Leben und Sterben am Filmset – Der (Alb-)Traum von Hollywood
Am Donnerstag, den 21. Oktober, verstarb Kamerafrau Halyna Hutchins während Dreharbeiten im US-Bundesstaat New Mexico. Schauspieler Alec Baldwin feuerte eine Requisitenpistole ab, die – offensichtlich – nicht genau geprüft wurde. Der Regisseur Joel Souza wurde ebenfalls verletzt. Dieser tragische Unfall steht emblematisch für die seit Jahrzehnten anhaltenden Missstände in der Filmindustrie.
von Julian Tassev
Die Filmwelt trauert um Halyna Hutchins. Die gebürtige Ukrainerin wurde bei einem Unfall am Set des Westerns »Rust« in Santa Fe, NM tödlich verletzt. Sie war 42. Berichten zufolge wurde gerade eine Schießerei in einer Kirche gedreht, bei der Schauspieler Alec Baldwin das Feuer auf seine Gegner erwidern und sich rücklings aus der Kirche zurückziehen sollte. Dabei feuerte er seine Requisitenpistole ab, die aus bisher noch ungeklärten Gründen trotzdem ein Projektil schoss, welches Kamerafrau Hutchins und den Regisseur des Films traf. Ein tragisches, unnötiges und vermeidbares Unglück, welches nun nur wenige Tage nach einer der größten Gewerkschafts-Bewegungen der US-Geschichte in den Medien kursiert.
Natürlich schossen sich diese auf den Schützen und vermeintlichen Übeltäter Alec Baldwin ein, fokussierten sich auf seine Bilder und seine Reaktion zu dieser traurigen Situation. Die YouTube-Videos klicken sich schließlich nicht von selbst – beim Video-Thumbnail des »Welt«-Kanals kommt es mir trotzdem fast hoch. Ich würde diesem ja Pietätlosigkeit vorwerfen, jedoch würde das Wort dadurch seine Wirkung verlieren. Mir ist bewusst, dass sich »Ex-Hollywood-Star erschießt Kamerafrau« besser verkauft als »tragischer Unfall ist nur ein weiteres Zeichen über die unmenschlichen Arbeitsbedingungen in der Filmindustrie«. Doch genau um diese sollte sich die Konversation hier drehen.
Schnell war in den Medien von einer sogenannten »live round« in der Pistole die Rede – einer »echten« Patrone. Diese haben natürlich an einem Filmset nichts verloren und erst kurze Zeit später wurde ich aufgeklärt, dass der Begriff unter Expert:innen lediglich für jede Art von feuer-bereiter Munition in der Requisite steht, auch Platzpatronen (»blanks«). Damit ein Schuss mit einer solchen Platzpatrone trotzdem echt aussieht, sind diese mit Schwarzpulver gefüllt und explodieren beim Drücken des Abzugs wie eine echte Patrone. Nur hängt vorne kein kleines, tödliches Projektil dran. Eine enorme Druckwelle und damit eine geballte Ladung Energie wird trotzdem produziert, weshalb es bei Dreharbeiten einen Mindestabstand von ca. 6-7 Metern vorgeschlagen wird. Denn selbst mit so einer »blank« ist die Gefahr immer da, dass sich etwas im Lauf verfängt, was dann als Projektil abgefeuert wird. Selbst die Druckwelle des Abschuss-Mechanismus kann schon arge Verletzungen an den Händen verursachen.
Was exakt nun am Set in Santa Fe passiert ist, wird sich wohl in den kommenden Wochen klären. Unfälle dieser Art sind aber leider keine Seltenheit. 1993 wurde Schauspieler Brandon Lee (Sohn der Martial Arts-Legende Bruce Lee) am Set der Comic-Verfilmung »The Crow« tödlich verletzt, als Kollege Michael Massee eine Waffe auf ihn abfeuerte – welche aus Versehen (?) geladen war. Vielen Stimmen zufolge wurden die Richtlinien für Sicherheit mit Schusswaffen am Set nach Lees Tod stark verschärft. Und es mag stimmen, dass mittlerweile immer eine gewisse Anzahl an Expert:innen für die jeweiligen Waffen anwesend sein muss – wer gewährleistet aber, dass diese ihren Job korrekt ausführen (können)?
