Wohnsinn: Barbapapa oder warum wir alle rund leben sollten
»Ich liebe das Runde, ich liebe das Runde, die Kurven, die Wellen, die Welt ist rund, die Welt ist eine Brust. Rechte Winkel mag ich nicht. Rechte Winkel machen mir Angst. Der rechte Winkel will mich umbringen. Der rechte Winkel ist ein Messer. Der rechte Winkel ist die Hölle. Symmetrie mag ich nicht. Ich mag das Unvollkommene. Meine Kreise sind nie ganz rund. Ich will es so. Perfektion ist kalt. Das Unvollkommene gibt Leben. Ich liebe das Leben.«¹
von Justine Vonpierre
Diese von der Künstlerin Niki de Saint Phalle verfasste Ode an die Rundheit illustriert wunderbar ihren geheimen Tarot-Garten (1969-1970), der in der Toskana lange Zeit in Vergessenheit geraten war (hier ein Link für einen virtuellen Blick). Dieser Garten besteht aus runden und riesigen Werken, die auf den 22 Arkana des Tarotspiels basieren. Einige davon, wie die Kaiserin, sind bewohnbar und erinnern an das abgerundete und warme Innere von Kugelhäusern. Aber diese Ode scheint auch geradewegs aus dem Mund von Annette Tison und Talus Taylor, den Autor:innen der Barbapapa-Kinderbuchreihe, gekommen zu sein. Falls die Barbapapas ein Teil eurer Kindheit waren, so wie sie ein Teil meiner Kindheit waren, dann habt ihr bestimmt auch viele Nächte damit verbracht, davon zu träumen, in ihrem Kugelhaus zu wohnen. Diese arglose Erzählung berichtet von den Abenteuern der Barbapapa-Familie: birnenförmigen und bunten Figuren, die auf der Suche nach einer besseren Welt sind und ihre Form nach Belieben verändern. Ihre größte Besonderheit ist jedoch ihr fantastisches Haus, das mit der Natur verschmolzen ist und von ihren eigenen Händen gebaut wurde. Nachdem die Familie zu Beginn der Geschichte delogiert wurde, wird sie wieder in eine dieser Nachkriegs-Siedlungswohnungen umgesiedelt, die gebaut wurden, um den Mangel an Wohnungen nach dem Babyboom zu beheben. Doch die Barbapapas können es nicht mehr ertragen, hinter diesen großen grauen Balken gestapelt und eingesperrt zu werden, in dieser konventionellen Architektur aus geraden Linien, Winkeln und Würfeln. Sie beschließen, die Stadt und ihre von starren Verwaltungsregeln abhängigen Immobilienbauten zu verlassen und ihr eigenes Haus zu bauen, indem sie jedes Zimmer aus dem Körper von Barbapapa, dem Familienvater, formen. Das Haus besteht aus Blasen, die ineinander übergehen. Dies ist ein sehr interessanter Ansatz, da das Haus mehr denn je die Form seiner Bewohner:innen annimmt. Es basiert auf der Modularität und dem freien Ausdruck des Individuums, auf der Suche nach der vollkommensten Übereinstimmung zwischen dem Menschen, seinem Wohnraum und seiner Umgebung.
Dieses Haus ist erstaunlich, faszinierend und wird einstimmig beneidet. Was haltet ihr von einem blasenförmigen Haus? Seine geschwungenen Formen und Rundungen wirken schützend und erinnern an Muschelschalen, Schmetterlingskokons und den Bauch der Mutter. Wenn man den führenden Architekten von Kugelhäusern wie Claude Costy, Pascal Häusermann oder Antti Lovag – den ihr übrigens unbedingt googeln solltet – Glauben schenken darf, sind Blasenhäuser so konzipiert, dass sie sich in die Natur einfügen. Sie sind Teil der organischen und umweltbezogenen Architektur der 1960er Jahre, die die aggressive Direktheit und Geradlinigkeit der Massenunterkünfte der Nachkriegszeit ablehnt. Antti Lovag geht sogar so weit zu sagen, dass der Ausgangspunkt der Kreis ist, aber nicht der Kreis im symbolischen oder esoterischen Sinne. Der Kreis als Selbstverständlichkeit. Er strukturiert das Verhalten der menschlichen Natur. Wir haben ein kreisförmiges Blickfeld. Geselligkeit ist ein kreisförmiges Phänomen.²
Der Mensch, der – wie Aristoteles schrieb – ein politisches Tier ist, ein Wesen, das von Natur aus ein Leben in Gemeinschaft mit seinen Mitmenschen aufbaut und von Zusammenkünften und Diskussionen lebt, ist zwangsläufig mit der Kreisförmigkeit vertraut. Außerdem waren überall auf der Welt, wo man an primitive Behausungen, Iglus, Jurten, Höhlen, provenzalische Bories, Hütten usw. denkt, Rundungen an der Tagesordnung. Und paradoxerweise, wenn man an das Haus von Meister Yoda, die Häuser der Hobbits oder die fliegenden Untertassen denkt, ist es offensichtlich, dass das Kugelhaus ein charakteristisches Element von Science-Fiction geworden ist.
Ist das Kugelhaus letztendlich zeitlos? Eine Mischung aus Primitivität, Kunst und Futurismus? Ein Kindheitstraum, eine prunkvolle Residenz oder eine Umweltutopie?
Laura berichtet euch dann nächste Woche von ihrem Wohnsinn. Freut euch drauf!
¹ Niki de Saint Phalles , 1980 Katalog zur Retrospektive im Centre Georges Pompidou in Paris
² nach »La parenthèse enchantée des maisons-bulles« von Raphaëlle Saint-Pierre