonders wenn man sich ihre Singles ansieht. »Die schwarze Orchidee« zieht stilistisch einen leicht rockigen 80s Synth-Pop mit einer passenden Synth-Stimme durch und setzt indirekt den transportierten Discoflair des CD-Intros fort. Der folgende Track ist die Kooperation mit Robin Andrej Tadic alias »Typewriter«. Bereits auf »Berlin Moskau – The Ultimate Experience« haben er und Christopher von Deylen zusammengearbeitet. »Lykke«, was aus dem Dänischen übersetzt so viel wie Glück bedeutet, ist geprägt von einer sich ständig wiederholenden Synthesizer-Melodie. Bis zu diesem Zeitpunkt der zweiten CD ist mit dem Synthpop eine deutliche Struktur erkennbar, wenn auch die Thematik im Verborgenen bleibt.

Cedric Monnier, Guenther Haas und Robin Andrej Tadic spielten mit SCHILLER bereits auf der Bremer Seebühne zusammen. (Quelle: eigenes Bild vom 09.07.2022)

»Serenity« schließt sich direkt an diesen ersten Teil an. Die Bedeutung des Wortes kann in dem Fall wörtlich genommen werden – Gelassenheit und Ruhe sind hier an der Tagesordnung. »Quiet Love« versucht, daran als Gesangstrack anzuschließen, macht aber leider denselben Fehler wie der Titeltrack »Illuminate«: Die starke Sequenz passt nicht zum ruhigen, von McTeague fast gehaucht gesungenen Refrain, wobei für mich nicht ganz klar ersichtlich ist, ob das über eine andere Endabmischung besser werden würde. »Let’s watch the Stars« holt die Gitarren zurück auf das Album und erzählt eine Augustnacht mit der:dem Liebsten: Beide liegen auf einem Platz in der Natur und sehen in den Himmel, die Sterne glitzern. Die Liebenden sehen sich in die Augen und beim erneuten Blick – circa ab der Hälfte des Stücks –zeigt sich eine Sternschnuppe nach der anderen. Auf »Oceans Away« mimt die Hintergrundsequenz, später auch der Bass, den Wellengang und man liegt einfach nur am Strand irgendwo im Süden und genießt das Leben. Auf Track 9 holt von Deylen Guenther Haas mit ins Boot und bringt damit einen neuen Stil in die SCHILLER-Welt: »El Color de la Luz« zeichnet sich durch zwei Gitarren aus, die sich die wiederholende Hauptmelodie teilen. Die Elektrische ist im Hintergrund, während die Akustische einen spanischen Flair transportiert und zum Tanzen animiert – für mich eine unschlagbare Kombination, vor allem da nur sehr wenig Elektronik sonst genutzt wird auf dem Track.

Mit Titelnummer zehn beginnt das insgesamt circa dreizehnminütige »Endlos«, wobei die Tracks aufgrund der leider ziemlich harten Übergänge nicht als eines gesehen werden können. Hier herrscht eine Stilkombination vor: In Teil eins trifft Samba-Rhythmus auf arabischen Einfluss. »Endlos II« bleibt ruhig, fast schon melancholisch, und kombiniert dabei Klavier mit Tanbour, das von dem iranisch-deutschen Musiker (und Yalda Abbasis Ehemann) Abtin Shahrivar gespielt wird. »Endlos III« beginnt mit einem starken Beat und einer dominanten Sequenz, die den Übergang vom ruhigen Teil zwei fast schon brutal macht.

Auf »Paradigm of Peace« kehrt Tricia gesanglich zurück, aber diesmal passt ihre Stimme zur ruhigen Gesamtstimmung des Stücks. Musikalisch wird die Melodie vom Piano im Hintergrund getragen, das Stimmenflüstern im Laufe des Songs erinnert an die Verzweiflung der Menschen im Krieg.

