»RUSH!« – Måneskins erstes Album nach dem internationalen Erfolg
Nach dem Internationalen Durchbruch beim ESC 2021 veröffentlichen Måneskin im Januar ihr drittes Studioalbum »RUSH!«. Dieses ist trotz mittelmäßiger Kritiken ein großartiges Album – nicht zuletzt aufgrund seiner Vielseitigkeit.
von Helge Wittenberg
Måneskin konnten sich den Traum eines jeden jungen Musiker:in erfüllen. Gegründet als Schülerband schafften sie es von Talentshows und Straßenmusik zum nationalen und internationalen Erfolg – und das in kurzer Zeit. Aus den Jahrgängen 1999-2001 kommend, sind die vier immer noch sehr jung und können dabei schon Erfolge verzeichnen, die viele Legenden der Rockmusik nie erreicht haben. In der immer schneller und kurzlebiger werdenden Welt der Streamingmusik konnten sie sich gut etablieren, ihr Cover von Madcons »Chosen« aus dem Jahr 2017 hat inzwischen mehr als 1,25 Milliarden Streams auf Spotify und lief vermutlich auf jeder Party Ende 2021.
Måneskins neues Album »RUSH!« ist für mich bereits jetzt das Album des Jahres. Nach Ihrem ESC-Sieg im Jahr 2021 und einem ruhigen Jahr 2022, in dem die vielen neuen Fans in Ruhe die bereits vorher erschienenen Alben entdecken und genießen konnten, veröffentlichten die vier jungen Italiener Mitte Januar ihr erstes Album nach dem internationalen Durchbruch. In diesem stecken nicht nur die bereits aus älteren Werken bekannte Energie und musikalische Fähigkeit, sondern auch viele Eindrücke, die die Band überall auf der Welt sammeln konnte. Besonders geht es dabei aber um die negativen Seiten des Berühmtseins, die sie kennenlernen mussten.
Endlich! Ein neues Album!
Nachdem »RUSH!« im Oktober letzten Jahres angekündigt wurde, erschien es am 20. Januar 2023. In den Wochen danach habe ich das Album so viel gehört, dass Måneskin mit hoher Wahrscheinlichkeit auch dieses Jahr wieder mein meistgehörter Künstler auf Spotify sein wird. Bereits die im Laufe der letzten zwei Jahre veröffentlichten Singles liefen rauf und runter und haben die Vorfreude auf das Album gestärkt. Jetzt ist klar: Beinahe jeder der 14 Songs hat Single-Charakter.
In jedem Lied wird eine völlig neue Atmosphäre geschaffen, laut Frontmann Damiano David nach dem Vorbild Radiohead. Unter anderem durch verschiedenste Einstellungen der Gitarreneffekte und in der Abmischung kommen auf »RUSH!« verschiedene Stile des Rocks aus den letzten Jahrzehnten unter und Måneskin zeigen erfolgreich, dass sie sie alle beherrschen. Ihr typischer Pop-Rock des ersten Studioalbums »Il ballo della vita«, laut genug für ein starkes Konzert, aber ruhig genug, um der breiten Masse zu gefallen ist durch Songs wie »OWN MY MIND« oder »GASOLINE« weiterhin vertreten. Dazu kommt, dass diese englischen Songs gut mitsingbare Refrains auch für das internationale Publikum haben.
Ruhig, aber nicht langweilig
Bekanntermaßen werden oft Balladen die größten Hits von Hardrock-Bands. Ob Metallicas »Nothing Else Matters«, »Wind Of Change« von den Skorpions oder Led Zeppelins »Stairway To Heaven« – die Rockgrößen, die sonst ihre Gefühle laut und deutlich verarbeiten, können sie meist auch präzise ausdrücken, wenn sie denn wollen. »TIMEZONE«, »IL DONNO DELLA VITA«, die dritte Single-Auskopplung »THE LONELIEST« und vor allem »IF NOT FOR YOU« werden Fans von ruhigen Harmonien und echten Emotionen nicht enttäuschen. Letzteres ist für Damiano David die perfekte Ballade, wie er in einem Interview erklärt.
