Wohnsinn: Wenn Dein Wohnzimmer zum Kriegsschauplatz wird
Bei den einen ist es der Sport, bei den anderen die Musik und bei wieder anderen vielleicht auch die Wiederentdeckung der Gemütlichkeit. Die Pandemie hat in vielen von uns alte Hobbys wieder aufleben lassen. Bei meinem Freund war es die Warhammer-Welt, die nun seit einigen Wochen in seinen WG-Zimmern immer weiter die Realität verdrängt.
von Lotte Nachtmann
Ob in Form von Pen and Paper oder als Figuren fürs Tabletop-Spielen: Hochelfen, Zwerge, Oger, Rattenmenschen, Eisphönixe und Drachen sind mir inzwischen nicht nur ein Begriff, sondern sie sind quasi zu so etwas wie Mitbewohner:innen geworden. Denn was mit ein paar Reitern begann, endete mit einer ganzen Armee, die sukzessiv das Wohnzimmer einnahm.
Das wiederentdeckte Hobby meines Freundes fand ich am Anfang sogar echt ganz cool: eine off-screen Abwechslung zu Netflix, die nichts mit zerstörerischen Sporteinheiten zu tun hat. Anfangen konnte ich zwar von Beginn an nichts damit, aber das ist ja auch egal. Ich supporte meinen Freund darin, etwas nur für sich zu haben. Deshalb tolerierte ich auch lange die Pinsel, Farbtöpfchen und kleineren Verbünde von Elfenkriegern, die zunächst den Couchtisch, später die Couchlehnen, dann auch immer weitere Teile des Fernsehtisches, der Boxen und der Fensterbretter einnahmen. Als aus den losen Truppen, immer größere Rotten, Züge, ja fast schon Staffeln wurden, fing meine innere Marie Kondo langsam an zu rebellieren. Und so schön Eisengrau, Moos, Lehm und die dutzenden weiteren Nuancen auch an den Figuren aussehen, so nervig werden sie in ihren kleinen Fläschchen, wenn man erst einmal 20 von ihnen beiseiteschieben muss, um sich aufs Sofa zu setzen.
Marie Kondo zuckte schon nervös mit dem Augenlid. Immer mehr Spezies der Warhammer-Welt stießen aus dem Keller in die WG-Zimmer vor. Auch ein edler Eisphönix und zwei Drachen schwebten herein und nahmen auf den Boxen Platz. Bei einem der Drachen – wir haben sie Dagmar genannt – musste ich mich dann auch prompt endschuldigen, als ich sie bei einer zu stürmischen Bewegung von ihrem Platz fegte. Ich will schließlich weder ihren Zorn noch den ihres Mannes Dieter zu spüren bekommen. Marie Kondo begann, an die Innenseite meines Schädels zu hämmern. Schließlich, um das ganze Anmal-Game zu professionalisieren und den bisher farblosen Soldat:innen einen feschen neuen Anstrich zu verleihen, kamen auch noch eine Airbrush mit sämtlichem Zubehör dazu. Doch jetzt reichte es Marie Kondo. Sie erklärte den Hochelfen, Zwergen und Rattenmenschen den Krieg. So einfach gab sie ihr schön aufgeräumtes Wohnzimmer nicht auf. Sollten Dagmar und Dieter nun ihren Zorn zu spüren bekommen.
Letztendlich kam es jedoch nicht zur Großoffensive »Müllsack«. Dafür respektiere ich nun doch viel zu sehr, dass das Bemalen meinem Freund so viel Freude bereitet. Schließlich würde ich es ja auch nicht wollen, dass er meine – zur Zeit nicht vorhandenen – Hobbys verbannt. So kam es letztendlich zu einem Waffenstillstand zwischen meiner inneren Marie Kondo und den Angehörigen der Warhammer-Armee. Der Friedensvertrag besagt, dass sie sich – solange sie auf ihre Verzierungen warten – auf großen Pappen unter der Couch aufhalten. Spannend wird es dann noch, wenn ich in etwa einem Monat endgültig hier einziehe und vielleicht selbst wieder ein altes Hobby aufleben lasse. Möglicherweise bricht dann der nächste militärische Konflikt aus: Warhammer vs. Bücher oder so. Und Marie Kondo hat auch nicht ihre volle Kampfkraft gezeigt.
Nächste Woche meldet sich dann Hannah mit einem hoffentlich friedlicherem Wohnsinn wieder.
… Moment, verstehe ich das richtig? Die Autorin des Beitrags wohnt gar nicht in der WG (jedenfalls noch nicht) und „toleriert“ die Angewohnheiten ihres Freundes, die dieser in seiner Wohnung auslebt? Das ist ja wirklich edel.
Bei Marie Kondo geht’s im Übrigen nicht nur um’s Aufräumen, sondern darum, dass man sich nur an dem festklammert, was Freude entfacht. Ich geh mal davon aus, dass den Leser*innen einfach ne ganze Reihe Kontext fehlt. Ansonsten würde ich dem Freund der Autorin raten, seine innere Marie Kondo zu channeln und sich zu fragen, ob man die Warhammer-Figuren samt Malzeug rauswirft oder doch eine bestimmte Person mit toxischen Anwandlungen, die sich in diesem Artikel zu manifestieren scheinen.
P.S.: Ist es eigentlich Cultural Appropriation, sich als Europäer*in auf Marie Kondo zu berufen und ihre Philosophie derart zu entstellen? Schreibt doch dazu mal was, vielleicht in einer Kolumne oder so.
Das einzige was mir hier toxisch scheint, ist Dein Kommentar.
Mehr gibt ’s dazu nicht zu sagen.