Größte Schwäche des zweiten Albumteils ist und bleibt das Ende. Denn bei der Melancholie des letzten Gesangstracks bleibt es leider nicht: Christopher von Deylen haut mit »Illuminate: Reprise« den Titelsong in einer Fassung ohne Beats mit vielen Reverb-Effekten raus, was Tricias Gesang wieder besser macht – als Outro eines Albums ist es für mich jedenfalls zu stark. Vielleicht ist das aber gewollt, wenn man sich den Anfang von der dritten CD namens »Octagon« anhört, die mit starker Elektronik beginnt, wer weiß…

CD 3 – »Octagon«

»Octagon« ist, wie jede Bonus-Disc einer Limited Premium Edition bei SCHILLER, eine elektronische Symphonie, rein instrumental gehalten. Trotzdem lässt sie sich diesmal nicht mit ihren Vorgängern wie »Zeitreise«, »Tal des Himmels«, »Horizon« oder gar »Eine Stunde Morgen« vergleichen. Denn diese zeichnen sich durch ruhige Elektronik ohne große schwere Beats aus, die zum Entspannen und Runterkommen einlädt. »Octagon« ähnelt in den acht Parts durch den Einsatz von starken Sequenzern und Synthesizern in Kombination mit deutlichem Drumeinsatz eher an die »Einlassmusiken«, die traditionell vor den SCHILLER Arena-Konzerten gespielt werden. »Octagon« setzt sich mit dem Covermotiv auseinander, das als Abstraktes keine wirkliche Grundstimmung hat. Interpretiert man das Gebilde jedoch wie SCHILLER als Raumschiff, schickt er den Hörenden auf eine Art Fantasiereise zwischen Raum und Zeit. Für mich ist der dritte große Part des Albums eine Mischung aus beiden oben genannten Instrumentalalben-Formen, aber mit starker Tendenz zu einer neuen Art der »Einlassmusik«: Zum Entspannen, Wachbleiben, Relaxen, aber auch zum Tanzen. Eine Mischung eben typisch SCHILLER – und typisch »Illuminate«.

Fazit: starke Instrumentals, schwache Übergänge

»Illuminate« lässt sich als Reise zwischen Himmel, Erde und dem Kosmos noch am besten beschreiben. Die Tracks wurden noch nie so stark von den Reisen durch die Welt inspiriert, sowohl vom Titel als auch von der Trackgestaltung. Daher kommen auch die verschiedenen Einflüsse und Stile, die in die Elektronik miteinwirken – sei es der persische Gesang von Yalda Abassi oder der Synthpop-Einfluss auf »Die schwarze Orchidee«.

Die Zusammenarbeit erfolgt mit alten Bekannten wie Tricia McTeague, die gesanglich im Refrain des Titelsongs und »Quiet Love« nicht stimmlich überzeugen kann, oder Thorsten Quaeschning. Mit Ro Nova und Guenther Haas kommen zwei neue Gesichter ins »Hotel SCHILLER« dazu, die aus ihren Richtungen neue Stileinflüsse in die Musik mit einwirken lassen.

Während die Instrumentals immer punkten können, hakt es beim Durchhören von CD 1 und 2 stark an den Übergängen, die teilweise zu krass sind, wie oben genauer beschrieben. Das Ende der zweiten Scheibe ist nicht wirklich als sinnvoll zu beschreiben. Jedoch lässt sich dies einfach nach persönlichem Gusto umgehen: Denn jede:r hat allerspätestens nach drei Durchgängen seine:ihre Favoriten gefunden – und ansonsten gibt’s ja noch die gute alte Zufallswiedergabe.

Um auf die Kritik der Fans zurückzukommen: Ja, es gibt durchaus Kritikpunkte an »Illuminate«. Ja, das Album hat gewisse Schwächen. Aber: SCHILLER bleibt sich, trotz modernen Touch und Popeinflüssen, musikalisch durchaus treu – und nimmt uns Hörende mit auf eine Reise, irgendwo zwischen Himmel und Erde.

In diesem Sinne, viel Spaß beim Hören!

Musikbeispiele:

»Empire of Light« – die erste Single-Auskopplung (offizielles Video):

»Der Himmel über der Wüste« – Entspannung auf Farsi:

»What have we got« – Ro Novas erste Single mit SCHILLER:

»El Color de La Luz« – spanisches Flair auf SCHILLER-Art:

»Endlos II« – persische Melancholie:

Beitragsbild: eigenes Bild vom 09.07.2022

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