In ihrem Schädel herrscht Kriegszustand – Interview
Tobias Ginsburg ist Schriftsteller, Regisseur – und Hochstapler. Am Donnerstagabend tritt er im Ostentor-Kino mit einem Bühnenprogramm zu seinem aktuellen Buch auf. Undercover begab er sich dafür in Rechte Sphären und zeigt, wie Rechte und Reaktionäre Propaganda mit Männlichkeit betreiben.
von Moritz Müllender
Lautschrift: Tobias, „Die letzten Männer des Westens“ ist dein zweites Buch, für das du in der rechten Szene verdeckt recherchiert hast. Wie täuschst du die Leute?
Tobias Ginsburg: In erster Linie versuche ich so wenig zu täuschen und zu lügen, wie möglich. Statt großartige Lügengeschichten zu erzählen, höre ich genau zu und gebe alles, was ich höre, wieder. Ich bin nur ein Echo, ein freundlicher Ja-Sager. Das ist die eigentliche Kunst der Hochstapelei. Na gut, und dann ist da das Handwerk: Ich gebe mir einen neuen Namen und lege eine digitale Spur. Die Leute müssen etwas zu googeln haben. Ab und an verkleide ich mich auch ein wenig, aber das ist fast mehr pyschologisch für mich. Mein Beruf mag sackgefährlich sein, aber im Grunde ist das auch ein wenig albern, oft ein bisschen mehr Borat als Günther Wallraff. Ich muss den Menschen mein wirkliches Interesse zeigen, das ist das Wichtigste. Ich will ja verstehen, was die Leute in diesen Hass hineinzieht, wie er funktioniert. Wenn ich da raus gehe und sage der Leser*innenschaft böse Nazis sind böse Nazis, hat niemand was gelernt.
Wieso widmest du dich in deinem Buch diesmal der Verbindung von Rechtem Denken und Männlichkeit?
Ich beschäftige mich seit 13 Jahren mit Extremismus, besonders dem vom rechten Rand – mit faschistischer Ideologie, Neonazismus, der sogenannten Neuen Rechten und Verschwörungsideologie. Der Thematik Männlichkeit, auch Queer-Feindlichkeit, Schwulenverachtung, Antifeminismus begegnete ich dort von Anfang an als integralen Bestandteil dieser Ideologie. Für das weltweite Erstarken der extremen Rechten und der Autokraten in den letzten 10 Jahren hatte diese Propaganda eine immense Bedeutung. Denk an Bolsonaros Brasilien oder Trumps Vereinigte Staaten, an das faschistoide Russland, an Polen, an China. Die Radikalisierung eines Bürgertums über Hypermännlichkeit war da zentral. 2019 wurde das dermaßen akut, dass ich es ins Zentrum meiner Recherchen stellte. Wieso lassen sich so viele Menschen darüber nach rechts ziehen?
Ja, warum funktioniert das Kampffeld Männlichkeit so gut?
Weil es niedrigschwellig ist. Wenn du dich nach 1945 in Deutschland hinstellst und sagst: „Guten Tag, ich finde Hitler toll und hasse die Juden!“, würdest du ein Problem haben in der Öffentlichkeit auf offene Ohren zu stoßen. Das ist halt auch den Faschos klar. Deswegen gibt es verschieden Codes und Chiffren. Viel funktioniert über Verschwörungsideologie oder über ein höfliches Auftreten. Und gerade dieses Hetzen gegen die Emanzipation von Frauen und sexuellen Minderheiten funktioniert, weil es nicht per se rechtsextrem ist, weil es der vielleicht salonfähigste Aspekt reaktionären Denkens ist. Das ist auch nichts Neues. Angriffe gegen offene Gesellschaften richteten sich besonders oft und besonders erfolgreich gegen die Rechte von Frauen. Das ist für rechte Menschenfresser eine beliebte Möglichkeit Leute abzugreifen. Es spricht eine Angst gegen etwas Progressives an, vor Privilegien-Verlust. Und plötzlich wird alles, was auch nur irgendwie den Status Quo in Frage stellt, was sozialen Progress verspricht, zum Feind.
Welches Potenzial hat die Strategie?
Hast du in den letzten 13 Jahren Zeitung gelesen?
Ja.
Dann hast du vielleicht etwas gehört von Donald Trump, Xi Jinping oder Putin? Vielleicht hast du etwas mitbekommen von den Morden in Christchurch oder letzten Monat in Bratislava, vorletzte Woche in Colorado Springs? Es sind immer die gleichen Narrative und sie funktionieren. Du fragst mich gerade, welches Potenzial von der extremen Rechten ausgeht? Ein Immenses.
In deinem Buch erwähnst du eine berühmte Regensburgerin: Gloria von Thurn und Taxis. Welche Rolle spielt sie?
Keine herausragende, ich erwähne die homophobe Prinzessin auch nur an einer Stelle, glaube ich. Sicher, sie hält Kontakte nach Rechtsaußen, etwa zu dem neofaschistischen Alt-Right-Netzwerker Steve Bannon, ist Teil der Anti-Abtreibungsbewegung, trat als Stargast beim World Congress of Families auf – einer grauenhaft gefährlichen Veranstaltung und wichtiger Knotenpunkt eines internationalen Netzwerks christlicher Fanatiker und Rechtsextremer. Aber sie ist nur eine von Vielen. Eine von vielen deutschen Adeligen, die sich in antidemokratischen Netzwerken engagieren. Eine von vielen hyper-privilegierten Menschen, die im Kampf um ihre Privilegien mit Faschisten paktieren. Aber sie ist keine zentrale Person. Die Welt ist groß und rechtsextreme Bewegungen breit aufgestellt.
