Wohnsinn-Kolumne: Das eigene Zuhause besingen, das eigene kleine Land besingen.
Wohnsinn ist eine Geschichte über das Wohnen und den Sinn. Welche Bedeutung wird dem Wohnen beigemessen oder wie macht es Sinn? In diesem Artikel möchte ich euch von einem Künstler erzählen, für den das Konzept des Hauses, des Zuhauses, nicht nur aus vier Wänden und einem Dach besteht, sondern auch viele andere Wörter wie Land, Exil, Staatenlosigkeit und Grenze zum Klingen bringt. Dieser Künstler heißt Gael Faye, ist Autor des preisgekrönten autobiografischen Romans »Petit Pays« und Singer-Songwriter.
von Justine Vonpierre
Vielleicht sollten ihr euch zunächst in das gleichnamige Lied vertiefen, von dem ich euch gerne etwas erzählen möchte. Es ist ein Lied auf Kinyarwanda und Französisch. Keine Sorge, wenn ihr gegen eine Sprachbarriere stoßt, ich werde euch mitteilen, was ich verstanden habe …
Unser Haus unterscheidet sich von der Außenwelt dadurch, dass es ein intimer Raum ist, in dem man die eigenen Gewohnheiten und Bezugspunkte wiederfindet. Wenn wir unser Zuhause verlieren, verlieren wir auch unseren Rückzugsort, unsere Bezugspunkte. Der Verlust von Bezugspunkten … gehört er nicht auch zu den größten Sorgen der ungewollten Migration auf der Ebene des Einzelnen? Die Bezugspunkte der Sprache, der Kultur, die Bezugspunkte der Freund:innen, der Familie usw. Ist das nicht alles, was man verliert, wenn man gegen den eigenen Willen ins Exil zieht? Daher halte ich es für gerechtfertigt, den Begriff der eigenen vier Wänden auf das eigene Land auszuweiten und den Verlust der eigenen vier Wänden auf das ungewünschte Exil zu übertragen.
In seinem Lied singt Gael Faye sowohl von seiner Liebe zu seinem Heimatland als auch von seinem Schmerz über die politischen Grausamkeiten, die er in den 1990er Jahren erlitten hat, als die gesamte Region durch den Völkermord in Ruanda auf schreckliche Weise mit Blut überzogen wurde. Der Text trägt den Titel »Kleines Land«. Diesen Titel wählte er auch für seinen ersten Roman, der drei Jahre später erschien.
Wie die ersten Seiten des Romans, die der Erzählung einer glücklichen Kindheit gewidmet sind, vermittelt der Text des Liedes die Erinnerungen an sein Zuhause, das er gegen seinen Willen verlassen musste. Seine Heimat nennt er »kleines Land in Afrika an den Großen Seen«, »kleines Stück Afrika in großer Höhe«, »mein Kristall«, »mein Heimatland«. Er vermisst die Gärten mit Bougainvillea, die Sonne, die Bauern:Bäuerinnen und die Vulkane. Doch gleichzeitig erinnert er sich an den Völkermord und die beispiellose Gewalt, die »in diesem verfluchten Monat April« ausbrach. Er betont das Leid seines Landes, das zu seinem eigenen geworden ist, und das Leid all derer, die fliehen mussten, geliebte Menschen verloren haben oder gestorben sind.
Schließlich gibt es noch den Satz, der sich direkt an uns, das hörende Publikum, wendet, »Seht, mein Leben hat gut begonnen«. Dieser Satz übermittelt uns eine wichtige Botschaft. Während extremistische und konservative Regierungen in Europa immer mehr Zulauf haben, werden Geflüchtete aus Krisenherden immer öfter zurückgewiesen. Hinzu kommen Rassismus und Hass. Wovor haben diese Menschen Angst? Dass Geflüchtete aus Syrien kommen, um ihr Land, ihr Haus zu stehlen, wie es die Westler:innen viele Jahrhunderte zuvorgetan haben?
Und doch vergisst man, dass diese Geflüchteten nicht unbedingt von Europa, vom Westen träumen; man vergisst, dass sie manchmal keine Zeit haben, von einem anderen Ort zu träumen, sondern dass sie fliehen, ohne es zu wollen, dass sie widerwillig ihr Haus, ihr Land verlassen, weil sie einfach keine andere Wahl haben. Vor kurzem hatte ich das Glück, Gael Faye singen und seine eigenen Gedichte vortragen zu hören, in denen er auch sein Exil thematisierte. »Wenn Sie glauben, dass ich meine Mangos, meine Freunde, meine Baulücke und mein schönes Land verlassen wollte, um mich plötzlich allein in Frankreich wiederzufinden, dann irren Sie sich.« Ich bin mir nicht sicher, ob diese Worte richtig wiedergegeben sind, aber ich vermute, sie bedeuteten: Seht her, sein Leben hatte gut begonnen, weder er noch viele andere wollten ihr Zuhause verlassen.
Nächste Woche ist dann Laura wieder mit einem Wohnsinn dran.