Hochsensibilität: Reiner Mythos?

Hochsensibilität: Reiner Mythos?

Hochsensible Menschen nehmen die Welt besonders intensiv wahr – sie sind schnell von Reizen überflutet und im zwischenmenschlichen Kontakt reagieren sie oft empfindlich, was der Grund ist, weshalb sie häufig als zu dünnhäutig, weinerlich oder zimperlich bezeichnet werden. Doch was steckt eigentlich hinter dem Begriff?

von Kim Kessler

Hochsensibilität wird in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert und ist mit vielen Vorurteilen und falschen Vorstellungen behaftet. Häufig werden Betroffenen Eigenschaften wie dünnhäutig, weinerlich, zimperlich und überempfindlich zugeschrieben.

Doch was steckt eigentlich hinter dem Begriff Hochsensibilität?

Um sich zunächst einmal vorstellen zu können, was Hochsensibilität eigentlich ist, hier ein Beispiel: Stell dir vor du befindest dich in einem Fahrstuhl, du nimmst nicht nur die Fahrstuhlmusik wahr, auch der Geruch der Person, die vorher im Fahrstuhl war, das Zurren der Neonröhren, das extrem grelle Licht, die Kälte, welche die Fahrstuhlwände ausstrahlen, die Vibration durch den Motor des Fahrstuhls – all das prasselt ungefiltert auf dich ein. Wohingegen eine Person, die nicht hochsensibel ist, wahrscheinlich nicht mal wirklich etwas davon wahrnehmen würde. Hochsensible Menschen sind oft sehr empfindsam für subtile Veränderungen in ihrer Umgebung und können von lauten Geräuschen, starken Lichtverhältnissen oder chaotischen Umgebungen oft überfordert werden. Laut Definition beschreibt Hochsensibilität ein Persönlichkeitsmerkmal höherer sensorischer Verarbeitungssensitivität (englisch: Sensory Processing Sensitivity), das auf etwa 15-25% der Bevölkerung zutrifft. Die Idee hinter diesem Konzept stammt von Elaine N. Aron, einer US-amerikanischen Psychologin. Sie beschreibt Hochsensibilität als eine hohe Empfindlichkeit für subtile Reize mit Tendenz zur Überempfindlichkeit.
Seit den 90er Jahren gibt es verschiedene Ansätze zur Erklärung von individuellen Sensitivitätsunterschieden, darunter auch Arons Konzept. Diese haben gemeinsam, dass sensitive Personen anders auf positive sowie negative Umwelteinflüsse reagieren. Klingt im ersten Moment ziemlich anstrengend, doch kann eine höhere Sensibilität gegenüber Reizen nicht auch Chancen mit sich bringen?

Fluch oder Segen?

Eine vertiefte und intensivere Verarbeitung kann sich jedoch auch auf positive Reize beziehen und auswirken. Kathrin Sohst, Buchautorin von »Wer stärker fühlt, hat mehr vom Leben«, beschreibt die Hochsensibilität als ein Geschenk: »…auf jeden Fall ist das Leben sehr viel bunter. Du hast ganz schöne Erlebnisse, weil du die Dinge viel intensiver wahrnimmst: Klänge, Gerüche, das Leben an sich. Und auch der Sex kann intensiver sein, weil Reize tiefer verarbeitet werden. Aber es kann auch lästig sein, wenn zu viele Reize auf einen einprasseln.«. Diese Beschreibung spiegelt den momentanen Forschungsstand bezüglich Hochsensibilität.

Um zu untersuchen welche Persönlichkeitsunterschiede zwischen hochsensiblen Menschen und nicht Hochsensiblen bestehen, wurden die »Big Five« herangezogen. Das »Big Five« Modell der Persönlichkeitspsychologie beschreibt fünf Hauptdimensionen der Persönlichkeit: Neurotizismus, Extraversion, Offenheit, Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit. Diese Dimensionen werden verwendet, um die menschliche Persönlichkeit zu beschreiben und zu verstehen. Die Ergebnisse zeigten, dass Hochsensible ein höheres Maß an Neurotizismus aufwiesen, ein Persönlichkeitsmerkmal, das sich durch eine negative Grundeinstellung, Angst und Emotionalität auszeichnet. Außerdem zeigten Hochsensible ein erhöhtes Risiko für psychische Erkrankungen. Auf der anderen Seite konnte die Studie jedoch auch bestätigen, dass Betroffene überdurchschnittlich auf positive Emotionen reagieren.

Hochsensibilität also doch kein Mythos?

Tagtäglich sind wir Unmengen an Informationen ausgeliefert, die auf unser System einprasseln. Unsere Alltagstauglichkeit ist hochgradig davon abhängig, dass wir die Fähigkeit besitzen, zwischen wichtigen und unwichtigen Informationen zu unterscheiden und auswählen können, was wir wahrnehmen wollen und was nicht. Dies benötigt eine gute Filterfunktion, die bei hochsensiblen Menschen weniger aktiv ist. Des Weiteren wurden in der Forschung bereits Gene identifiziert, die mit der Hochsensibilität in Verbindung stehen, z.B. das 5HTTLPR-Gen (Serotonintransportergen), woraus sich schließen lässt, dass Hochsensibilität genetisch bedingt ist. Kathrin Sohst betont deshalb, wie wichtig es als hochsensible Person ist, sich einen regelmäßigen Ausgleich zu schaffen, um nicht Gefahr zu laufen auszubrennen. Es gilt primär die eigenen Bedürfnisse und Grenzen besser zu verstehen und zu befriedigen, gesunde Selbstpflege-Routinen zu entwickeln und sicherzustellen, dass man genug Ruhe, Entspannung und Zeit für sich selbst einplant.

Hinzu kommt, dass viele, die sich ihrer Hochsensibilität nicht bewusst sind, sich aufgrund ihrer Sensibilität für zu weich, falsch oder nicht passend halten. Wichtig ist jedoch zu betonen, dass es sich bei der Hochsensibilität nicht um eine Erkrankung, sondern um ein Persönlichkeitsmerkmal handelt, dass auch besondere Chancen mit sich bringt. Indem hochsensible Menschen ihre besonderen Fähigkeiten anerkennen und schätzen, können sie lernen, ihre Herausforderungen zu bewältigen und ihre Stärken zu nutzen. In dem Bemühen, Hochsensibilität zu verstehen und zu akzeptieren, ist es wichtig, dass wir uns bewusst machen, dass jeder Mensch einzigartig ist und dass es keine »richtige« oder »falsche« Art gibt, auf die Welt zu reagieren.

Treffen die Beschreibungen auf dich zu? Anbei findest du einen Link zu einem kurzen Test, um herauszufinden, ob auch du zu den hochsensiblen Personen in unserer Gesellschaft gehörst:

https://www.idrlabs.com/de/hochsensible-personen-hsp/test.php

Mehr Infos: https://www.dak.de/dak/meine-gesundheit/hochsensibilitaet-2340948.html#/

Podcast-Empfehlung: Psychologie to go – Hochsensibilität-Was ist das?


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Beitragsbild Hardcore Brain I Unsplash

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