Feminis:muss: Mann braucht keinen Mann!
Weg mit den toxischen Vorbildern. Für ein Leben in feministischer Solidarität brauchen cis-Männer neue Identifikationsfiguren. Das erfordert eine aktive Umstellung.
von Moritz Müllender
Liebe heterosexuelle cis-Männer, wir brauchen neue Vorbilder! In meinem Leben gab es schon immer zwei Kategorien von rosaroter Brille: romantische Verliebtheit und Vorbilder.
Wer kennt sie nicht, die Schwärmereien für die Unerreichbaren, die uns dennoch so nah kommen. Mich haben Sie teilweise mehr beeinflusst als mein persönliches Umfeld. Ich wollte sein wie sie, die Dinge schaffen, die sie schafften, kurzum: ein Held sein, wie sie. Das war bewusst nicht gegendert. Denn hier liegt mein Problem: Nach einer kurzen Phase in meiner frühen Kindheit, in der ich Pippi Langstrumpf sein wollte, waren meine persönlichen Helden lange nur Männer – oft nicht einmal nette.
»Jungs brauchen doch männliche Identifikationsfiguren!«, dröhnen die Ulfs dieser Welt da in meinem Kopf. Mein erster Impuls wäre, das grundsätzlich als richtig zu bewerten. Nach zwei Sekunden innehalten und denken, frage ich mich aber: Wirklich? Gibt es ein gutes Argument, dass Männer männliche Vorbilder brauchen? – Mir ist noch keins eingefallen. Und selbst wenn es eins gäbe, sollten wir unter unseren Vorbildern mal gehörig aufräumen und dann unsere Held:innen diversifizieren.
Abgesehen davon, dass das Konzept von Held:innen shady ist und uns Minderwertigkeitskomplexe sowie neoliberales Machogehabe antrainiert, möchte ich alle männlichen cis-Heten hiermit dazu aufrufen, dass wir uns bewusst FLINTA*-Vorbilder suchen. Wir haben unsere Privilegien gecheckt? – Ich hoffe doch. Der nächste Schritt ist uns nachhaltig mit Einflüssen außerhalb unseres patriarchalen Bälleparadieses zu versorgen. Vorbilder sind vielleicht das kraftvollste Tool, dass es in dieser Hinsicht gibt.
Wenn wir uns anschauen welche Männer im Internet Vorbildfunktion für Millionen junger Menschen einnehmen, wird jeder Person, die sich auch nur ansatzweise feministisch positioniert, kotzübel. Der jagende, kiffende Antifeminist Joe Rogan, der den wohl weltweit populärsten Podcast betreibt; der pseudo-intellektuelle biologistische Männlichkeitsprophet Jordan Peterson, der auf Youtube omnipräsent ist.; der höfliche Lifestyle und Dating Machodaddy Aaron Marino besser bekannt als alpha m. mit seinen 6,5 Millonen Abonnent:innen; der schwurbelige wissenschaftsfeindliche Querfront-Eso Russell Brand, der mehrmals täglich seine knapp 5 Millionen Abonnent:innen vollschwafelt. Die Liste könnte ewig weiter gehen. Das sind auch nur die ersten vier, die mir eingefallen sind. Alle haben mich in Phasen meines Lebens fasziniert und ich habe viel von ihrem Gedankenmüll verinnerlicht. Gäbe es einen hetero-cis-Mann in meinem Umfeld, der nicht zumindest einen dieser All-Stars der toxischen Männlichkeit mal heroisiert hätte, es würde mich überraschen.
Incels und andere Männer, die sich durch die Komplexität von Geschlechterrollen bedroht fühlen, finden in ihnen die Vordenker für ihre Kommentarspaltenschlachten. Wer einmal auf 9gag Kommentare gelesen hat, weiß, wie dort Witze funktionieren: Feminismus-Bashing, Witze über vermeintliche Snowflakes (ein hippes Wort für Weichei) und Rassismus. Wer sich dagegen ausspricht wird getrollt. Dabei ist das nur 9gag. Also im Grunde der Kuschelbär unter den Online-Foren.
Das Internet wird dominiert von toxischen Männern, die anderen Männern helfen wollen, wieder Männer zu werden. Es ist an uns, das zu ändern. Anfangs mag es so wirken, als ob es da draußen kaum FLINTA*-Personen gibt, die genau dort, wo wir Vorbilder brauchen, aktiv sind. Diese mangelnde Sichtbarkeit ist Teil des Problems. Doch das Internet ist riesig und bis jetzt habe ich noch immer Menschen gefunden, die mein Denken wirklich herausfordern und mich nicht mit Stammtisch-Bullshit im eloquenten Kleid abspeisen, wie die oben genannten. Das gilt für Kunst, wie für Sport als auch für Politik und jedes andere vorstellbare Feld. Die Menschen, auf die wir mit etwas Recherche stoßen können, haben die Aufmerksamkeit mehr als verdient. Wir ihre Lehren oftmals nicht. Wohltuend und bereichernd sind sie trotzdem.
»Das ist ja quasi eine selbstauferlegte Quote für Vorbilder!« – Ja Ulf, da dürftest du ausnahmsweise Recht haben.
Beitragsbild: © Engin Akyurt | Unsplash