Harte Kritik mit viel Energie
Aber auch in die andere Richtung schlägt das Album aus. »KOOL KIDS« handelt von den überzogenen Erwartungen der Öffentlichkeit und davon, dass es Måneskin nicht interessiert, wie der Rest der Welt sie sieht. Diese Haltung und stets daran festzuhalten ist für viele Fans einer der wichtigsten Gründe, die charismatische Band auch außerhalb ihrer Musik zu verfolgen, auch oder gerade weil es einem Nicht-Rockstar weitaus schwerer fällt, sich keine Gedanken darüber zu machen. Um in den Song all die negativen Emotionen zu stecken, die der Öffentlichkeitsdruck auslösen kann, hat sich Sänger Damiano etwas Besonderes ausgedacht. Während er im Normalfall keinerlei Alkohol trinkt, war er im Studio für »KOOL KIDS« betrunken und schrie mit aller Kraft ins Mikrofon. Dabei verfällt er in einen glaubwürdigen London Accent, welcher perfekt zur musikalischen Richtung des Songs passt. Es ist ein vollblütiger britischer Punk-Song mit all der Wut, die darin stecken muss und einer klaren Botschaft.
Auch der Song »BLA BLA BLA« zeigt, welches Potential in der jungen Band steckt. Die Story: Ein ekelhaft toxischer Freund spielt sich auf und macht sich über seine Freundin lustig. Der musikalische Aufbau: Vergleichbar mit einer Beziehung dieser Art, harmlos zu Beginn, über die Zeit mehr Emotionen, positive wie negative, und vollkommene Eskalation am Ende.
Die unterschätzte Sprache Italienisch
Nur ein Problem gibt es für mich mit dem Album »RUSH!«: Die italienischen Songs. Das dürft ihr nicht falsch verstehen, denn sie sind nicht schlecht. Ganz im Gegenteil, sie sind gut, sehr gut sogar. Aber leider sind es nur drei. Schon auf den älteren Alben von Måneskin, auf denen sie noch in der Überzahl waren,gefielen sie mir meist am besten. Vielleicht liegt das daran, dass die italienische Sprache in der Musik für mich als Deutscher ungewöhnlich ist, vielleicht daran, dass ihr melodischer Klang perfekt zu genau der Musik passt, die die vier Musiker:innen aus Rom machen. Auf jeden Fall sind die drei italienischen Songs »MARK CHAPMAN«, »LA FINE« und »IL DONO DELLA VITA« die Hoffnung, dass es auch in Zukunft weitere Måneskin-Songs in ihrer Muttersprache geben wird und die Bestätigung, dass diese weiterhin sehr gut werden.
Obwohl das Album in der internationalen Musikpresse nur wenige positive Kommentare bekommt, halte ich es für ein großartiges Album und bin mir sicher, dass viele von euch das auch so sehen werden. Denn Måneskin sind eine Band unserer Generation, die modern ist, nicht nur musikalisch, sondern auch im Allgemeinen auftreten. Wäre ich ein Musikkritiker mittleren Alters, wäre ich wohl auch überfordert vom Bruch mit Geschlechterrollen und der kritischen Auseinandersetzung mit dem aktuellen Musikgeschehen.
Beitragsbild von Unsplash
Der letzte Satz mit dem „Kritiker mittleren Alters“ finde ich witzig. Ich bin 51 Jahre „alt“, und habe jetzt zum allerersten Mal eine Antwort auf die häufig gestellte Frage nach meiner Lieblingsband/Musiker, die ich bisher noch nie beantworten konnte (ich mag alles was „gut“ ist, egal welche Musiker, egal welches Genre, HipHop, Trance, Klassik, Pop, Grunge, Dancefloor, Schlager, TrashMetal, you name it). Zum ersten Mal bin ich kompletter Fan einer Band, auch ausserhalb des rein Musikalischen, nämlich Maneskin. Ich liebe deren Einstellung, und was sie in Interviews von sich geben. Ihre Art und Weise. Ihr Konzert im März in Köln: mega! Sie passen in keine Schublade, ausser in diejenige, die beschriftet ist mit: „einfach nur rundum geil“. Wenn ihre Chemie so bleibt wie sie ist – und die Chance ist gegeben, weil sie nicht gecastet wurden, sondern als Teenagerfreunde zusammen kamen – könnten das die nächsten Rolling Stones werden. Jung und talentiert genug sind sie dafür. Und ganz klar: die treibende Kraft ist Damiano mit seiner Stimme UND seiner Präsenz als Frontmann. Parallelen zu Mick Jagger kommen nicht von Ungefähr. Ihm wurde sogar mal nahegelegt, seine Musikerkollegen aufzugeben, da sie nicht in seiner (Gesangs-)Liga spielen würden (das war noch vor 2017). Er tat es nicht. Deswegen sage ich: wenn ihre Chemie so bleibt, dann sind das die neuen Steine.
Wie gesagt, ich bin Ü50. 😉