Wohnsinn-Kolumne: Pfannkuchentag
Irgendwie bin ich ein Fan von Traditionen. Ich weiß: Ein bisschen komisch, für eine Person, die gerade mal Anfang zwanzig ist. Aber vielleicht ist das auch das Resultat einer Welt, in der sich alles ständig verändert, nichts mehr absehbar scheint – vor allem die schrecklichen Ereignisse. Da geben kleine Gepflogenheiten ein kuschelig warmes Gefühl von Normalität und Sicherheit. Meinen Mitbewohner:innen scheint es ähnlich zu gehen und so feierten wir letzten Sonntag zum zweiten Mal (ist das überhaupt schon eine Tradition?) das russische Fest »Maslenitsa«.
von Paula Kühn
Das erste Mal erzählte uns mein Mitbewohner, dessen Eltern Russ:innen sind, letzten März vom, wie er es nannte, »Pfannkuchenfest«. Im tiefsten Lockdown lechzten wir bereits alle nach Abwechslung, etwas Feierstimmung und waren gleichzeitig begeistert und neugierig, von was er da sprach. »Maslenitsa« bedeutet übersetzt »Butterwoche« und dauert normalerweise sieben Tage, wobei jeder Tag seine ganz eigene Bedeutung hat. Der Anlass für dieses Fest: Man feiert, dass der Frühling kommt und der Winter endlich vorbei ist. Ursprünglich galt das Fest als Vorbereitung auf die Fastenzeit, so sollte man in der letzten Woche vor dem Fasten bereits aufs Fleisch verzichten, durfte aber noch Milcherzeugnisse und Eier essen – also alle Zutaten, die in Pfannkuchen zu finden sind.
In der Familie meines Mitbewohners wurde in seiner Kindheit keine Woche gefeiert, aber dafür am Sonntag den ganzen Tag mit der gesamten Familie und Freund:innen Pfannkuchen gegessen, getrunken, gelacht – und eine gebastelte Puppe, der symbolische Winter, verbrannt. Genauso hatten wir im letzten Jahr in unserer WG gefeiert und waren somit auch dieses Jahr entschlossen, daraus unsere eigene kleine, etwas abgewandelte, Tradition zu machen: den »Pfannkuchentag«.
Den ganzen Samstagabend werkelte mein Mitbewohner in unserer kleinen Küche herum, sodass sich am Sonntagmittag verschiedenste Füllungen für die Pfannkuchen auf unserem Tisch sammelten. Unsere Freund:innen, teilweise leicht verkatert vom gestrigen Abend, tröpfelten nacheinander herein, freuten sich über die leckeren Gerüche und etwas weniger über die obligatorische Wodka Flasche in der Mitte des Tisches.
Den ganzen Tag bewegten wir uns alle kaum von unseren Stühlen, verdrückten einen Pfannkuchen nach dem anderen, redeten, lachten oder wippten einfach nur schweigend und rundum zufrieden zur Musik. Fast ein bisschen, als würde diese, wie ich finde, im Moment auch durchaus furchteinflößende Welt außerhalb unserer Küche nicht existieren. Ein friedliches Stückchen Normalität – wenn natürlich auch direkt verbunden mit dem Gedanken, warum es uns so gut geht, während so nah so viele Menschen unfassbares Leid erfahren. Ob wir überhaupt einfach so weitermachen können?
Ich habe darauf auch bis heute keine Antworten – alles was ich euch sagen kann, ist, dass solch kleine Traditionen, insbesondere im Moment, unglaublich guttun.
Nächste Woche gibt es dann wieder einen Wohnsinn von Carla.