Ein Wochenende mit »Fräulein Agnes«
Wahrheit kann schmerzhaft sein. Und Wahrheiten können grausam sein. Mit »Fräulein Agnes« bringt das Ensemble des Theater Regensburg ein Stück in die aktuelle Spielzeit, das wie die Faust aufs Auge zum Spielzeitmotto passt.
von Yvonne Mikschl
Geschrieben von Rebekka Kricheldorf beweist Agnes, dass der Menschheit die Wahrheit zuzumuten ist – ungeachtet der Folgen für ihre Umgebung. Am Samstag, dem 28. Januar, feierte die Komödie im fast ausverkauften Antoniushaus ihre Premiere.
Zur Handlung
»Diskretion ist Lüge.«
Agnes in »Fräulein Agnes«
Fräulein Agnes (Katharina Solzbacher) lebt ein einfaches Leben. In einer geräumigen Altbauwohnung lebt sie zusammen mit ihrem Freund Sascha (Maximilian Herzogenrath), ihrer besten Freundin Fanny (Silke Heise) und dem Vollzeitphilosophen Elias (Max Roenneberg) im 32. Semester. Agnes selbst ist eine egozentrische, verbissene Frau Mitte vierzig, die Kritik an Allem und Jedem übt. Dabei macht sie selbst vor ihrem Sohn, dem erfolglosen Musiker Orlando (Joscha Eißen), nicht halt. Ihre Waffe ist ihr Blog, in dem sie ihrer Wut und Kritik an der Menschheit Luft macht. Agnes sagt zur Verteidigung selbst: »Ich kann nicht lügen.« Die Debatten in ihrem Freund:innenkreis nehmen schließlich an einem Wochenende, an dem Sascha seinen Salon eröffnen wird, zu: Streit und Trunkenheit tragen dazu bei, dass die Wahrheiten ans Licht kommen. Ob dort Agnes ihre Einstellung zum Verhängnis wird…?
Kritik am Konsum in der heutigen Gesellschaft
»Ich versuche nur, ein guter Mensch zu sein.«
Agnes in »Fräulein Agnes«
»Die Wahrheit ist den Menschen zumutbar«, schreit Agnes an einer Stelle und zitiert dabei Ingeborg Bachmann. Agnes direkte Art ist für ihre gesamte Umgebung anstrengend, nicht jede:r liebt es, von ihr kritisiert zu werden. Dass nicht nur ihre Freund:innen unter ihr leiden, macht der Anfangsmonolog schon klar: Sie »hat die ganze Menschheit satt«. Dabei macht sie auch am Konsumverhalten der Gesellschaft nicht halt: Mit einer Kritik an den Arbeitsbedingungen, unter denen Kleidung und Smartphones hergestellt werden, spricht sie ein immerwährendes Dauerthema an. Dabei schafft Kircheldorf eine zentrale, weibliche Hauptfigur, die das anspricht, was in der modernen Gesellschaft eher verborgen bleibt, nämlich die unangenehmen Wahrheiten hinter der glänzenden Fassade.
»Wer die Wahrheit liebt, muss monogam leben.«
Elias in »Fräulein Agnes«
Während Agnes mit einem Fairphone wenigstens ein bisschen ihrer eigenen Kritik entgegenkommt, geht Elias noch weiter, indem er auf Besitz komplett verzichtet und nur in Unterhosen auf der Bühne steht. Ironie des Ganzen: Dafür, dass er als Aussteiger lebt, wohnt er mittlerweile ganz schön lange bei Agnes.
Wer meint, dass beide Figuren (Agnes und Elias) die einzigen Kritiker:innen des Stückes sind, täuscht sich: Agnes Lebensgefährte Sascha schließt sich den Kritiken an, wenn auch nicht ganz so radikal. Während er sich ein bisschen von der kommerziellen Kunst wie Ausstellungen abzugrenzen versucht, zeigt er zur Eröffnung seines Salons die Machtlosigkeit des Einzelnen gegenüber einer Welt, die mehr und mehr in Krieg und Müll versinkt. Über eine Videoleinwand taucht er mittels Greenscreen ein in diese Bilderflut, in der auch hungernde Kinder gezeigt werden. Dabei steht Sascha sinnbildlich für das, was manche Menschen empfinden, die gerne etwas tun möchten, sich aber vollkommen überfordert fühlen angesichts dieser weitreichenden Zerstörung.
Die Regensburger Inszenierung
Andreas Merz-Raykov gelingt mit der Aufführung von »Fräulein Agnes« eine humorvolle Inszenierung, die wie die Faust aufs Auge in das Spielzeitmotto Wahrheiten des Theaters Regensburg passt. Katharina Solzbacher spielt die verbissene Agnes, der man ihre Haltung irgendwie abkaufen kann. Joscha Eißen überzeugt in der Rolle des Orlando zum einen als Musiker, der von seiner Mutter keine Liebe erfährt und der im Stück auch auf dem Saxofon beweist, warum er keinen Erfolg als Künstler hat. Zum anderen fällt Orlando durch seine Paradiesvogel-Frisur sofort ins Auge. Übrigens: Eißen ist auch für die Musik im ganzen Stück zuständig, was angesichts seiner Rolle ziemlich passend erscheint.
»Die nackte Wahrheit«
Elias in »Fräulein Agnes«
Maximilian Herzogenraths Sascha steht zwischen zwei Welten: der von Agnes und der realen Welt. Einerseits erregt er dadurch Mitleid, dass er sich Agnes nicht widersetzen kann (oder gar will), andererseits möchte man nicht mit ihm tauschen wollen. Michael Haake spielt Adrian den ältesten, aber auch längsten Freund von Agnes, der sich den Mitbewohner:innen inklusive Agnes entgegenzusetzen versucht. Max Roenneberg mag zwar in der Rolle des Elias nicht wirklich relevant für das Stück erscheinen. Aber es bedarf meiner Meinung nach als Theaterschauspieler viel Mut, sich komplett nackt auf der Bühne zu zeigen – wie es Roenneberg im Stück tut, wenn auch nur für kurz. Und alleine dafür hat er meinen hohen Respekt.
Fazit: Ein kurzweiliges Wochenende mit »Fräulein Agnes«
»Fräulein Agnes« überzeugt nicht nur mit grandiosen Schauspieler:innen. Alleine Agnes fünfminütiger Anfangsmonolog, wo sie gleich zu beginn klarstellt, dass sie die Menschen hasst, sorgt zusammen mit Solzbachers überzeugendem Spiel für einen komödiantischen Abend. Zugespitzte Dialoge, kombiniert mit feiner Gesellschaftskritik und zum Schluss ein wenig Drama macht die Komödie insgesamt sehr sehenswert. Es ist alleine schon interessant zu beobachten, wie ein Wochenende den Lauf der Dinge ändern kann. Auch wenn das Ende relativ offen bleibt, stellt sich der:die Besucher:in eine Frage: Wie oft betrügst Du dich selbst? Und das ist eine Frage, die sich nicht mal Agnes beantworten kann…
Tickets und Termine unter: https://www.theaterregensburg.de/produktionen/fraeulein-agnes.html?m=15
Beitragsbild: Katharina Solzbacher © Tom Neumeier, Theater Regensburg
Alle Bilder zur Verfügung gestellt vom Theater Regensburg.