Einmal den Meister:innen über die Schultern schauen
Unsere Redakteurin besucht das Abschlusskonzert eines Dirigierworkshops
von Franziska Werner
Vier angehende Dirigent:innen stellten mit dem Philharmonischen Orchester in Regensburg, am Freitagabend den 8. 4., im Theater Regensburg, ein ungewöhnlich abwechslungsreiches Programm auf die Beine. Unterschiedliche Werke von Strawinsky, Mozart und Mendelssohn füllten den Abend.
Die gebürtige Litauerin Izabele Jankautskaite, der aus Polen stammende Jakub Przybicień, Aurel Dawidiuk aus Hannover und Francesco Cagnasso, aus dem italienischen Teil der Schweiz, standen an diesem Abend alle nacheinander am Dirigent:innenpult. Sie alle studieren aktuell bei Johannes Schlaefli, dem Professor für Orchesterleitung der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) und Chefdirigenten des Collegium Musicum Basel und arbeiteten bereits mit zahlreichen Orchestern zusammen – darunter dem Göttinger Sinfonieorchester, dem Philharmonischen Orchester Sofia, den Nürnberger Sinfoniker:innen und vielen weiteren.
Zunächst fand zwei Tage vor dem Konzert der Dirigierworkshop im Neuhaussaal des Theaters Regensburg statt. Die Leitung übernahm Professor Johannes Schlaefli. Dann wurde das Ergebnis direkt am Freitag präsentiert. Die Idee für das Projekt hatte Chin-Chao Lin, Generalmusikdirektor am Theater Regensburg, der selbst einst Student beim Professor an der ZHdK war. Leider war an diesem Abend das Publikum kaum größer, als das Orchester selbst. Die lückenhaft besetzten Zuschauer:innenreihen dürften womöglich äußeren Faktoren geschuldet sein. Man könnte meinen, dass der Ansturm im Theater größer wäre, jetzt, wo es viele Lockerungen gibt. Doch dieser Freitag lag nicht nur in den Semesterferien, sondern auch die Osterferien hatten begonnen.
Die jungen Dirigent:innen beweisen sich
Es regnete draußen in Strömen, während drinnen im Saal, eine einzigartige Stille herrschte, als der erste Dirigent seine Arme anhob, und damit gleichzeitig alle Blicke des Orchesters erhob. Der Klang des Orchesters war atemberaubend. Der Beginn, mit Mendelssohns Ouvertüre »Die Hebriden«, ließ mich augenblicklich anfangen zu lächeln. Ein toller Einstieg! Und passend zum Regen draußen, handelte diese Ouvertüre von Mendelssohns erlebter Schifffahrt nach England entlang der Inselgruppe der Hebriden. Die tosende See wurde treffend musikalisch ausgeführt. Auch das junge Alter der Studierenden, die hier im Laufe des Konzertes als Dirigent:innen auftraten, passte zum jugendlichen Charakter des Stückes und dem Mendelssohn, der zum Zeitpunkt, zu dem das Stück entstand, gerade einmal 20 Jahre alt war. Ein gelungener Auftakt! Es folgte Strawinskys Concerto in D, auch bekannt als das Basler Konzert, damals anlässlich des 20 -jährigen Bestehens des Basler Kammerorchesters geschrieben: unglaublich virtuos und im Unterschied zur Ouvertüre, mit einem unaufhaltsamen, und fast schon eigenwilligen Tempo. Das musste anspruchsvoll sein, für die Dirigent: innen. Scheinbar ohne feste Taktangabe, leiteten sie das Orchester trotz allem behutsam durch das Stück. Dort, wo der:die Hörer:in keine Struktur erkennen konnte, gingen sie ins Detail. Ohne bestimmtes Tempo schien jedes Instrument seine eigene Rolle zu spielen. Fast schon wie in Angriffsposition, begann der erste Satz.Nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass die Uraufführung des Konzerts nur kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges stattfand.Auch die Platzierung der Geigen an den Seiten und den Celli in der Mitte des Orchesters ließ an zwei Fronten erinnern, welche sich gegenseitige duellieren.
Den Dirigent:innenwechsel mitten im Konzert, nach einem Satz, habe ich mir störend vorgestellt. Doch das Gegenteil war der Fall. Sobald die einen das Pult verließen und den Stab an die nächsten weitergaben, herrschte Stille. Die Art von Stille, in der man die Konzentration der Musiker spürt. Herrlich. Alles gehorcht. Was für eine Genugtuung das sein muss, wenn keiner aus der Reihe tanzt.
