Vorbild oder Versagerin?
Was haben Jacinda Ardern und Nancy Pelosi gemeinsam? Beide sind starke Frauen, beide haben Barrieren in der Politik und darüber hinaus überwunden, beide haben ihre Machtpositionen vor kurzem verlassen, und beide sind unschätzbare Vorbilder für Frauen auf der ganzen Welt.
Von Carlotta Schäfer
Als eine politisch interessierte Feministin, habe ich mich nach dem Ende der Ära Merkel oft gefragt, welche weiblichen politischen Vorbilder mir jetzt noch bleiben. Natürlich hat auch Angela Merkel nicht alle feministischen Erwartungen erfüllt. Aber egal wie feministisch ihre Politik wirklich war, ist sie doch unbestreitbar ein Symbol für uns Frauen gewesen. Wenn sie das kann, kann ich auch davon träumen. In ähnlicher Weise fungieren auch Jacinda Ardern und Nancy Pelosi als Vorbilder dafür, was möglich ist. Erstere tritt nun nach fünf ein halb Jahren zurück, weil ihr Tank laut eigener Aussage leer ist und sie nicht mehr die Kraft hat die es braucht um dieses Amt auszuführen. Warum also sollten wir uns eine »Versagerin« wie sie zum Vorbild nehmen? Um diese Frage zu beantworten ist es vielleicht hilfreich einen Blick darauf zu werfen, was Jacinda Ardern in den letzten fünf ein halb Jahren geleistet hat. Als sie 2017 zur Premierministerin gewählt wurde war sie mit 37 Jahren die jüngste in diesem Amt in Neuseeland seit 150 Jahren. Ein Jahr später brachte sie ihre Tochter zur Welt, das erste Mal in 30 Jahren, dass eine Frau im Amt ein Kind bekam. 2019 wurde sie zu einer liberalen Ikone durch ihren beispiellosen Umgang mit der Terrorattacke in Christchurch, gefolgt von dem tödlichen White Island Vulkanausbruch und ihrem Krisenmanagement in der Corona Pandemie. Genauso persistent wie die anhaltenden Krisen war auch der nicht enden wollende Sexismus aus Medien und Gesellschaft dem sie sich, als Frau in einer solchen Führungsposition, ausgesetzt sah. Wie kann sie es also wagen zu sagen, ihr Tank ist leer?
Leistet sie damit nicht gerade denen Vorschub die denken und auch lautstark äußern, dass Frauen nicht stark genug für die politische Welt sind?
Andererseits, was ist ein größerer Beweis von Stärke als öffentlich die eigene »Schwäche« anzuerkennen? Dabei sind die Anführungszeichen mit denen das Wort Schwäche hier versehen ist, essentiell. Denn seine eigene ausgeschöpfte Leistungskraft anzuerkennen und zuzugeben, dass man nicht mehr die geeignetste Person für den Job ist, mag auf den unreflektierten Beobachter vielleicht zunächst wie Schwäche wirken. »Ich kann das nicht mehr« – klingt wie versagen oder? In Wirklichkeit zeugt es jedoch von Größe zu realisieren wann es Zeit ist zu gehen, eine Erkenntnis die Männern in der Politik gänzlich zu fehlen scheint, denke man doch nur an den ehemaligen US-Präsidenten, der sich bis heute verzweifelt an die Lüge eines Wahlbetrugs klammert nur um sich selbst nicht eingestehen zu müssen, dass es vorbei ist. Jacinda Ardern ist aber nicht nur ein politisches Vorbild für hoffentlich alle Geschlechter, sondern auch ein wichtiger Beweis dafür, dass Frauen sich nicht entscheiden müssen. Wir können Mütter, Premierministerinnen und zugleich auch noch Feministinnen sein, weil Feminismus gerade nicht bedeutet die Erwartungen anderer erfüllen zu müssen. Ihr Rücktritt ist somit kein Rückschritt für die feministische Bewegung, denn es zeugt von Mut als Person mit derartiger Vorbildfunktion sich nicht durch emanzipatorische Stereotypen in die Enge treiben zu lassen. Jacinda Ardern kann sich dafür entscheiden mehr Zeit mit ihrer Familie zu verbringen ohne dabei ihre feministischen Überzeugungen zu opfern und anderen Frau den Weg zu versperren.
Eine weitere Frau, die zeigt was es bedeutet ihr Amt mit Stil zu verlassen: Nancy Pelosi.
Vor kurzem trat sie als Sprecherin des Repräsentantenhauses zurück und beendete damit den Höhepunkt ihrer über 30-jährigen Karriere in der amerikanischen Politik. In ihrer Position, die sie als erste Frau bekleidete, hatte sie nie Angst Stärke zu zeigen und die damit verbundenen Konsequenzen zu tragen. Nancy Pelosi führte mit Würde und Durchsetzungskraft während sie fünf Kinder in sechs Jahren bekam und sich durch den Dschungel männlicher Dominanz, der sich das amerikanische Repräsentantenhaus nennt, kämpfte. Wobei sie es nie wie einen Kampf aussehen ließ, sondern wie eine Kraftanstrengung für die anderen. Es gibt so viele bewundernswerte Eigenschaften an dieser Frau, und doch wird in unserer Gesellschaft, deren Lieblingsbeschäftigung es ist Frauen auf ihr Aussehen zu reduzieren, zumindest mit einem Satz auch immer hervorgehoben wie gut zurecht gemacht Nancy Pelosi doch in allen Lebenslagen ist. Und nur dieses eine Mal möchte ich mich diesen Aussagen anschließen. Nicht weil Frauen gut aussehen müssen um etwas zu erreichen und auf keinen Fall, weil diesem Thema noch mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte. Aber Nancy Pelosi wurde schon 1987 bei ihrem Eintritt in die Politik als High Heels tragende Hausfrau mit guten Verbindungen belächelt. So viele Jahre später trägt sie immer noch High Heels, aber keiner lächelt mehr. Das ist ihnen spätestens vergangen als sie dafür sorgte, dass Obamacare umgesetzt wurde, oder vielleicht auch schon 2008 als sie die Bankenrettung durchsetzte. Denn im Gegensatz zu ihrem Nachfolger, und für manche vielleicht überraschend, kann diese Frau sehr gut rechnen und besaß somit immer die nötigen Stimmenmehrheiten. Und sah dabei noch gut aus.
Seit Jahrzehnten kleiden sich Frauen in der Politik betont neutral, damit hoffentlich niemandem auffällt, dass sie Frauen in der Politik sind. Nancy Pelosi hat uns gezeigt, dass sich feminin zu kleiden und stark zu sein nicht gegenseitig ausschließt. Auch hier gilt, Frauen können so sein wie sie, müssen aber nicht. Wir müssen nicht alle auf einem Home Trainer Fahrrad fahren während wir gleichzeitig Nahrungsaufnahme betreiben und Telefonate mit dem Vizepräsidenten führen. Nancy Pelosi soll nicht als einschüchterndes Mahnmal dafür dienen, was wir alles noch nicht simultan in unserem Alltag bewältigen und in welchen Lebensbereichen wir als moderne Frau versagen. Sie ist ein Vorbild dafür, was sein kann, aber nicht was sein muss.
Beitragsbild: Bruno Figueiredo / unsplash