Feminis:muss: Das Herz auf den Tisch – ein Podcast von Victoire Tuaillon
von Verena Gerbl
Victoire Tuaillon wurde 1989 in Paris geboren und entdeckte bereits mit sechzehn Jahren das feministische Manifest »King Kong Theorie« der französischen Autorin Virginie Despentes, welches die Ungleichbehandlung von Frauen anprangert und diskutiert. Mit 30 Jahren veröffentlicht sie dann 2017 ihren ersten Podcast »Les couilles sur la table« (zu deutsch: Die Eier auf den Tisch), der sich an obige Thematik anlehnt und sich der großen Frage widmet, wie im 21. Jahrhundert denn immer noch eine patriarchale Gesellschaft erfolgreich weiterbestehen kann, und wie unser aller Denken dadurch geformt und eingegrenzt wird. Das Original ist auf Französisch, aber man* kann auf binge.audio das englische Transkript nachlesen.
Der heutige Artikel soll aber von der Liebe handeln – genauso wie Tuaillons neuer Podcast »Le coeur sur la table« (zu deutsch: Das Herz auf den Tisch). Nachdem mir dieser von meinem Freund empfohlen wurde, der gerade versucht sein Französisch mit Podcasts aufzupolieren, war auch ich sofort nach der ersten Folge begeistert: Victoire Tuaillon geht in dem alle zwei Wochen erscheinenden Format der Liebe auf den Grund. Jede Folge ist einzigartig und handelt von Erzählungen realer Personen über die Liebe und wie sie individuell ausgelebt wird. Tuaillon eröffnet die erste Folge und berichtet von ihren eigenen heterosexuellen, »normgerechten« und »normgebenden« Beziehungen – die sie von Jugendtagen an führte und als »gut« empfand. Schon mit fünfzehn wartete sie auf ihren »Prince Charming« und fühlte eine gewisse Erleichterung als sie diesen dann glaubte, gefunden zu haben. Davon ausgehend, dass das Konstrukt der Heterosexualität natürlich nur eine der vielen Facetten und Möglichkeiten der zwischenmenschlichen Liebe darstellt und generell lediglich unsere eigenen soziokulturellen Erwartungen widerspiegelt, gibt sie in den nächsten Folgen den Menschen ein Sprachrohr, die sich als nicht–binär, homosexuell oder transsexuell identifizieren oder die eigene individuelle Wege der heterosexuellen Liebe für sich gefunden haben.
Victoire Tuaillon geht im Laufe ihres Podcasts sogar so weit, von einer möglichen »révolution romantique« zu sprechen, also einer Revolution der Gefühle und der Liebe. Wie würde es unsere Gesellschaft beeinflussen, wenn man* Freundschaften denselben Stellenwert beimessen würde wie der »großen Liebe«? Was wäre, wenn man* zulassen würde, dass sich romantische Beziehungen an individuellen Bedürfnissen und Vorlieben anstatt an normgerechten Konstrukten orientieren? Wie würde es unser Denken verändern, wenn Disney Prinzessinnen wie Arielle nicht ungeachtet der eigenen Qualen dem »heldenhaften Prinzen« zu Füßen liegen würden? Angelehnt an solchen und ähnlichen Fragestellungen eröffnet die Gastgeberin somit eine Platform wundervoller Diskussionen über die Liebe, die Moderne und die großen Gefühle mit dem bisweilen auch politischen Ziel, die Liebe zu entmythisieren. Sie zieht die Liebe aus den Schubladen der Gesellschaft heraus »auf den Tisch«, wo sie sie zu etwas Großem und Revolutionären macht.
Der Podcast ist bisher nur auf Französisch erhältlich. Ich kann mir aber vorstellen, dass ähnlich wie beim Vorgänger-Podcast »Les couilles sur la table« auch hier bald englischsprachige Transkriptionen veröffentlicht werden. Die Message ist ohnehin viel zu schön und mächtig, um nur in Frankreich gehört zu werden!
Buchtipp der Redaktion zu diesem Thema: »Radikale Zärtlichkeit. Warum Liebe politisch ist« von Şeyda Kurt
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