Womit wir beim eigentlichen Problem angekommen sind: die erschreckenden, teilweise unmenschlichen Arbeitsbedingungen an solchen Sets – ob groß oder klein. Einem »Los Angeles Times«-Artikel zufolge verließen nur wenige Stunden vor Hutchins´ Tod mehrere Mitarbeiter:innen ihres Teams das Set als Zeichen des Protests gegen die zehrenden Dreharbeiten, die am 6. Oktober starteten. Die Crew war dabei in Hotels im etwa 100 km entfernten Albuquerque untergebracht, Drehbeginn war um 6:30 Uhr morgens angesetzt. Bei regelmäßigen 17-Stunden Tagen bedeutet dies maximal fünf Stunden Freizeit – also vielleicht drei Stunden Schlaf?
Nun stellt sich also die Frage, wer hier schlussendlich die Verantwortung für solch einen Unfall trägt. Wenn die Personen, die für die Sicherheit am Set zuständig sind, mit weniger als fünf Stunden Schlaf pro Nacht zur Arbeit irgendwo in der Wüste New Mexicos erscheinen müssen, ist schnell klar, dass hier an allen Ecken und Enden gespart werden soll und ein hohes Verletzungsrisiko willentlich hingenommen wurde. Dem Artikel zufolge sollten die streikenden Crew-Mitglieder schnell durch gewerkschaftslose Neulinge aus der Umgebung ersetzt werden.
Apropos Gewerkschaft: Erst vor wenigen Wochen standen die USA vor der bis dato größten vereinten Massen-Streik-Aktion ihrer Wirtschaftsgeschichte. Die International Alliance of Theatrical Stage Employees (IATSE) wurde bereits 1893 gegründet und umfasst 60.000 Mitglieder – das sind die Menschen, die die gesamte Film- und TV-Industrie auf ihren Rücken tragen. Die Bühnenbauer:innen, Maskenbildner:innen, Licht- und Tontechniker:innen und Kaffeeholer:innen, die vor allen anderen da sind und als letztes nach Hause gehen. Viele der Verträge, die die IATSE mit Produzenten über die Jahrzehnte aushandeln konnte, sind schlicht und einfach veraltet. Vor allem der Streaming-Boom wurde bisher kaum beachtet oder inkorporiert. Eine der lächerlichsten Regeln: Verletzen Produzent:innen das Recht ihrer Crew auf geregelte Essenszeiten, müssen sie ansteigende Strafen zahlen – diese Strafen wurden allerdings seit Jahren nicht angehoben, wodurch sie günstiger sind als volle Mahlzeiten. Sie fließen daher schon grundsätzlich in das Produktions-Budget mit ein. Das vergangene Jahr brachte dann wohl das Fass zum Überlaufen und eine Gesamtabstimmung über einen Generalstreik wurde veröffentlicht. Diese wurde mit 98.68% bestätigt, was einen kompletten Stillstand der Industrie zur Folge gehabt hätte. Im letzten Moment ließen sich die Mitglieder der Alliance of Motion Picture and Television Producers dann doch auf die Verhandlungen ein – neben kleineren Zusagen wurde zumindest eine Gehaltserhöhung von bis zu drei Prozent erzielt, welche im Schatten der Inflation allerdings null und nichtig scheint.
Die Angst vor so einem Streik muss extrem hoch sein – bereits 2007 kamen einige Produktionen im englischsprachigen Raum zum Stillstand, als ca. 10.000 Drehbuch-Autor:innen wochenlang für bessere Arbeitsbedingungen streikten. Unter anderem musste deshalb die erste Staffel der Ausnahme-Serie »Breaking Bad« verkürzt werden, und auch der Geheimagent im Namen seiner Majestät, James Bond höchstpersönlich, litt unter den Folgen des Streiks. Der Bond-Streifen »Ein Quantum Trost« begann die Dreharbeiten nur mit einer groben Planung der Action-Sequenzen, Daniel Craig und Regisseur Marc Forster mussten teilweise am Drehtag noch an den Dialogen und der Story feilen.
Wir sehen also, welche Folgen ein vergleichsweise kleiner Streik haben kann. Nun haben vor allem die Mitarbeiter:innen, die sich unter Organisationen wie der IATSE vereinen, im vergangenen Jahr gelitten. Es ist an der Zeit, die ausbeuterischen Umstände vor allem für viele Einsteigende in der Industrie umzuwerfen, nicht zuletzt um Unfälle wie in New Mexico zukünftig zu vermeiden.
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