Nazis sind auch nur Menschen – oder nicht?
Von Nazis, Anti-Feministen und jenen, die es noch werden wollen handelt Tobias Ginsburgs neustes Sachbuch »Die letzten Männer des Westens« (erschienen vor kurzem im Rowohlt Verlag). Das Theater Regensburg lud vergangenen Freitag zu Lesung und Gespräch ein. Unterstützt wurde Ginsburg dabei von der Schauspielerin Silke Heise.
von Lea Wöhl Anna-Lena Brunner
Als weiblich gelesene Person im Publikum, kann es einem:r bei Tobias Ginsburgs Lesung schon mal kalt den Rücken runter laufen, denn für seine Recherche reiste Ginsburg nicht nur in verschiedene Länder, sondern vor allem auch in Parallelwelten.
Er erzählt von männlich gelesenen Menschen am rechten Rand der Gesellschaft, die sich von der sogenannten Plage des Feminismus in ihrer Männlichkeit bedroht fühlen. Bedroht fühlen sie sich auch von Zuwanderern aus der östlichen Hemisphäre der Welt, die ihnen, so jedenfalls ihre Wahrnehmung, ihren rechtmäßigen Platz in der Gesellschaft und mit ihm auch ein Recht auf potenzielle Partnerinnen, welches ihnen ja qua Geburt zustünde, wegnehmen. Ginsburg erzählt weiter. Die Dringlichkeit seines Anliegens tropft aus jedem Wort. Er berichtet von rechtsradikalen Burschenschaften, von sogenannten »Incells« (involuntary celinbates) und selbsternannten Männerrechtlern. Er zeigt ein weites Spektrum an Gruppierungen auf – was sie eint: Sie geben dem Feminismus die Schuld für ihre Misere und betrauern den Verlust von »echter Männlichkeit«, was auch immer das konkret sein soll. Ein kurzes auflockerndes Lachen in der eher bedrückten Stimmung liefert der Vergleich zum Männerbild des 18. Jahrhunderts: Echte Männer, wie waren die damals noch gleich? Ja, genau. Sie saßen abends bei Kerzenschein in ihrem Kämmerlein und versuchten weinend über einen Korb hinwegzukommen, indem sie ein Gedicht darüber schrieben.
Ginsburgs Schilderungen wirken fast hypnotisierend. Sie wirken so echt und lebendig, fast so als säße man gerade selbst neben André in irgendeinem Wirtshaus in irgendeinem Kaff in Deutschland und schwingt den Bierkrug im Takt von Horst Wessel Lieder. Es ist unverkennbar, dass Ginsburg selbst Teil dieser Szene geworden ist und sie hautnah erlebt hat. Etwas über ein Jahr lang schleust sich Ginsburg ein, hält sich bedeckt und kommt so immer näher an die Meinungsmacher rechter Strukturen in Deutschland, aber auch den USA und Polen ran. Auf uns überwiegend junge, aus dem Bildungsbürgertum stammenden Zuhörer:innen im Theatersaal üben diese Berichte ein absurdes Faszinosum aus, scheinen sie doch von einer Welt zu zeugen, die man einmal kopfüber gestülpt hat und mit ihr alle Werte, Ansichten und Meinungen, die man als woke:r Akademiker:in halt so vertritt.
Denn Ginsburg zeichnet ein dystopisches Bild von Menschen, die das albtraumhafte Feindbild einer:s jeden linksliberalen Grünwähler:in darstellen. Das vielleicht albtraumhafteste daran ist, dass diese Gestalten von denen Ginsburg erzählt, keine Romanfiguren, sondern wahrscheinlich in unserer Nachbarschaft vertreten sind. Durch seine detaillierten Schilderungen von Momenten des Alltages dieser Männer wird das Absurde plötzlich ganz nah und fast schon greifbar. Eben so, als wäre man selbst dabei und würde es in diesem Moment erleben. Doch man kommt nie ganz ran an André und Co. Deren Beweggründe und Lebensgeschichten bleiben im Dunkeln. So verkommen die Figuren in seinem Buch zu Skizzen ihrer Selbst, die ihre Menschlichkeit unwiederbringlich irgendwo zwischen Springerstiefeln und rechtsradikalem Rap verloren haben. Die Frage, die sich daraus ergibt ist die, ob man Personen mit menschenverachtenden Einstellungen und Werten irgendwann als »lost causes« sehen muss. Und Ginsburgs antwortet darauf mit ja. Ist das gerechtfertigt? Machen wir es uns da als linksliberale Mittel- und Oberschichtler:innen nicht verdammt leicht?
Tobias Ginsburg hat vergangenen Freitag mit der Vorstellung seines Sachbuches »Die letzten Männer des Westens« eindrücklich bewiesen, wie menschenverachtend und demokratiefeindlich es in vielen Szenen zugeht. Die:der linksgrünverortete:r Zuhörer:in hat so was in die Richtung schon fast geahnt, geht also müde und deprimiert nach Hause in ihre:seine WG und schaut sich vor dem Einschlafen noch die letzte Folge »Squid Game« an. Irgendwie muss mensch ja runterkommen!
Beitragsbild: © Theater Regensburg | Rowohlt Verlag