Intersektionaler Feminis:muss – Warum wir unsere Perspektive erweitern müssen

Intersektionaler Feminis:muss – Warum wir unsere Perspektive erweitern müssen

Mit dem Feminismus verbinden wir Begriffe wie Mansplaining, Pretty Privilege oder Care Arbeit. Diese Themen haben ihre Berechtigung; ein Diskurs darüber ist notwendig. Und doch fallen sie nur in einen kleinen Teil des großen Spektrums dessen, was Feminismus ausmacht. Warum wir unsere Perspektive erweitern müssen.

von Nadine Hell

Feminismus ist eine schwer fassbare soziale Bewegung mit vielen verschiedenen Formen. In jeder Kultur wird er unterschiedlich verstanden und praktiziert. In Deutschland ist vor allem der weiße Feminismus verbreitet. Dieser erhält von Außenstehenden jedoch sehr viel Kritik, da sie ihm Einseitigkeit unterstellen und seine feministischen Themen oft als weniger wichtig empfinden. Im Gegensatz dazu steht der intersektionale Feminismus, der Ungleichheiten unter der Berücksichtigung sozialer und gesellschaftlicher Faktoren aufdeckt.

Lange habe ich überlegt, um was es in meiner ersten Kolumne über Feminismus gehen soll. Mir sind Themen wie Mansplaining, Pretty Privilege oder Care Arbeit in den Sinn gekommen. In einem Gespräch mit einer Freundin über Dinge, die wir mit Feminismus verbinden, ist mir jedoch aufgefallen, dass ich Feminismus bis zu diesem Zeitpunkt aus einer sehr privilegierten Perspektive betrachtet und ausgeübt habe. Denkt man an Länder jenseits der westlichen Welt, wird klar, dass Feminismus dort eine ganz andere Bedeutung hat. Dieser Feminismus ist intersektional. Die Frauen werden nicht nur aufgrund ihres Geschlechtes diskriminiert, sondern erfahren Ungleichheit meist auf mehreren Ebenen.

Meine Freundin erzählt mir, wie sie Feminismus wahrnimmt und was er in ihrem Herkunftsland bedeutet. Sofia* kommt aus Lateinamerika. Mit 18 Jahren hat sie ihre Heimat und Familie verlassen und ist nach Regensburg gekommen, um zu studieren und sich so eine Chance auf eine beruflich gesicherte Zukunft zu schaffen. Während ihrer bisherigen Zeit in Deutschland hat sie einen neuen Blick auf Feminismus bekommen. Die Themen, die Frauen hier beschäftigen, unterscheiden sich grundlegend von denen, die Frauen in Lateinamerika wichtig sind, und können erst gar nicht miteinander verglichen werden.

In der Frauenbewegung Lateinamerikas geht es nicht um politische Gleichberechtigung an sich, sondern um körperliche Freiheit. Frauenmorde sind hier keine Seltenheit und Teil des Alltags. Frauen können nur mit Risiko allein auf die Straße gehen und müssen sich bedeckt bekleiden, um möglichst wenig aufzufallen. Sie leben mit der ständigen Furcht, entführt, vergewaltigt oder sogar ermordet zu werden, wenn sie sich in die Öffentlichkeit begeben. Durch den infrastrukturellen Rückstand, den diese Länder im Gegensatz zum Westen haben, ist Frauenmord in Lateinamerika ein leicht zu begehendes Verbrechen und führt nur in den seltensten Fällen zu Konsequenzen. Das prägt die lateinamerikanische Frauenbewegung und führt zu unzähligen Kampagnen gegen Frauenmorde.

Am Beispiel von Lateinamerika kann man sehen, dass die Bedeutung von Gleichberechtigung im Auge der Betrachter:innen liegt und jedes Land unterschiedliche Prioritäten bei der Umsetzung ihrer Bewegung setzt. In dem mir bekannten Feminismus beschäftigen wir uns mit gendergerechter Sprache, Objektifizierung und ungleichen Machtverhältnissen. Diese Themen beschäftigen meine Generation in Deutschland sehr. Es erscheint uns wichtig, für sie zu kämpfen. Im intersektionalen Feminismus werden hingegen alle Formen der Ungleichheit aufgezeigt. Es wird gezeigt, dass marginalisierte Gruppen oft eine Mehrfachdiskriminierung erleiden. Frauen können also aufgrund ihrer Hautfarbe, Religion, Sexualität und Gesellschaftsschicht benachteiligt werden und haben so noch weniger Chancen als Männer in ihrem Land.

Beide Formen, der weiße und der intersektionale Feminismus, haben eine Daseinsberechtigung und behandeln wichtige zeitgenössische Problematiken, die nach einer Lösung verlangen.

Am Ende des Gesprächs mit Sofia*, erhalte ich den Eindruck, dass ich Feminismus bisher aus einem sehr bevorzugten Standpunkt betrachtet habe und mir die schlimmen Verhältnisse in anderen, weniger entwickelten Ländern gar nicht bewusst waren. Gelernt habe ich, dass ich mich in Zukunft nicht nur mit feministischen Themen, die in Deutschland präsent sind, sondern auch mit internationalem beziehungsweise intersektionalem Feminismus beschäftigen möchte.

*Name wurde geändert

Beitragsbild: roberto zuniga I Unsplash


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