Zwischen zwei Welten – »Tenor«
Heimlichkeiten und ein junger Mann zwischen zwei Welten. Das ist die französische Komödie »Tenor« von 2022. Warum gerade ein Musikfilm so begeistern kann und was das mit Rap und Klassik zu tun hat.
Von Yvonne Mikschl
Französische Filme besitzen meist eine große Prise Romantik und mindestens einen Charakter, der mit einer Krebserkrankung zu kämpfen hat. In Komödien wandelt sich das etwas, aber nicht großartig. »Tenor« schafft einen guten Spagat zwischen einem Drama und einer Komödie – mit einer Geschichte, die aus dem Leben stammt.
Zur Handlung
»Kennen Sie sich ein wenig mit Opern aus?« – »Hab ich vielleicht ein Tütü umgeschnallt?«
Madame Loyseau und Antoine bei ihrer ersten Begegnung in der Oper
Antoine Zerkaoui hat es nicht leicht: Der Rapper kümmert sich um seinen Bruder, dessen Hobby illegale Boxkämpfe sind. Zudem ist er selbst als Lieferdienstmitarbeiter tätig und sitzt eher leidenschaftslos in Vorlesungen zu Buchhaltung. Eine der Sushi-Lieferung geht an die Opéra Garnier in Paris, wo Antoine in die Probe von angehenden (Opern-)Sänger:innen platzt. Deren Lehrerin, Frau Loyseau, wird auf die Stimme des Lieferanten aufmerksam und bietet ihm an, eine Gesangssession mit ihm zu machen. Relativ schnell merkt Antoine, dass er eine echte Begabung hat, und besucht heimlich weiter die Oper – und vernachlässigt dafür Studium und Familie. Seine Stimme steht fortan zwischen zwei Welten. Wird Antoine diesen Spagat hinbekommen und wird ihn seine Familie für diese Entscheidung überhaupt akzeptieren?
Weniger Liebe, dafür mehr Drama
»Tenor« ist kein klassischer Liebesfilm. Eher eine Mischung aus Komödie und Drama mit Hang zu Letzterem. Die Gesangslehrerin hat mit ihrer Krebserkrankung, die immer schlimmer wird, zu kämpfen, während Antoine versucht, seinen Spagat zwischen zwei Welten zu perfektionieren. Dabei steht er auch zwischen zwei Frauen: Samia ist dabei seine Freundin aus der eigenen Vorstadtszene, die ihre Ausbildung bei der Armee beginnt, während Joséphine die Frau ist, die ihn an der Oper mehr oder weniger hält. Wobei sich der Film in dem Punkt nicht vornimmt, ein klassischer französischer Liebesfilm zu werden. Natürlich muss sich Antoine die Frage nach dem Hingezogen-Sein beantworten, das trägt aber nicht wirklich viel zum Plot bei. Der Fokus liegt auf der Frage, ob es ein Underdog schafft, den Sprung von der Vorstadt in höhere Gesellschaftsschichten zu wagen, ohne von der eigenen Clique rausgeworfen und der eigenen Familie verstoßen zu werden. Wenn auch das Ende offen lässt, ob er (Spoiler!) als Opernsänger arbeiten kann oder nicht.
Die Besetzung
Antoine wird von Mohammed Belkhir, auch bekannt unter seinem Künstlernamen MB14, mit Bravour verkörpert, der seine ersten musikalischen Auftritte bei der französischen Variante von The Voice hatte und dort mit Beatboxing und Loopstation überzeugen konnte. Michèle Laroque glänzt förmlich in ihrer Rolle als Operngesangslehrerin. Louis de Lavignère überzeugt als Opernschnösel Maxime und stellt damit das pure Gegenteil zu Antoine dar. Regie führt Claude Zidi Jr., nebenbei sein Regiedebut.
»Sie haben diesen elementaren Funken. Sie müssen jetzt nur noch an sich selbst glauben.«
Madame Loyseau zu Antoine in »Tenor«
Musikalisch bewegt sich »Tenor« im Spagat der Handlung: Während Antoine als Rapper seine eigenen Texte schreibt, ist der erste (illegale) Boxkampf seines Bruders gleich zu Beginn des Films mit einer Opernarie unterlegt. Besonders wird Antoines doppeltes Talent in der Schlüsselszene untermalt: Maxime, Antoines Konkurrent, wird zuerst im Rap gedisst, während Antoine zwei Zeilen aus »Caruso« von Lucio Dalla singt und so Frau Loyseau beeindruckt. Auch tauschen die Welten gegenseitig ihre Musik aus: So bekommt die Operngesangslehrerin eine CD eines bekannten Rappers, während sich Antoine auf seinen Pendelfahrten mehr und mehr Luciano Pavarotti reinzieht. Dass beide Welten sich gegenseitig befruchten können, beweist »Tenor« an diesen beiden Stellen im Film fast zu gut.
Fazit: Sehenswerter humorvoller Film
Mit »Tenor« gelingt Claude Zidi Jr. eine humorvolle Komödie, die nicht nur seelisch berührt, sondern auch einen perfekten Spagat zwischen der Klassischen Musik, der Oper, und dem Rap darstellt. Fast finde ich die FSK-Einstufung mit 12 Jahren sogar für eine einzige blutige Szene etwas übertrieben. Der Soundtrack überzeugt mit einer Mischung aus beiden Genres. MB14 gibt nicht nur mit seinem eigenen Song »Ma Place« dem Film den nötigen Charme, sondern glänzt auch als Schauspieler. Gesamt ist »Tenor« mit hundert Minuten genau richtig für einen schönen Film am Sonntagnachmittag auf der Couch.
Übrigens: wer einen Einblick in den Film haben möchte, sollte sich das Video von »Ma Place« zu Herzen nehmen – darin sind einige Filmszenen gut verarbeitet und kommen richtig gut zur Geltung.
Zu sehen ist der Film unter anderem bei Amazon Prime Video und bei maxdome.
Trailer:
Video zu »Ma Place«:
Beitragsbild: Bild von LoneWombatMedia auf Pixabay