Schreibwerkstatt: »Amazon Prime und er bleibt daheim«

Schreibwerkstatt: »Amazon Prime und er bleibt daheim«

Text zum Thema Revolution der Heftausgabe 34. Geschrieben im Rahmen der Schreibwerkstatt an der Uni Regensburg.

von Anonym

Brandgranaten fliegen durch die kaltgraue Novemberluft und verbrennen das, wofür sie so lange gekämpft haben. Sie sehen mit getrübten Augen dabei zu, wie sich ihre Hoffnung zu schwarzer Asche wandelt. Auf ihrer Haut tragen sie die Wunden der Unterdrückung, während in ihren Herzen die Stimme des Kampfes rumort. »Los! Lasst euch nicht unterkriegen!«, brüllt eine der schattenhaften Figuren an vorderster Front. Sie ist in eine graue Schicht aus Staub und Dreck gehüllt. Lediglich ihr Blick strahlt siegessicher durch die verschmutzte Rüstung hindurch. Aus der umliegenden Distanz kann man ein überzeugtes »Weiter! Gebt nicht auf!« hören. Erst folgt Zustimmung, dann der Abspann. Fremde Namen erscheinen auf dem heimischen Fernseher. Der Griff zur Fernbedienung? Ein Kraftakt. Er lässt die Buchstaben weiter über den Bildschirm tanzen, bis dieser von allein schwarz wird. Die Schreie, die zuvor durch die Dunkelheit seines Zimmers hallten, versiegen abrupt. Einsamkeit auf 20 Quadratmeter. So hatte er sich sein Studium nicht vorgestellt.

Stunden vergehen, bis er sich dazu aufraffen kann, den Fernseher endlich abzuschalten. Oder waren es überhaupt Stunden? Er ist sich nicht sicher. Die Stille nimmt den Raum nun vollkommen ein. Sie haucht ihm eisig entgegen und legt sich schwer auf seine Brust. Das Atmen scheint schier unmöglich. Er erstickt an der Leere, die den Raum, wie auch sein Inneres, komplett ausfüllt. Nach und nach bilden sich Schweißperlen auf seiner Stirn. Die kleinen Tropfen glänzen im schwachen Licht der Schreibtischlampe, die sich links neben seinem Bett befindet. Er greift sich an den Hals, als würde er versuchen, die Fesseln seines Daseins lösen zu wollen. Vergebens. Er ringt mit sich. Sein Blick schweift panisch umher. Er wird unruhig, nervös. Sie steigt in ihm empor. Die Angst, vor der er sich bereits so lange fürchtet. Sie greift nach ihm, verschlingt ihn regelrecht. Er ist gefangen. Sie hat ihn auch dieses Mal in ihrer Gewalt. Er wehrt sich, sagt ihr den Kampf an, doch sie ist stark. Viel stärker, als er sie in Erinnerung hatte. In seinen Augen? Alles zwecklos.

Sein Bett, das ihm immer Zuflucht und Schutz bot, fühlt sich nun wie ein stählernes Gefängnis an. Die Matratze bohrt sich in seinen Rücken. Schmerzen. Ein Stechen in der Brust. Tränen, begleitet von leisem Schluchzen, fließen über sein gerötetes Gesicht. Er kämpft; noch immer. Einen kurzen Augenblick ist sie unaufmerksam. Er nutzt diese Chance und reißt sich von ihr los. Es folgt eine rasante Flucht. Er rennt, und rennt und siegt. Nach einer kurzen Pause stemmt er seinen erschöpften Körper nach oben und stellt seine Füße auf das kalte Laminat. Er steht auf, zum ersten Mal seit einer kleinen Ewigkeit. Da war sie. Seine eigene kleine Revolution.


Beitragsbild: Jp Valery I Unsplash

In der Schreibwerkstatt verfassen Studierende der Uni bei Prof. Jürgen Daiber Kurzgeschichten und Prosa. Wer Interesse hat, bei der Schreibwerkstatt mitzuwirken, findet auf der Website des Instituts für Germanistik mehr Informationen. Wir veröffentlichen jeweils einen Text pro Semester in unserer Heftausgabe. Weiteren Autor:innen bieten wir eine Plattform auf dieser Website.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert