Schreibwerkstatt: »Neue Welt«
Text zum Thema Revolution der Heftausgabe 34. Geschrieben im Rahmen der Schreibwerkstatt an der Uni Regensburg.
von Marie Matysik
Sie versprachen einander, sich wiederzusehen. Ob es die Wahrheit war, das wussten sie nicht. Eine letzte Umarmung. Ein letzter Kuss. Dann schlossen sich die Türen. Er rührte sich nicht. Reglos lag er da und lauschte seinen raschen Atemzügen in der Stille. Es würde alles gut gehen, hatte man ihnen zugesichert.
Er nickte auf die Frage, ob er bereit wäre. Auch wenn er es nicht war. Zweifel nagten noch immer an ihm, ob er die richtige Entscheidung getroffen hatte. Schließlich befand sich die Erfindung noch in der Anfangsphase. Aber es kam kein anderer Weg für ihn infrage. Es war die einzige Möglichkeit, für immer mit seiner Frau vereint zu bleiben. Und es musste jetzt sein. Bevor der Krebs sie von innen heraus gänzlich verschlungen hatte. In einer Welt, in der seine Frau und er keine Zukunft mehr hatten, wollten sie nicht länger bleiben. Sie würden keine Kinder hinterlassen. Keine Enkel. Ihre Hüllen ohne Bewusstsein wären das Einzige, was übrigbleiben würde. In Zeiten von Genom-Editierung und fliegenden Autos, war es ein revolutionärer Schritt. Endlich konnten Menschen ewig leben. Sie würden sich von diesem Leben trennen und ein Neues beginnen, welches nie enden sollte; so wurde es ihnen versprochen.
Sein Körper war an zahlreiche Maschinen angeschlossen, um sein Bewusstsein auf ein Speichernetzwerk zu extrahieren. Er spürte Wärme, die durch seinen gesamten Körper floss, während die Betäubungsmittel ihre Wirkung entfalteten. Sein Herz pochte ihm gegen die Brust. Der Gedanke, dass es in wenigen Augenblicken nicht mehr schlagen würde, ließ ihn erzittern. Er schloss die Augen. Inständig hoffte er, dass er bald bei seiner Frau sein würde. Dass er aufwachen würde, und sich nichts und gleichzeitig alles verändert hatte.
Während er diese Welt verließ, umgab ihn Dunkelheit. Es war ein zu langer Moment, den er in Finsternis verbrachte, losgelöst von Raum und Zeit. Er fürchtete, für immer in einer ewigen Nacht gefangen zu sein. Aber dann wich die Schwärze einem Grauton. Und wurde sekündlich heller. Alles um ihn herum bewegte sich. Wolken wirbelten um ihn und fanden ihren Weg zum Himmel. In der Ferne ging die Sonne auf. Alles glich der Erde. Er konnte kaum glauben, dass es sich nur um eine Abbildung handelte.
Er sah an sich herab, berührte seinen Körper, der jünger, gesünder, lebendiger schien. Vor Glück traten ihm Tränen in die Augen, als er seine Frau erblickte. Zärtlich strich er ihr durch die langen Haare. Er hatte ganz vergessen, wie es sich anfühlte, nachdem sie jahrelang keines mehr gehabt hatte. »Bist du bereit, unsere neue Welt zu erkunden?«
Er nickte, nahm ihre Hand und spürte Leere. So als würde er einen Geist berühren. Er erstarrte. Doch dann fühlte er Gegendruck. Es musste eine Einbildung gewesen sein.
Beitragsbild: Sachin Khadka I Unsplash
In der Schreibwerkstatt verfassen Studierende der Uni bei Prof. Jürgen Daiber Kurzgeschichten und Prosa. Wer Interesse hat, bei der Schreibwerkstatt mitzuwirken, findet auf der Website des Instituts für Germanistik mehr Informationen. Wir veröffentlichen jeweils einen Text pro Semester in unserer Heftausgabe. Weiteren Autor:innen bieten wir eine Plattform auf dieser Website.