Es scheint dir nicht um Einzelpersonen zu gehen.
Es geht mir um die extreme Rechte und deren Taktiken. Ich habe mich eingeschleust in der Neuen Rechten, bei faschistoiden und faschistischen Burschenschaften. War bei Neonazi- Konzerten, in den USA bei der Alt-Right, in Polen bei klerikal-faschistischen transnationalen Netzwerken. Wir haben eine Homogenisierung der extremen Rechten auf der ganzen Welt. Das heißt die Argumente funktionieren über den ganzen Erdball ähnlich – von Boston bis Bautzen.
Wie zeichnest du in dem Buch dein eigenes Männlichkeitsbild?
Um ehrlich zu sein interessiert mich das nicht besonders. Klar, wir erleben gerade aufregende Debatten über Geschlecht und Machtverhältnisse, auch über kritische Männlichkeit. Die sind sehr notwendig: Und ich beschreibe in dem Buch ja auch eine regelrechte Männlichkeits-Industrie, die um das Versprechen aufgebaut ist, man müsse nur zu einer „traditionellen Männlichkeit“ zurückkehren, um erfolgreich und glücklich zu werden. Die Welt, durch die ich mich da manövriert habe, ist eiskalt, tieftraurig und gefährlich. Sie impft Jungs und Männern Geschlechterrollen von Vorvorgestern ein und ein Männlichkeitsbild, dem sie hinterherjagen und mit dem sie zuallererst sich selbst vergiften. Dabei ist das Schöne doch: Geschlecht ist fluide. Sei was du bist und sei glücklich damit. Ich bin zufrieden.
Du begibst dich immer wieder in menschliche Abgründe. Wie kommst du psychisch damit zurecht?
Ich mache das jetzt sehr lange. Irgendwann hast du ein bisschen Hornhaut auf der Seele und einen schlechten Sinn für Humor. Im Grunde ist was ich mache, ein kontra-intuitiver Umgang mit Angst. Wir leben in Zeiten, die sind extrem unheimlich. Ich bin aber überzeugt: Das Gruseligste ist das Knacken in der Finsternis – die Bedrohung, die ich nicht verstehe. Deswegen begebe ich mich in diese Kreise. In dem Moment, wo du begreifst, was da passiert, sind das alptraumhafte Lebensentwürfe. Die wachen morgens auf und glauben sich in einer riesigen Schlacht. In ihrem Schädel herrscht immer Kriegszustand. Und dann gehst du nach Hause und was übrig bleibt, ist ein gewisses Mitleid. Ich will sie damit nicht entschuldigen, die sind gefährlich. Aber dann bist du in einer tatsächlichen Welt, in der Menschen nicht so schrecklich sind, wie Extremist*innen es sich vorstellen. Das klingt jetzt vielleicht kitschig. Aber plötzlich gibt es eine Schönheit des Normalen. Das reicht meistens schon, dass die Finsternis dich nicht verschlingt.
Wie unterscheiden sich progressive männerpolitische Anliegen von rechts-reaktionären?
Die Chancen unterprivilegierter Männer vor Familiengerichten, die häufigere statistische Betroffenheit von Obdachlosigkeit, Alkoholsucht und Suizid, das sind alles ernst zu nehmende Anliegen. Den Maskulisten aber geht es darum ein Feindbild zu erklären: Die armen Männer werden vom bösartigen Feminismus unterdrückt. Maskulisten sind dabei keineswegs alle rechts. Antifeminismus hat keine politische Heimat, aber es liegt eine nah. Die extreme Rechte bedient sich vieler Argumente aus dieser maskulistischen Szene und rekrutiert so gekränkte Männer.
Was können Männer dagegen tun?
Die Frage ist wichtig, aber mir geht es um etwas Grundsätzlicheres. Die extreme Rechte ist vieles, aber nicht originell. Der Kampf um eine starke traditionelle Männlichkeit gegen sexuelle Minderheiten ist nicht neu. Als Hitler an die Macht kam hat die NSDAP gleich im Mai 1933 das Institut für Sexualwissenschaften von Magnus Hirschfeld geplündert und zerstört. Die Feindbilder sind die gleichen. Natürlich ist es wichtig über Männlichkeit zu sprechen, dass nicht irgendein dahergelaufener Fascho sagen kann, du musst wieder ein richtiger Mann und das Land muss wieder hart werden. Das heißt wir brauchen natürlich einen kritischen Umgang mit Männlichkeit. Das ist aber nur ein Teilaspekt.
Was ist dann das Zentrale?
Im Zentrum ist für mich die Frage, wie um alles in der Welt wollen wir uns gegen die extreme Rechte wehren. Es fehlt hier grundsätzlich ein Verständnis für rechtsextreme Propaganda. Was bedeutet es gegen rechts zu sein, wenn rechtsextreme Vorstellungen in der Mitte der Gesellschaft vollkommen salonfähig sind. Es geht nicht nur darum, dass Männer fiese Macker sind. Es geht darum, dass sie rechtsextreme Propaganda aufnehmen. Dass wir alle dafür empfänglich sind, diese Ideen auch uns allen tief im Schädel stecken. Unsere ständigen Mantras gegen Hass und Hetze oder Menschenfeindlichkeit sind nicht viel wert, wenn uns nicht klar ist, wie schon immer, mit den gleichen Mitteln, aus Menschen Mördern wurden.
Titelfoto: Jean-Marc Turmes