»Gentrifizier dich!« – Ein gutes Gewissen muss man sich leisten können
Gentrifizierung wird oft als abstrakte Bedrohung wahrgenommen. Was aber passiert mit denen, die täglich die Folgen tragen? Und was, wenn es uns alle betrifft? Erschreckend konkret und doch grotesk verzerrt, zeichnet Carla Niewöhners Stück »Gentrifizier dich!« bei seiner Premiere am 13. November im Theater Regensburg ein satirisches Portrait der heutigen Gesellschaft im Angesicht urbanen Wandels.
von Hannah Eder
Geplatzte Träume
Fristlose Kündigung – und jetzt? Inmitten einer Stadt, die sich selbst erneuert und immer hipper, bewusster und ultimativ lebenswert wird, steht Protagonistin Lena Zimmermann plötzlich ohne Zimmer da. Schnell wird klar, dass ein gesichertes Einkommen und ein sympathisches Auftreten keine Garantien mehr für Erfolg bei der Wohnungssuche sind. Vor allem, wenn man anstelle der kuscheligen Kellerwohnung gerne ein helles Altbauapartment in Stadtamhof beziehen möchte. Lena muss die Ansprüche herunterschrauben, das ist klar – doch wie weit ist sie bereit zu gehen, in einem Wohnungsmarkt, der im Laufe des Stücks immer erbarmungsloser und fordernder wird? Das Publikum folgt Lena auf ihrer Odyssee von der Couch bei Freunden zu irrwitzigen WG-Castings und gerät gemeinsam mit ihr immer weiter hinein in den Strudel einer durch und durch von Gentrifizierung infizierten Gesellschaft.
Die Inszenierung – Wohnungsnot im Puppenhaus
Wie Puppen bewegen sich die drei Schauspieler:innen in wechselnden Rollen über die Bühne. Mit kleinem Ensemble wird eine ganze Gesellschaft abgebildet, in der alle irgendwie gleich und alle irgendwie austauschbar sind. Inspiriert sind Kostüm und Kulisse durch Designs von Playmobil – bunt und künstlich. Bis auf Lena Zimmermann tragen alle, egal ob Polizist:in oder Künstler:in, dieselbe fratzenhafte Maske und auch Bewegungen und Kommunikation bleiben mechanisch. Echtes gegenseitiges Interesse und Einfühlungsvermögen sind hier fehl am Platz. Soziale Beziehungen werden stattdessen auf Oberflächlichkeiten reduziert und Kontakte zunehmend danach beurteilt, wie nützlich sie in Zukunft noch sein könnten.
Ebenso, wie sich das Stück um zentrale Fragen des Mietens und Wohnens in der heutigen Zeit dreht, ist das Haus im Mittelpunkt der Bühne rotierbar. Facettenhaft erhält das Publikum Einblicke in Räume und Szenen, die aus dem eigenen Alltag nur allzu bekannt scheinen und durch ihre satirische Überzeichnung eine unbehagliche Komik entwickeln. »Gentrifizier dich!« entlarvt dabei die Widersprüchlichkeit einer Gesellschaft, die einerseits bereit ist, 16 Euro für Bio-Rhabarberschorle mit handgezeichneten Etiketts lokaler Künstler:innen auszugeben, während die Galerie um die Ecke sich andererseits finanziell kaum über Wasser halten kann. Fiktive Radioeinblendungen schildern begleitend apokalyptische Zustände auf den Straßen der Stadt, die durch das Zusammenspiel von Egoismus und Prekarität befeuert werden und beklemmende Zukunftsaussichten suggerieren.
Sehenswert? – Das Fazit
Hinter allen Handlungen im Stück steht der Wunsch zu dieser hippen, gentrifizierten Innenstadtgesellschaft dazuzugehören und Teil davon zu bleiben, obwohl Lena Zimmermann stellvertretend für das Publikum erfahren muss, dass diese Welt nicht für jeden zugänglich ist. Am Ende bleibt daher nur die Frage: Wie lange ist man im Angesicht absoluter Prekarität in der Lage seine moralische Integrität aufrechtzuerhalten? Die Grenzen des Akzeptablen verwischen zunehmend und Mittel wie Bestechung und Prostitution werden zur logischen Konsequenz. »Gentrifizier dich!« treibt seine Protagonistin bis ans Äußerste und porträtiert die weitreichenden Folgen von Gentrifizierung auf Einzelpersonen wie Gesellschaft gleichermaßen. Letztendlich unterliegt Lena Zimmermann dem Befehl zur Anpassung, der bereits im Titel anklingt.
Besonders spannend am Stück ist die Position, in die das Publikum gebracht wird. Im Saal sitzt zwangsläufig ein bunter Mix aus Mietenden und Vermietenden, Veranstalter:innen von WG-Castings und abgelehnten Bewerber:innen, Pendelnden und Altstadtbewohner:innen. Wenn Lena die vierte Wand durchbricht und sich zum Publikum wendet oder wenn die satirische Überzeichnung von Alltagssituationen allzu treffend ins Schwarze trifft, wird sich jede:r Zuschauer:in zwangsläufig als Teil dieses Systems wiedererkennen und hinterfragen müssen, welche Rolle er oder sie spielen kann und möchte.
Ein empfehlenswertes und trotz pessimistischer Grundhaltung sehr unterhaltsames Stück, das unweigerlich zur Selbstreflexion anregt!
Dauer: ca. 1 Stunde 45 Minuten
Termine und Karten für weitere Aufführungen findet ihr auf der Website des Theater Regensburg.
Wer sich dem Stück vorab schon musikalisch annähern möchte, findet hier eine Playlist zur Einstimmung: https://www.theaterregensburg.de/news/playmobil-mit-playlist.html
Die Vorstellung wurde mit einer Pressekarte besucht.
Beitragsbild: Lilly-Marie Vogler, Katharina Solzbacher, Joscha Eißen © Tom Neumeier