Strawinskys Konzert wurde nicht weniger virtuos. Im Gegenteil: Der unaufhaltsame und zugleich strenge Charakter des Stückes wurde immer präsenter. Und so forsch, wie es angefangen hatte, so abrupt endete es auch. Dann folgte ein klassisches Stück: Mozarts berühmte Jupitersinfonie, dessen dramatisches und sehr einprägsames Motiv im ersten Satz im Kontrast zum vorherigen Konzert von Strawinsky stand.
Obgleich der:die Zuhörer:in nun wieder einer Melodie und Harmonien lauschen konnte, klang der Applaus zum Schluss mehr nach einem verschlafenen Publikum, als nach einem begeisterten. War ich zwar in den ersten Sätzen von Mozarts Jupiter Sinfonie auch beinahe eingenickt, hatte mich doch der letzte Satz wieder umgestimmt. Zunächst klang es, als hätte Mozart es übertrieben. Doch im letzten Satz, in dem übrigens wieder ein Dirigent:innenwechsel stattfand, änderte sich die Stimmung schlagartig. Klang es zuvor noch, als würde ein Mensch, der sich beschwert, schlecht und übertrieben nachgeahmt werden, sah man nun wieder, wie sich die Musiker aufrichteten und konzentrieren.
Dirigierstile heben sich voneinander ab
So unterschiedlich, wie die Stückauswahl ausfiel, arbeitete auch jede:r Dirigent:in auf seine Weise.Die Noten mögen vorgegeben sein, doch Dynamik und Tempo sind eindeutig Chef:innensache. Gelernt habe ich, wer dirigieren will, muss die Aufmerksamkeit auf sich lenken, in das Orchester vertrauen und andersherum, das Vertrauen der Instrumentalist:innen gewinnen. Chin-Chao Lin und Professor Johannes Schlaefli haben also auch gezeigt, was wahre Dirigent:innen ausmacht und was für Arbeit hinter dem Erproben eines Stückes steht: Dass Dirigent:innen nicht nur »mit dem Taktstock rumwedeln« und das Orchester nur spielt, sondern, dass der:die Dirigent:in den Takt angibt. Gerade bei der zweiten Stückauswahl, dem Basler Konzert von Strawinsky, war dies deutlich zu sehen, da hier kein gleichbleibendes Tempo existierte und das Stück doch seinen Lauf nahm.
Weder zu aufdringlich, noch zu leise
Neben dem meister:innenhaften Auftritt der Dirigent:innen, ist auch der Orchesterklang im Neuhaussaal in Regensburg herauszuheben: nicht zu aufdringlich, aber auch nicht zu leise. Gedämpft, wie eine Hintergrundmusik während eines Filmes. Die Musik hat mich nicht gepackt und mitgerissen, sie hat sich mir auch nicht stolz präsentiert. Vielmehr war es das selbstverständliche Spiel der Musiker:innen, das mich verblüffte, dieser warme Klang ging unmerklich durch die Säulen und füllte den Raum. Dass der:die ein:e oder andere dabei im Stuhl versank oder müde applaudierte, ist vielleicht gar nicht so verwunderlich, wo doch die Stühle zum Anlehnen einluden. Natürlich verschonte uns Corona auch hier wieder nicht. Durfte das Publikum wählen, ob Maske auf oder ab, hatten im Orchester nur die Bläser:innen gezwungenermaßen keine Maske an. Alle Streicher:innen trugen eine. So entstand ein merkwürdiger Anblick, in dem auch das Publikum ohne Maske, die Bühne hätte bilden können und das Orchester das Publikum. Es wirkte, als zeige sich das Publikum und als versteckten sich die Musiker:innen hinter der Maske.Doch trotz alledem: So lückenhaft, wie das Publikum erschienen ist, so bequem sie es sich in den Stühlen gemacht hatten, so bereit waren die Musiker:innen eine Vorstellung zu liefern. Obwohl die Corona-Pandemie merklich Spuren hinterlassen hat, die nicht zu übersehen sind, und immer noch einen merklichen Einfluss auf uns ausübt, haben die Dirigent: innen und das Orchester an diesem Abend eine herausragende Vorstellung geliefert. Ich kann es nur jedem:jeder ans Herz legen, sich diesen einzigartigen Orchesterklang im Theater in Regensburg nicht entgehen zu lassen.
Wer Lust auf mehr bekommt, der:die werfe einen Blick in das aktuelle Programmheft vom Theater Regensburg und sichere sich jetzt noch Karten für die kommenden Aufführungen im April, welche, neben anderem, ein britisches Sinfoniekonzert und einen Kammermusikabend bereithalten.
Beitragsbild: Der Neuhaussaal am Theater Regensburg, in dem Dirigent:innen und Orchester während des Workshops gemeinsam probten. ©Jochen Quast